Man


Wer Man noch vor ein paar Jahren für "das bestgehütete Geheimnis der englischen Rockszene hielt", lag zweifellos richtig. In ihrem britischen Heimatland kannte sie kein Mensch, aber das verwunderte auch nicht weiter. Sie lebten ja nicht einmal dort! Deutschland war ihr Domizil und bei uns gehörten sie zu den ganz Großen, zu den populärsten Underground-Bands überhaupt.

Seitdem hat sich aber viel getan. Seit etwa zweieinhalb Jahren zählen sie nun auch in England zu den Topgruppen. Fast über Nacht brach dort völlig unerwartet das Wales-Fieber aus. „Welsh“-Bands genossen plötzlich den besten Ruf, und Zeitungen wie Radiostationen übertrafen sich gegenseitig an Lobeshymnen und Prognosen, die sofort von einem spezifischen Stil wissen wollten. Und bald war Man das musikalische Aushängeschild von Wales.

Erfolg über die USA

Typischerweise genügten die deutschen Pressestimmen aber nicht, um Man die nötige Popularität zu garantieren und der ganze Trubel, der hierzulande um sie veranstaltet wurde, ebensowenig. Die Band mußte erst erfolggekrönt aus den Staaten zurückkehren, um den „verwöhnten“ Engländern zu zeigen, welch ein Juwel sich da in ihren (überaus patriotisch angehauchten) Reihen befand. Für die langjährige Verschmähung konnte Man dann aber schnell mit einer Art Reue und Wiedergutmachung in der Heimat rechnen, und aus dieser Situation heraus entstand die Welsh-Rockszene, jedenfalls die offizielle.

Rock aus Wales

Sooo vielseitig und farbig wie es einige Schreiber gerne gehabt hätten, sah es in Wales allerdings nicht aus. Achtzig Prozent der dortigen Szene besteht aus Man-Musikern, alten und neuen. Die Band hält schließlich den Rekord an Umbesetzungen, und da fällt schon einiges an Ex-Mitgliedern ab. Für den Rest gehört Man zu den lokalen Gottheiten und wird daher mehr oder weniger gut kopiert. Da sind z.B. Help Yourself, die Neutrons, Bees Make Honey, Ducks de Luxe und einige unbekanntere Vertreter. Daneben gibt es freilich auch ein paar eigenwillige Kreativlinge wie Dave Edmunds, der mit seinen Platten und dem eigenen Studio nicht unbedeutend für die Wales-Szene war und ist. Seine Gruppe Love Sculpture war. eine der ersten walisischen Bands überhaupt, die überregionalen Erfolg ernten konnte.

Man’s Favoriten

Mit anderen Worten: Wer die Sachlage dort kennt, ist zu Recht stolz auf Man. Einzig und allein sie sind es, die einen völlig eigenwilligen Stil entwickelten und ein Profitum und eine Clevemess an den Tag legen, die es verdient, erwähnt zu werden und die dem in sie gesetzten Vertrauen alle Ehre macht. Ihr Stil besitzt freilich auch seine Vorläufer, und die großen Favoriten der Band wie die amerikanischen Westcoasters Greatful Dead, Jefferson Airplane, die Steve Miller Band oder Quicksilver sind oft genug herauszuhören. Insbesondere Quicksilver, oder genaugenommen der Kopf der Gruppe, sollte noch einiges mit der Entwicklung von Man zu tun bekommen.

Bill Graham setzt auf Man

Es ist völlig verständlich, daß ihr britischer „Westcoast“-Rock besonders in der Gegend von Los Angeles und San Franzisko stürmisch begrüßt wird. Promoter-Guru Billy Graham zählt sie zu seinen Lieblingskindern und hat dementsprechend einiges für sie getan. Zum Teil kündigte er sie höchstpersönlich an und bei einem Konzert im „Winterland“ steckte er ihnen einen zusätzlichen Tausender zu und überreichte ihnen begeistert eine Videoaufnahme ihres Auftrittes. Das gab Auftrieb und erklärt, warum die anfangs so üble Tour zum Schluß doch noch zu einem Triumphzug für Man wurde.

Erste Chart-Aktivitäten

Der Enthusiasmus der Amerikaner färbte letztlich auch auf die bornierten Engländer ab, und wie es so kommt, waren Man plötzlich die „Größten“. (Von allein kommen die wohl nicht auf so was!?) „Back Into The Future“ jedenfalls, das siebente und doppelte Album, erreichte als erste Man-LP die britischen Charts Mitte ’73. Ohne Amerika hätte es sicher noch Jahre mit der verdienten Anerkennung gedauert. Die Platte danach, „Rhinos, Winos and Lunatics“ bekam sogar den Blick auf die Top Ten freigegeben, und alles schien in Ordnung. Nach fünf langen Jahren regte sich endlich das breite Interesse für Man.. Aber allzulange sollte das nicht dauern.

John Cippolina

Auf ihrem zweiten Amerika-Ausflug lernten sie John Cippolina kennen, den Chef der alten, aber unvergessenen Quicksilver. Besonders Deke Leonard, Man’s Leadgitarrist verehrte ihn und betete ihn an. John lud die Gruppe zu sich ein, es wurde gejammert und gesoffen, und am Schluß waren sich alle einig, daß John bei ihrem nächsten Auftritt bei der Zugabe auf die Bühne kommen sollte. Die Zugabe kam gut an, dabei blieb es aber nicht…

Mit John nach Europa

Die Leute drüben waren begeistert, und es ergab sich, daß Cippolina Zeit hatte, mit der Band für eine kleinere Tour nach Europa zu kommen. Seine eigene Truppe „Terry and the Pirates“, ein (nur) lokaler Aufreißer, konnte währenddessen warten. In England kündigte die Presse die vielversprechende Fusion in riesigen Lettern an, und im Sommer dieses Jahr ging’s dann los. Einer der Gigs wurde „live“ mitgeschnitten und erschien nun dieser Tage auf Platte. Er bewies leider, daß das Zusammentreffen doch nicht so glänzend ausfiel wie man gedacht hatte.

Totale Finsternis

„Maximum Darkness“ nennt sich das Machwerk und trägt diesen vieldeutigen Titel nicht zu Unrecht. Vorne auf dem Cover ist Gppohnas Gitarre zu sehen, die deutlich macht, wer die dominierende Rolle bei diesem Spiel spielt. Der ehrliche und vielleicht auch selbstkritische Titel verrät, daß man offenbar gar nicht mehr so zufrieden damit war, als die Scheibe gepreßt wurde. Cippolinas Fähigkeiten waren eindeutig vorrangig gegenüber Man und deren Musik. Micky Jones, der einzige „Mann“, der von Anbeginn an (’68) in jeder der Man-Besetzungen mitwirkte, läßt den Vermutungen freien Lauf – mehr noch:

Eine Illusion geht baden

„Die Geschichte raubte uns eine Menge Illusionen. Man hat natürlich über Leute wie John mit der Zeit so einiges angesammelt, eine hohe Meinung usw., aber diese Illusionen waren schnell verschwunden. Ähnlich ging es uns, als Elvis zum erstenmal nach Europa kam.“ Die Stücke, die später auf die Platte kommen sollten, waren vorher eingehend besprochen worden: Zwei alte Man-Klassiker, ein Song von Deke’s alter Gruppe „Iceberg“ und zwei, die eher in der Tradition von Cippolina zu finden sind und die mit Man an sich recht wenig zu tun haben.

Schwierigkeiten

Schon beim Konzert begann es. Die Musiker und besonders die drei (!) Gitarristen hörten sich teilweise gar nicht, und der Sound auf der Bühne war mörderisch. John war es gewohnt, laut und heavy zu spielen und brachte dadurch den ausgewogenen Man-Sound völlig durcheinander. Außerdem war er weder bereit noch fähig, einige der alten Nummern der Gruppe in Angriff zu nehmen. Und schließlich wurden die fertigen Aufnahmen beim Mischen auf ihn abgestimmt, was auch nicht gerade zu einer Verbesserung der Qualität führte. Von der kurzen Zeit die für Proben zur Verfügung stand, redet man besser gar nicht. Kurz: Die „Togetherness“ war einfach nicht vorhanden.

Schlechte Kritiken

Das Experiment, das mit so viel Vorfreude und Hoffnungen begonnen hatte, ging also in die Hosen! „Es war nur ein Experiment, und als permanente Sache wäre es ohnehin für uns nicht tragbar und möglich gewesen“, entschuldigt Micky den Mißgriff. Die englische Presse freilich ließ kein gutes Haar an ihnen. Die Platte sei gänzlich unwichtig, weder so gut wie Quicksilver und schon gar nicht zu vergleichen mit alten Man-LP’s usw. Wie es heute scheint, lief das ganze Unternehmen auf einen cleveren Streich von ein paar tüchtigen Managern hinaus, worin ja besonders die Engländer in den letzten Jahren wahre Meisterleistungen vollbracht haben.

Ein neuer Bassist

Nach der Sommertour verließ der „Immer-mal-wieder-Man-Bassist“ Martin Ace die Gruppe, und seitdem sind die Mannen wieder mal dabei,einen Neuen ausfindig zu machen. Aber es soll diesmal keiner aus der Wales-Clique sein, darüber sind sie sich einig: „Wir brauchen neues Blut, das uns und das Publikum wieder ein wenig hochbringt. Der neue Baßmann muß sich total von allen vorherigen unterscheiden und muß vor allem sehr melodisch beeinflußt sein.“ Diese Wandlung hängt nicht zuletzt mit dem neuen Stil zusammen, den Man seit ihrer letzten Studio-LP vor „Maximum Darkness“, dem Album „Slow Motion“, angesteuert hat.

Ein neuer Stil

Für jeden hörbar wurde ihre Musik einfacher, rockiger und weniger monoton und magisch, und gerade das hatte bisher ihre Stärke ausgemacht. Vielleicht finden sich die Gründe dafür in der neuerlichen Quartett-Form oder in der Sache mit Cippolina, wer weiß …

Der veränderte Stil unterscheidet sich aber nicht grundsätzlich vom alten – so viel Risiko wäre ja nicht tragbar – aber für eingefleischte Fans wird es sicherlich ein böses Erwachen gewesen sein. Wer jahrelang mit einem Underground-Status gelebt hat und diese Nachteile und Schwierigkeiten kennengelernt hat, hat irgendwann einmal die Schnauze gestrichen voll davon. Und das scheint mir jetzt bei Man eingetreten zu sein.