Melancholiker [maulfaule]


Milennia Nova: Zwei schüchterne Münchner Soundfrickler basteln den schönsten Zeitlupen-Pop, den man bisheraus deutschen Landen zu hören bekam - mit freundlicher Hilfe u.a. von Iggy Pop.

Maulhelden sind anders: Als der Mann vom Musikmagazin Ihres Vertrauens Milennia Nova an einem Novemberabend zum ersten Mal in ihrem Studio besucht, um ihr drittes Album vorgespielt zu bekommen, machen Mathias Neuhauser und Michael Meinl keinerlei Anstalten, ihm ihr neues Werk irgendwie anzupreisen. Stattdessen kramen sie, während der Gast es sich zwischen den Lautsprecherboxen bequem macht, erst mal ein wenig in ihrem Equipment herum, um ihm dann geschlagene 70 Minuten lang still, aber konzentriert beim Hören zuzuschauen. Nachdem der Mann vom ME schließlich (mit zunehmendem Staunen) diesem wehmütigen Soundtrack for imaginary movies gelauscht hat, kommt es doch noch zu einem ersten Gespräch in der charmanten, mit halboffenen Festplatten und allerlei Vintage-Rock’n’Roll-Equipment voll gestellten Soundbastelstube in einem Hinterhof im Altmünchner Stadtteil Au. Sie bekommt durch ein großes Deckenfenster sanftes Tageslicht und ist, sagt der etwas gesprächigere Neuhauser, für die beiden Milennia Nova-Musiker nicht nur Arbeitsraum, sondern auch „Freizeitspielwiese ich hab hier sogar schon eine Weile gewohnt“. Es ist der „Mittelpunkt unseres Lebens seit Jahren“, konkretisiert sein musikalischer Partner. Vier Jahre, in denen die beiden in stiller Geduld und mit großer Detailverliebtheit am Nachfolger zu ihren beiden Alben „Nice Mysterious Heavy Stuff“ (1997) und „Slow E-Motion Sightseeing“ (1999) gebosselt haben, ein paar Jobs als Soundtrack-Komponisten für Werbefilme, Ferien und „den einen oder anderen psychischen Hänger“ eingerechnet.

Nur einmal sind sie in dieser Zeit versuchsweise ihrem kleinen Kreativparadies untreu geworden, „als wir noch der Trennung von unserer alten Plattenfirma nicht mehr weiterwussten. „Da haben sie sich ein Zimmer in Palma de Mallorca gemietet, um dort auf neue Klänge zu kommen – „das hat aber nicht wirklich funktioniert“, seufzt Michael leise. Schließlich ging es dem stillen Duo um nicht weniger als eine grundlegende Neudefinition seines Sounds: „Wir hatten das Gefühl, mit den Mitteln der Sample-Technik eigentlich alles ausgereizt zu haben, was uns musikalisch interessierte. Und wir wollten mit dem neuen Album unbedingt eine neue Dimension für uns erschließen. „

Als wir uns einige Wochen spater zum „offiziellen“ Interview in einem Cafe in der Münchner Innenstadt treffen (im Studio sind gerade Umbauarbeiten im Gang), zeigt sich erneut: Geniale Selbstverkäufer, wie man sie im Musikbusiness so häufig trifft, sind die beiden wahrlich nicht. Ihre Welt ist eben eher die der Klänge als die der Worte, sie sind keine Poseure und schon gar keine Programmatiker – weshalb man nach Treffen mit ihnen durchaus verblüfft sein kann von der ruhigen Originalität und unaufdringlichen Intelligenz der Klanglandschaften auf dem nun endlich vollendeten dritten Album „Narcotic Wide Screen Vista“ (immerhin der Titel ist also programmatisch), das Ende Februar in die Läden kommen soll. Fast entschuldigend sagt Michael: „Im Konzept von Millenia Nova sollten eigentlich noch nie wir als Personen im Vordergrund stehen, sondern die Verbindung zwischen guter Musik und dem Kino im Kopf des Hörers.“ In Letzterem kann sich während der elf Tracks allerdings in der Tat eine Menge abspielen: Hier entfalten sich musikalische Panorama-Einstellungen voller Melancholie, mit viel Tiefe und klanglicher Phantasie inszeniert. Und es kommen durchaus

unterschiedliche Einflüsse zusammen: Der 34-jährige Mathias bringt nach eigener Einschätzung eine eher „gitarrentastige, poppige, harmonisch und melodiös ausgerichtete, von der psychedelischen Phase der Beach Boys bis zu heutigen Bands wie Coldplay inspirierte“ Note ins Spiel, während sein 27-jähriger Kompagnon früh mit klassischer Musik zu tun hatte, dann eine Zeit lang Techno produzierte, inzwischen aber „komplett weg von der Elektronik “ ist. Die hatte ihre ersten beiden Alben noch stark geprägt, mit denen Millenia Nova selbst in England auf offene Ohren gestoßen waren.

Doch die weitgehende Abwendung von elektronischem Instrumentarium ist nicht die einschneidendste Veränderung auf „Narcotic Wide Screen Vista“: „Der größte Sprung war für uns, erstmals mit Gesang zu arbeiten“, betonen sie unisono. Weil sie aber nun mal keine Maulhelden sind und sich sängerisch nicht viel zutrauen, haben Neuriauser und Meinl eine ganze Reihe interessanter Gastsänger angeheuert: Vivid-Frontmann Thomas Hanreich, Slut-Sänger Chris Neuburger, die ehemalige Sneaker Pimps-Chanteuse Kelli Ali und Alison von der maltekischen Band The Beangrowers haben sich genauso auf dem Album verewigt wie ein ganz Großer des Rock: James Newell Osterberg alias Iggy Pop singt den härtesten Song des Albums, „Rockicide“. Der legendäre Stooges-Gründer war zum Mitmachen bereit, weil er einen älteren Millenia Nova-Track aus dem Programm einer New Yorker Radiostation kannte. Beim Stichwort Iggy wird Mathias Neuhauser zum ersten Mal richtig gesprächig: „Ich bin zum Aufnehmen zu ihm nach Miami gefahren, habe bei ihm zuhause gewohnt und bin auch mit ihm ausgegangen. Wobei man berücksichtigen muss, dass Iggy inzwischen 55 Jahre alt ist – man darf sich das Ausgehen also nicht so vorstellen, dass wir da Crack rauchend in den Slums abhingen, sondern man fährt halt ganz entspannt mit seinem Cadillac durch die Gegend, geht mal hier einen Kaffee trinken und dort schön essen. Die wilde Nummer braucht der einfach nicht mehr – er ist ziemlich ruhig. Er erzählt eine Menge Geschichten, aber er tut das unglaublich langsam – vielleicht wirkt da ja das Heroin noch nach… Zum Zeitpunkt des Interviews sind Miltenia Nova noch nervös, ob Iggy seine Zusage einhalten wird, auch im Video zu „Rockicide“ zu erscheinen. Manager Tom Scherer beruhigt: „Es wird auf jeden Fall was, das haut hin….“ Weil sie ihre Hörer endlich auch mal zu Gesicht bekommen wollen [„Leute, die verstehen, dass wir keine Blender sind und keine Helden figuren brauchen „), planen Milennia Nova für das Frühjahr zum ersten Mal in den sieben Jahren ihrer gemeinsamen Zeit auch Livekonzerte. Und noch etwas haben sie vor: „Wenn unser Studio fertig umgebaut ist, wollen wir auch da endlich mal Lärm machen. Schließlich haben wir bisher immer nur in Zimmerlautstärke produziert.“ www.millenianova.de