Mahlzeit!


Wer rockt, der soll auch essen, sagt schon der Volksmund. Doch die Zeiten von Fritten'n'Bier'n'Rock'n'Roll sind lange vorbei -der Star von heute lebt gesund.

Putencurry ist der Horror eines jeden Musikers. Denn Putencurry ist billig, einfach, und man kann es gut warmhalten. Deshalb gibt es auf Tour auch andauernd Putencurry-wenn die Musiker und ihre Crew sich nicht massiv zur Wehr setzen. Das Beste wäre es da, eigene Köche mit auf Tour zu nehmen, die abwechslungsreiche Menüs anbieten. Aber das ist teuer und umständlich. Auf der anderen Seite kann man wildfremden Menschen wohl kaum zutrauen, automatisch zu wissen, was eines Herz begehrt. Um sicherzugehen, daß das mit dem leiblichen Wohl auch glattläuft, setzen viele Künstler deshalb seit jeher ellenlange Listen darüber auf, was in Garderobe und Eßsaal zu stehen hat. Beeindruckend ist da etwa der Wunschzettel, den die längst giftfrei lebenden Toxic Twins Steven Tyler und Joe Perry bei der letzten Aerosmith-Tournee vorlegten (rechts). Den Vogel schössen allerdings Jackyl ab, eine von Aerosmiths US-Vorbands, die neben Essen und Getränken noch einen Barhocker „to be destroyed by artist“ sowie ein „rasiertes Nagetier“ verlangten.

Gesammelt hat derartige Auswüchse des Star-Ruhms das Catering-Team „Behind The Scenes, Inc.“ aus San Diego in dem amüsanten Buch „Backstage Pass“ (Cumberland House, US-$ 18,95).

Erstaunlich, wie simpel sich zum Beispiel die Garderobenanweisungen von Superstar Celine Dion lesen (rechts). Einzig unklar bleibt, wozu Celine den Essig braucht. Um den sauren Ausdruck auf ihr Gesicht zu zaubern? Rückschlüsse auf die Band hingegen läßt beispielsweise die Bestell-Liste von R.E.M. (rechts oben) zu. Als warme Mahlzeit ließen sich die Herren übrigens Cajun Roasted Chicken, Cajun Sauce und Black Jack Bohnen servieren. Ein typischer Abend sieht bei Stipe & Co., die in aller Südstaaten-Gemütlichkeit gern mit Freunden und Familie auf Tour gehen, dann so aus: Lässiges Abhängen im Backstagebereich, anschließend 14.000 Fans zufriedenstellen, dann wieder lässiges Abhängen im Backstagebereich bzw. Hotel. Abendliche Weinrechnung: US-$ 600,- (rund 1000 Mark)!

Deutsche Bands sind da etwas pflegeleichter. So liebt Rosenstolz-Sängerin Anna ganz einfach handverlesene weiße Gummibärchen. Deren Bereitstellung wird aber nicht dem örtlichen Catering-Unternehmen verantwortet, sondern von der Band in Eigenregie geleistet.“Außerdem haben wir einen süßigkeitenverschlingenden Schlagzeuger, der kiloweise Schokolade in sich reinschaufelt“, gesteht Rosenstolz-Managerin Leonie Lorenzen.“Und unser Saxophonist besteht aus gesundheitlichen Gründen darauf.jeden Abend eine Portion Sauerkraut zu sich nehmen zu können.“ Genaue Vorgaben für die Einrichtung von Garderoben gibt schon deshalb nicht,“weil ganz viele Räume, selbst durch Blumen und Deko nicht gemütlicher werden“, so Lorenzen. Und fügt erleichtert hinzu: „Aber man will da ja auch nicht leben!“

Die wohl präzisesten Backstage-Vorgaben überhaupt machen hingegen ausgerechnet die alten Metal-Haudegen von Metallica. Acht Papiermeter Garderobenanweisungen owie eine Zeichnung der gewünschten Anordnung auf dem Büffet (!) schickten James Hetfield & Co. an die Caterer von „Behind the Scenes, Inc.“- aus Platzgründen haben wir nur einen Auszug aus diesem Epos abgedruckt (oben rechts). Selbst die langhaarigen Gitarrenhelden also ernähren sich nicht (mehr) nur von Sex & Drugs & Rock’n’Roll, und in der Branche geht sogar das Gerücht, Keith Richards hätte auch nur Tee in seiner Whiskey-Flasche. Ein Lebemann der alten Schule war da eher noch Frank Sinatra: die Liste dessen, was er allabendlich in seiner Garderobe vorzufinden wünschte (rechts), weist 01′ Blue Eyes selig als wohl einen der letzten wirklich Hartgesottenen einer Zunft aus.

Auch deutsche Bands achten :lerweile auf ihre Ernährung, Ole Plogstedt und Jörg Raufeisen vom Catering-Service „Rote Courmet Fraktion“ (kurz RGF) wissen. Die RCF sind die Stamm-Verpfleger für Bands wie Die Ärzte, Die Toten Hosen oder Rammstein – also eher die etwas härteren Party-Genossen, möchte man meinen. Aber obwohl „natürlich immer noch gekifft wird“, so Plogstedt und Raufeisen, sehen sie sich keineswegs als die zentralen Organisatoren von ausufernden BackstageOrgien. Im Gegenteil:“Natürlich feiert man auch mal eine Nacht durch, vor allem wenn der nächste Tag frei ist. Aber Bands, die schon ‚länger dabei sind und noch eine Weile dabei bleiben wollen, achten ganz extrem auf ihre Ernährung, und die Crew sowieso.“ Denn Crewmitglieder-Beleuchter, Bühnenarbeiter, Roadies usw. – machen den Job meistens viel länger als jeder Musiker, die Rolling Stones vielleicht mal ausgenommen. Da kann man halt nicht jeden Tag saufen, rumhuren und Fritten fressen.

„Wir betrachten den Eßraum als so etwas wie den zentralen Marktplatz“, sagen Ole und Jörg, „und wir bemühen uns, allen Beteiligten das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Wir kochen also alles frisch, gehen jeden Tag einkaufen, servieren >

das Essen portionsweise auf Porzellantellern. Büffets, und Räumlichkeiten dekorieren wir schräg und individuell – da hängen dann halt ein paar Gliedmaßen aus Plastik rum,daneben steht eine Carrera-Bahn. Oder wir machen mit unserer Großhirnform Grießpudding, der kommt immer gut an.“Typisch für die RGF: Zur Release-Party der Ärzte-Single „Männer sind Schweine“ stellten sie einen echten Schweinekopf aufs Büffet -Rock’n’Roll-Catering funktioniert eben doch ein ganz klein wenig anders als die Ausrichtung einer Hochzeit im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Zu den weiteren Highligts der RGF-Küche an einem ganz beliebigen Tourtag gehören: Zuckerschotensuppe mit Minze, Barberie-Entenbrust mit karamelisierter Orangensauce, süßes Milchreis-Sushi. Und zu Ostern backen die schöngeistigen Herren Küchenchefs auch schon mal einen Kuchen, auf dem in geschwungenen Lettern steht „Verfickte Ostern, ihr Schwanzlutscher!“

Für die ca. 80 Leute auf einer Tour bauen Jörg und Ole jeden Morgen die Küche neu auf

(„Wir brauchen nur Strom und Wasser, alles andere bringen wir selbst mit“), machen Frühstück, Schnitten, einen leichten Lunch, drei abendliche Hauptgerichte (Fisch, Fleisch, vegetarisch),Obstkörbe, Salate und dann noch ein paar Gute-Nacht-Brote für die Weiterfahrt im Bus. Die RGF begleitet ihre Kunden auf deren Gesundheitstrips: Rammstein-Stahlkörper Till Lindemann geht täglich schwimmen und trinkt der Stimme zuliebe heiße Milch mit Honig, Die Ärzte entsaften täglich eine Kiste Orangen. Und der neueste Drink-Tourhit aus dem Hause RGF ist frischgepreßter Saft aus Rote Beete, Karotte, Apfel und Sellerie mit einem Schuß Öl – supergut für Stimmen und Stimmung!

Gerade die Frontmänner und -frauen müssen natürlich auf ihre Verdauung achten. „Die hopsen da zwei bis drei Stunden auf der Bühne rum, das geht nicht gut mit vollem Bauch“, weiß man bei der RGF. Also essen die Bühnentiere vier Stunden vor der Show einen Teller Nudeln, die sind rechtzeitig verdaut und geben lange Power. „Campino fährt vor den Konzerten meist mit Rollerskates durch die leere Halle, um sich die Zeit zu vertreiben“, erinnern sich die RGF-Chefs grinsend,“manchmal holt er sich die Nudeln auch auf Skates ab. Einmal kam er kurz darauf wieder, total voll mit Tomatensauce, und bat etwas kleinlaut um einen neuen Teller voll -der hatte sich so richtig auf die Fresse gepackt.“

„Wer keine Zeit hat, zum Essen zu kommen, dem bringen wir auch mal was auf die Bühne oder sonstwohin, egal ob Musiker oder Crew“, sagen die RGFIer.“Und Sonderwüns chjg lP’suchen wir natürlich . .auctarffrfüllen. Die Beastie Boys zum Beispiel sind Veganer, die essen nicht mal Milchprodukte und bestanden auf Öko-Spinat ¿und Ginseng-Wurzeln. Haben wir ih ¿ n beim Öko-Bauern besorgt. VVu sind halt so eine Art Tante-Emma-Laden.“ Überhaupt macht die RGF immer das beste aus den Gegebenheiten: „Wir waren auf Tour mit den Immaculate Fools und Inchtabokatables“,erinnern sie sich,“und es war so kalt, daß sogar das Klo im Tourbus einfror. Also servierten wir statt Bier eben heißen Irish Coffee. Das war klasse!“ Nur Putencurry gibt’s bei der RGF – wie bei allen Caterern, die noch etwas länger im Geschäft bleiben wollen-einzig auf ausdrücklichen Wunsch der Künstler.