Mando Diao: Rebels With A Cause


Mit euphorischen Streichern, akustischen Gitarren und unbekannten Sängerinnen in der Hinterhand traten fünf Schweden an, ihrer Plattenfirma in den Hintern zu treten. Dass mehr daraus wurde, liegt nicht nur an Mando Diao, sondern auch an einem verrückten Produzenten.

Die Nachricht kam plötzlich und überraschend: Mando Diao veröffentlichen noch in diesem Herbst ein neues Album. Nur ein Jahr nach ihrer dritten Platte „Ode To Ochrasy“ und direkt im Anschluss an eine lange Tour erscheint also schon jetzt das vierte Album Never Seen The Light Of Day. Dabei hatte man doch in der letzten Zeit immer wieder davon gehört, die Band überlege, alles etwas ruhiger angehen zu lassen. Vielleicht vorerst komplett auf Konzerte zu verzichten. Den Trubel des Rockstarlebens ein bisschen hinter sich zu lassen. Zur Ruhe zu kommen. Abzuschalten.

Mit Verlaub, verehrte Herren, das passt doch nicht zusammen: Abschalten und dazu gleich mal einen neuen Longplayer raushauen. Die fünf süßen Schweden sind aber viel zu sehr auch die netten, ehrlichen Kerle aus der mittelschwedischen Provinz Dalarna, als dass sie uns lange mit Halbwahrheiten abspeisen würden. „Wir dachten einfach, das letzte Weihnachten sei ein ganz guter Zeitpunkt, um ein neues Album aufzunehmen“, unternimmt Björn Dixgard einen einzigen, sympathischen Versuch in dieser Richtung, während die beim Interview anwesende Frau von der Plattenfirma missmutig dreinblickt, „neue Songs gab es genug, wir hatten zwei Wochen off, und wir fanden es perfekt, wieder kreativ zu sein.“ Aber man sieht es ihm und den anderen an: Die ganze Wahrheit spricht er nicht.

Wir ziehen also eine Augenbraue hoch, und während die Plattenfirmenfrau jetzt so richtig sauertöpfisch schaut, richtet sich Gustaf Noren in seinem Sessel auf und schaut uns durchdringend an: „Es war ein bisschen schwierig zwischen uns und der EMI“, sagt er mit tiefer Stimme. „Wir mussten noch eine Platte mit ihnen machen. Wir mussten uns entscheiden. Wir hätten entweder einen langen, nervenaufreibenden Streit anfangen und gegen die EMI vor Gericht ziehen können, um aus dem Vertrag herauszukommen. Oder wir konnten halt ein Album aufnehmen.“

Wir sitzen in der Lobby eines Nobelhotels in der Innenstadt von Stockholm. Draußen ist es kalt und klar, der Herbst bricht so langsam über die Stadt herein. Mando Diao sind wütend, wütend und enttäuscht. Der für sie bei EMI zuständige Artist & Repertoire-Manager wurde entlassen, und seitdem ist das Verhältnis zwischen der Band und ihrer Plattenfirma nur von Streitereien geprägt. Alle Freiheiten, die ihnen früher eingeräumt wurden, nahm man ihnen weg; die Band wurde von Entscheidungen, die sie zuvor komplett alleine treffen konnte, kategorisch ausgeschlossen.

Letztes Jahr mussten die fünf aus Borlänge sogar darum kämpfen, dass ihr drittes Album „Ode To Ochrasy“ überhaupt veröffentlicht wurde. Die Plattenfirma war der Meinung, es werde sich nicht verkaufen lassen, wegen des Covers, wegen der Produktion, wegen der Songs. „Dann wurde es unser bisher erfolgreichstes Album“, lacht Gustaf, doch sein Lachen klingt trocken und bitter: „In den letzten fünf Jahren ist kein Geld aus CD-Verkäufen bei uns angekommen. Da läuft etwas sehr falsch! Dass unser A&R gefeuert wurde, war ein harter Schlag ins Gesicht. Er war der einzige dort, der sich für uns einsetzte, und wahrscheinlich war er auch der einzige dort, der uns jemals richtig verstanden hat. Wenn sie ihn nicht mögen, heißt das, sie mögen uns auch nicht. Und was tut so eine Plattenfirma schon? Wir spielen die Gigs, wir schreiben die Songs, wir bringen das Geld ein. Sie sind nutzlos. Promotion ist nicht schwer, wir können auch selber Musikexpress anrufen und sagen ,Hey, this is Mando Diao, we got a new record,you wanna do an interview?'“ Samuel Giers, der Schlagzeuger, bringt es auf den Punkt: „Dafür, dass wir so lange und hart für die Firma gearbeitet haben, sollten wir mehr Geld verdienen oder zumindest mehr Freiheiten haben.“ Die Frau von EMI hat uns längst den Rücken zugedreht.

Wenn man ein Album als Rebellion aufnimmt, um so schnell wie möglich aus dem Plattenvertrag herauszukommen, kann es dann überhaupt noch Teil einer natürlichen Entwicklung als Band sein?

Samuel Giers: Ja, das kann es schon. Die neue Platte ist trotz der Umstände relativ natürlich entstanden.

Carl-Johan Fogelklou: In gewisser Weise hat uns die Situation sogar geholfen. Wir möchten nicht, dass die EMI an uns noch Geld verdient, also konnten wir mit den Songs machen, was wir wollten.

Gustaf: Wir haben zum Beispiel kaum elektrische Gitarren auf dem Album. Wenn wir unter irgendeinem Druck gestanden hätten, hätten wir das niemals so gemacht.

Björn Dixgard: Wir waren viel offener, weil es überhaupt keine Vorgaben und Erwartungen gab.

Gustaf Koren: Es gibt den Songs viel mehr Luft, wenn man nur mit akustischen Gitarren spielt. Auf „One Blood“ und „Mexican Hardcore“ gibt es elektrische Gitarren, nämlich genau eine, und man nimmt sie sehr intensiv wahr. Es ist wie damals bei Jimi Hendrix, da hatten sie auch sehr viele akustische Gitarren und dann seine elektrische, und sie klingt wie die elektrischste Gitarre, die man sich vorstellen kann. Bei „Ode To Ochrasy“ hatten wir drei oder vier E-Gitarren auf jedem Song!

Björn: Das ist das Ergebnis unserer Eigenproduktion. Wir wissen nicht richtig, wie man produziert, und so legen wir immer mehr Zeug übereinander. Das ist das gute an Björn, er traut sich, Songs zu reduzieren.

Der Björn, von dem hier die Rede ist, ist Björn Olsson. Björn Olsson spielte früher bei Union Carbide Productions und The Soundtrack Of Our Lives und lebt mittlerweile auf einer Insel bei Göteborg, wo er eigenbrötlerisch jede Menge Instrumentalplatten aufnimmt. Mando Diao verehren ihn. Er sollte eigentlich schon das letzte Album „Ode To Ochrasy“ produzieren, in dessen Booklet nur der Satz „This album could have been produced by Björn Olsson“ von der missglückten Zusammenarbeit kündet. Damals hatte alles ganz gut angefangen, er machte die Band experimentierfreudiger. Doch dann begann es, kompliziert zu werden. „Sein Lieblingsland auf der Welt ist Deutschland“, grinst Gustaf heute, „und irgendwann erfuhr er, dass wir dort ziemlich erfolgreich sind. Das machte es sehr schwierig für ihn, das Album zu produzieren.“ Irgendwann wurde es zu schwierig, und die Band vollendete „Ode To Ochrasy“ allein. Schon damals betonte vor allem Gustaf immer wieder, dass es das noch nicht gewesen sei, man wolle unbedingt noch eine Platte mit Björn Olsson aufnehmen. Dass es bei „Never Seen The Light Of Day“ jetzt schneller als erwartet geklappt hat, liegt daran, dass die Band in der Tour steckte und nur zwei Wochen Pause hatte. Hätten die Aufnahmen länger gedauert, da ist sich Samuel lachend sicher, hätten die Probleme bestimmt wieder angefangen. Aber auch die Tatsache, dass das Album als Rebellionsgeste gegenüber der Plattenfirma geplant war, ließ Björn Olsson hellhörig werden. „Ich habe ihm gesagt: Wir planen ein Album, das nichts verkaufen soll. Wir planen ein Album, um die Plattenfirma bankrott gehen zu lassen.'“, erinnert sich Gustaf lachend, „und DA wollte Björn das Album unbedingt aufnehmen. Er war stolz, Teil einer Platte zu sein, die aus ihrem System ausbrechen wollte.“ Mando Diao gingen nach den Aufnahmen an Weihnachten das Frühjahr und den Sommer über wieder exzessiv auf Tour und überließen Olsson den Finishing-Prozess alleine. Das Ergebnis gefällt ihnen sehr gut.

Samuel: Wir haben jetzt keine Angst mehr davor, Instrumente wegzulassen und neue hinzuzufügen, denn es wird immer noch klingen wie Mando Diao. Ich finde das sehr seltsam, aber wir haben offenbar unseren eigenen Sound entwickelt, und der hat nicht mit den Instrumenten zu tun.

Habt ihr Angst, dass ihr mit dem neuen Sound alte Fans verliert?

Gustaf: Mein Gott, wenn die Leute die E-Gitarren vermissen, sollen sie doch eine alte Black Rebel Motorcycle Club-Plane hören. Gibt es bei den Songtexten einen roten Faden, ein Leitmotiv, ein Konzept, so wie bei Ode „To Ochrasy“?

Samuel: Dafür ging das alles viel zu schnell. Manchmal haben wir die Songtexte nur auf ein Stück Klopapier gekritzelt. War alles sehr spontan.

Gustaf: Das Konzept auf diesem Album ist der Sound. Es ist ein sehr rauer, sehr schwedischer Sound, inspiriert von 500 Jahre alter Musik aus Dalarna, als die Musik nur aus einer Geige, einer Gitarre und Gesang bestand. Das haben englische und US-Bands nicht: die schwedische Kultur.

Samuel: Das war eine lustige Erfahrung. Normalerweise brauchen wir sehr lange, und wenn man viel Zeit hat, über die Musik nachzudenken, wird es immer schwerer, die Songs gut zu finden. Man nimmt einen Song auf, geht nach Hause und hört ihn an, verändert etwas, geht nach Hause und hört ihn noch mal an, verändert wieder etwas und so geht das zehn Tage lang. Dieses Mal haben wir die Songs einfach aufgenommen und sind zum nächsten übergegangen. Beim „Finishing“ waren wir ja nicht mehr dabei. Björn hat uns nur beschissene MP3S geschickt und gefragt, was wir davon halten. Aber auf Tour kann man sich auf so etwas nicht konzentrieren und deshalb war zumindest ich total gespannt auf das Ergebnis.

Gustaf: Björn rief ständig an und sagte so was wie: „Slide Guitar. I think we gonna have slide guitar on every song“ oder „Girls“ We need girls, a lot of girls, beautiful girls singing on the songs. And we need strings, a lot of strings.“ und wir haben ihm gesagt: Mach einfach, was du willst.

Björn: Letztendlich kann man bestimmt zehn Menschen auf unserer Platte hören, die wir noch nie gesehen haben. Wenn wir die Songs hören, haben wir nur unsere eigene romantische Vorstellung davon, wie sie aussehen könnten, (lacht) Interessant: Ein Album, das entstand, um einen Plattenvertrag zu beenden, stellt den bisher größten musikalischen Entwicklungssprung in der Geschichte von Mando Diao dar. Die Verbindung aus schnellen, energischen Songs mit Mando Diao-typischen Melodien, Streichern und akustischen Gitarren öffnet eine neue Dimension im Mando Diao-Sounduniversum. Es rückt die Band etwas näher an schwedische Kollegen wie Shout Out Louds, Peter Björn & John und Moneybrother heran. Wir äußern den Verdacht, dass „Never Seen The Light Of Day“ mit der üblichen Dichte an Hits gegen die ursprüngliche Absicht sehr wohl ganz gut verkaufen könnte, und Mando Diao stimmen zu. So entspannt und locker, wie die Band hier in der Hotel-Lobby sitzt, scheint sie damit aber zufrieden zu sein. Obwohl Keyboarder Mats Björke kein einziges Wort sagt und den Mund nur öffnet, um ab und zu zu gähnen – vielleicht fühlt er sich immer noch wie das neueste Bandmitglied -, ist die Band eine eingeschworene Gang. Gustaf stellt den gefährlichen Gangleader dar, er liebt die Inszenierung und übernimmt den Großteil des Redens. Björn dagegen ist der sympathische Sidekick, er lächelt verständnisvoll, wenn Gustaf ihn mal wieder unterbricht, und wenn er scherzt, wartet er unsicher unsere Reaktion ab, bevor auch er wieder lächelt. Samuel Giers, der hinter seinem Schlagzeug zu einem Tier werden kann, überlegt lange und formuliert konkret. Carl-Johan Fogelklou hat offenbar einen witzigen Tag. Der niedliche Bassist mit den großen Augen sitzt meist zurückgelehnt da und schweigt, um sich dann irgendwann vorzubeugen und Pseudo-Philosophisches wie „Musik muss die Kontrolle über die Musik übernehmen. Kunst muss die Kontrolle über die Musik übernehmen. Die Seele muss die Kontrolle über die Musik übernehmen“ von sich zu geben. Nun erscheint also das neue Album bald, aber ob es eine Tour gibt, ist noch unklar. Während Gustaf davon spricht, vielleicht nur zwanzig Konzerte in den wichtigsten Städten zu geben, sagt Björn Dixgard, dass sich niemand gerade danach fühle, wieder in den Tourbus zu steigen. Nach sechs Jahren, die damit ausgefüllt waren, Platten aufzunehmen und auf Tour zu gehen, sehnt sich die ganze Band danach, sich erst einmal irgendwo niederzulassen. „Wir hätten gern ein eigenes Studio, wo wir ein Schild mit unserem Namen aufhängen können. Ein Ort, über den wir sagen: Wenn du uns anrufen willst, ruf uns dort an. Wenn du uns etwas schicken willst, sende es hierher.“ Das Studio wird in Stockholm stehen. Mittlerweile wohnen alle hier und die Stadt wird jeden Tag ein bisschen mehr die neue Heimat von Mando Diao. Wir stehen mittlerweile auf dem Dach des Hotels, hoch oben über der Stadt. Der Wind pfeift der Band um die Ohren, der Fotograf liegt in den unmöglichsten Haltungen auf dem Boden, am blauen Himmel ziehen weiße Wolken vorbei. Plötzlich pfeift jemand „Gold“, den Song mit der euphorischen Streichermelodie, der mit seiner Burt-Bacharachschen Poppigkeit hierher passt, als sei er für diesen Moment geschrieben. Björn grinst und singt mit. Als wir vor ein paar Minuten die enge und lange Feuerleiter hochkletterten, war er grün im Gesicht vor Höhenangst. Jetzt steht er neben uns, schaut auf die Stadt herunter und seufzt: „Gerade fühle ich mich hier sehr wohl.“

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