Millennium Special: Die 80er


J. R. und Jacko, Tutti Frutti und Trio, Dirty Dancing und die Dire Straits - die 80er Jahre waren so vielfältig wie widersprüchlich. Und sie bescherten uns MTV.

„THE REVOLUTION WILL NOT BE TELEVISED“, VERKÜNDETE Gil Scott-Heron 1974. Irrtum. Die Revolution wird sehr wohl im TV übertragen, mehr noch: Das Fernsehen ist die Revolution, auch wenn sie zunächst im kleinsten Kreis stattfindet, in ein paar Bars und Büros in den Vereinigten Staaten. Über die Mattscheibe flimmert an diesem 1. August 1981 ein Astronaut, der einen Fahnenmast in die Oberfläche des Mondes pflanzt. Drei Buchstaben prangen auf dem Banner: ein großes „M“, dazu – etwas kleiner „TV“ und darunter die zwei Wörter: „Music Television“. „Wir hielten es einfach für eine gute Idee, einen der größten Augenblicke der Menschheit für unsere Zwecke zu verwenden“, wird sich später Tom Freston, einer der MTV-Zauberlehrlinge, erinnern. „Think big“, was sonst? Schließlich stecken mit Warner und American Express verkable Konzerne hinter der Gründung des Musikkanals. I

Und nach dem ersten Clip, „Video Killed The Radio Star“ von den Buggles (geht’s noch prophetischer?), ist sowieso alles anders. Kulturpessimisten hadern, doch die Nation schaltet ein, was das Zeug hält: 2,1 Millionen im Griindungsjahr, achtmal soviel nach 24 Monaten. Sechs Jahre sowie etliche Fusionen und Umstrukturierungen später ist Europa an der Reihe. Lang genug hat Dire Straits-Cleverle Mark Knopfler in „Money For Nothing“ gefleht: „I want my MTV.“ Genau dieser Song markiert im August 1987 diesseits des Großen Teiches den Start in die schöne, neue Fernsehwelt. Alles so schön bunt hier, und alle sind glücklich. Alle?

Zeit für einen kurzen Rückblick auf die Pop-Welt kurz vor der Kultur-Revolution: John Lennon stirbt am 8. Dezember 1980 vor dem New Yorker Dakota Building, tödlich getroffen von den Schüssen, die Mark David Chapman auf den Ex-Beatle abfeuert, just als der an der Seite Yoko Onos mit dem Album „Double Fantasy“ wieder ein Lebenszeichen von sich geben will. Den Fans bleibt sein musikalisches Vermächtnis und die Trauer. Überall auf der Welt weinen sie, stellen Kerzen auf und singen die alten Lieder: „Give Peace A Chance“ und „Imagine“ und „All You Need Is Love“. TV-Stationen senden Nachrufe, Radiosender spielen ausschließlich Beatles- und Lennon-Songs, die Platten-Preßwerke pressen ausschließlich Beatles- und Lennon-Platten. Diese erdumspannenden Trauerreflexe künden aber gleichzeitig auch vom endgültigen Ende einer gemeinsamen Jugendkultur, lassen ein letztes Mal die Träume und Ideale von einst aufflackern, als man noch naiv an etwas – Liebe? Frieden? Glück? Rock’n’Roll? – glauben konnte. Als Figuren wie dieser renitente Rocker mit der Nickelbrille die Träume der Rock-Generation verkörperten. Auch wenn sich das am Ende nur als schöne Illusion erweist.

Auch sonst besteht zu Euphorie kein Anlaß. Am 11. Mai 1981 verliert Bob Marley in Miami den Kampf gegen den Krebs, Dylan flüchtet in die Religion, die Stones und Neil Young erschöpfen sich nach kurzem kreativen Zwischenhoch in Routine oder wirren Experimenten. Led Zeppelin und andere Rock-Dinos haben längst aufgehört zu existieren, und wenn nicht, haben sie – wie Pink Floyd anno 1979 mit „The Wall“ – Barrieren zwischen sich und ihrem Publikum errichtet. Selbst Punk hat mit der Tragödie um Sid Vicious und Nancy Spungen im Chelsea Hotel und dem unrühmlichen Ende der Sex Pistols seine Kraft verloren. Malcolm McLaren, geschäftstüchtiger Manager und praktizierender Zyniker, nennt zwei eilig zusammengeschusterte Alben „The Great Rock’n’Roll Swindle“ und „Flogging A Dead Horse“. Wie sangen die Stranglers 1977? „No more heroes anymore.“ Stimmt.

Was so schlimm nicht wäre, denn schon mehr als einmal hat sich der Rock’n’Roll aus sich selbst heraus erneuert. Doch woher sollen diesmal die Impulse kommen, wo die alten Helden müde sind und neue (noch) nicht in Sicht? Andererseits: Können sich nicht gerade dadurch neue Wege öffnen hin zu musikalischen Ausdrucksformen abseits der Vier-Viertel-Seligkeit? Und richtig: Wo vor 15 Jahren „Clapton is God“ stand und vor weniger als fünf „No Future“, heißt das Motto nun, nach einer Phase der Konsolidierung: „Let’s dance“ (courtesy by David Bowie, 1983).

Und wie sie tanzen, hauptsächlich zu einem seltsamen Phänomen, das New Wave heißt und nichts anderes ist als Pop mit Punk im Hinterkopf und Amüsement im Sinn, mit Billig-Synthesizer statt Gitarre, mit abgedrehten, gern auftoupierten Frisurmonstem und Klamotten, die entweder schwarz sein müssen oder derart grellbunt, daß jeder Paradiesvogel blaß wird. Der natürliche Lebensraum dieser Spezies, die sich wundersame Namen gibt wie Culture Club, Duran Duran, ABC, Spandau Ballet, Human League, Depeche, Mode, Wham!, Yazoo, Scritti Politti, Pet Shop Boys oder Eurythmics, ist der Club, ihr Medium das Video oder die Maxi-Single, die mehr Platz bietet als eine Single und weniger Leerlauf befürchten läßt als eine LP. Bestes Beispiel: Soft Cells „Tainted Love / Where Did Our Love Go“, das im Sommer 1981 einschlägt wie eine Granate, ein schwülstiger Ohrwurm mit unwiderstehlichem Groove und schmachtenden Vocals. Pop eben, der alles erlaubt. Auch politische Statements: „We don’t need that fascist groove thang“, erklären Heaven 17 kategorisch. Der Tanzboden bebt, und man staunt, wie sexy Protest plötzlich sein kann. Eine neue Generation von Songschreibern frönt unterdessen ebenfalls mit ansehnlichem Erfolg und Geschick einem hemmungslosen Eklektizismus. Elvis Costello oder Joe Jackson – um nur die zwei prominentesten Beispiele zu nennen – plündern die Pop-Geschichte und basteln aus Versatzstücken erstaunlich eigenständige Gesamtkunstwerke.

Daß sich Hits auch mühelos am Fließband fertigen lassen, mag keine Entdeckung der Achtziger sein. Schließlich haben damit in den Sechzigern schon Figuren wie Mickie Most oder Robert Stigwood gutes Geld verdient, in den Siebzigern die Herren Mike Chapman und Nicky Chinn (Suzie Quatro, Sweet, Mud, Smokie). Aber Mike Stock, Matt Aitken und Peter Waterman perfektionieren die Masche der Altvorderen, gelten als erfolgreichste Hitfabrik der Dekade und hieven musikalische Leichtgewichte wie Jason Donovan, Rick Astley, Kylie Minogue oder Samantha Fox in die Charts und auf die Titelseiten der bunten Blätter. Zum Glück ist der Spuk bald wieder vorbei.

ERSTAUNLICH GENUG ABER, DASS SICH DEUTSCHLAND von der plötzlichen Leichtigkeit des Seins anstecken läßt und Stars produziert, die jeden teutonischen Schwermut vermissen lassen und auch nicht gewillt scheinen, sich weiter anglo-amerikanischen Klangklischees auszuliefern. Was Sache ist, machen die dem Punk entsprungenen Fehlfarben deutlich. „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Es geht voran.“ Und das tut es in der Tat: Trio („Da Da Da“), Ideal („Berlin“), Andreas Dorau („Fred vom Jupiter“), Nena („99 Luftballons“), DAF („Tanz den Mussolini“), der Österreicher Falco („Der Kommissar“) und viele andere sorgen für neue Töne irgendwo zwischen Schlager, Dada und minimal art. Motto: „Gib Gas, ich will Spaß.“ Das Ganze nennt sich „Neue Deutsche Welle“ und wird prompt von der geldgierigen Industrie inflationiert, inklusive dämlichem NDW-Film mit Markus und Darling Nena. Der schrille Spuk ist allerdings genauso schnell vorüber wie er aufgetaucht ist, hinterläßt aber eine Handvoll talentierter Köpfe. Wer’s nicht gar so locker flockig mag, wie unter dem „NDW“-Label üblich, kommt ebenfalls auf seine Kosten. So kommen die Oberlehrer-Oratorien eines Heinz Rudolf Kunze gar zu kurzfristigen Hit-Ehren, sorgt Herbert Grönemeyers Parolen-Pop aus Bochum für Millionenumsätze und gibt der Ruhrpott-Schlaks Westernhagen als „Theo“ den lagger für Arme. Zudem gelingt es dem „Südstadt-Dylan“ Wolfgang Niedecken und seiner anfänglich unbedarften Truppe BAP, der Nation Kölsch als neues Rockidiom beizubringen. Erstaunlich genug – hat da einer behauptet, Pop und deutsche Sprache gingen nicht zusammen? Paßt doch prima.

Mächtig was los also in den Charts der Welt, zumal auch das häßliche Monster des Hardrock wieder einmal sein Haupt hebt und die Massen in seinen Bann schlägt. Neue Bösewichter reiten auf der „New Wave Of British Heavy Metal“ daher, Iron Maiden, Saxon, Judas Priest, Def Leppard, The Tygers Of Pan Tang oder Motörhead mit Namen. Dazu gesellen sich die Krachmacher aus Libersee: Poser wie Twisted Sister, Cinderella und Mötley Crüe, Hitmaschinen wie Van Haien oder Kult-Kapellen wie Guns N’Roses. Doch es geht auch ohne Oropax, immerhin mischen einige Überlebende früherer Epochen noch munter mit. Bruce Springsteen dehnt seine Konzerte auf viereinhalb Stunden aus und räumt nach dem introvertierten „Nebraska“ mit „Born In The USA“ im großen Stil ab, Phil Collins lenkt das frühere Artrock-Flaggschiff Genesis auf Pop-Kurs, den auch Ex-Vorsänger Peter Gabriel eingeschlagen hat, und beschert uns nebenbei mit dem Big Beat seiner Snare einen Trademark-Sound, der fortan auf kaum einer 80s-Produktion fehlt. Ähnlich erfolgreich schippern in der breiten Mainstream-Fahrrinne Joe Cocker, Tina Turner, die Dire Straits – und natürlich die Seventies-Band, die wie keine andere zwischen die Boy Georges, George Michaels und Gary Numans dieser hedonistischen Dekade paßt: Queen, die mit „Another One BitesThe Dust“ oder, an der Seite des Kollegen Bowie, „Under Pressure“ in Clubs wie in Stadien für Stimmung sorgen. „Wunderbaren Wegwerf-Pop“ nennt Freddie Mercury seine Artefakte in ebenso sympathischer wie souveräner Selbsteinschätzung. Ein Etikett im übrigen, das auch wunderbar auf andere (Ton-)Konserven dieser Dekade paßt.

ZUR HEERSCHAU DER ARRIVIERTEN gerät am 13. Juli 1985 das von Ex-Boomtown-Rat Bob Geldof initiierte Live-Aid-Festival, das Zigtausende von Fans ins Londoner Wembley Stadion und ins John F. Kennedy Stadium nach Philadelphia sowie eine halbe Milliarde Menschen vor die Fernsehgeräte lockt. Was angesichts des Aufmarsches von 60 (!) Weltstars kein großes Wunder ist. Ein solches freilich will Saint Bob, wie er fortan genannt wird, für die Hungernden in Äthiopien bewirken. 50 Millionen Dollar Live-Aid-Erlös gehen an die Welthungerhilfe. Geboren wurde die Idee im Herbst 1984, als sich – ebenfalls auf Betreiben Geldofs – die Aushängeschilder des britischen Pop im Studio treffen, um die Benefiz-Single „Do They Know It’s Christmas?“ einzuspielen. Mit beiden Aktionen tritt Sir Geldof eine Hilfswelle ohnegleichen los. US-Künstler wie Michael lackson, Springsteen, Dylan und andere illustre Gäste singen im Chor „We Are The World“, Springsteen-Sideman Steve Van Zandt organisiert die „Artists Against Apartheid“, Ex-Police-Mann Sting will im Alleingang den Regenwald retten und wirbt mit Peter Gabriel oder U 2 bei der „Conspiracy Of Hope“-Tour für amnesty international, Willie Nelson und Neil Young laden zum „Farm Aid“-Festival für die amerikanischen Landwirte. Und auch hierzulande schlafen die Gutmenschen nicht. Die Creme der deutschen Szene singt an gegen den Hunger in der Welt („Nackt im Wind“), gegen NATO-Nachrüstung oder die geplante Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf.

Derlei Aktionen sind gut fürs Renommee aller Beteiligten. Und für die Umsätze. Denn es läßt sich nicht leugnen: Mitte der Achtziger steckt die Musikbranche in einer tiefen Krise. Im ersten Halbjahr 1984 liegt der Tonträgerverkauf in Deutschland um sechs Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums. Ein Trend, der sich schon länger abzeichnet: Zwischen 1978 und 1983 bricht fast ein Viertel des Marktes weg. Da nimmt sich der von Phillips und Sony entwickelte neue Tonträger wie ein Geschenk des Himmels aus. Compact Disc, kurz CD, nennt sich das digitale Wunderding mit dem (vermeintlich) besseren Sound, das 1985 seinen Siegeszug antritt und die gute, alte LP völlig verdrängt. Millionen von Musikliebhabern tragen ihre Vinyl-Schätze zum Second-Hand-Dealer – vermutlich könnte sich heute manch einer dafür ohrfeigen. Für den Erlös kaufen sie sich den kompletten Backkatalog ihrer Lieblinge noch einmal auf Silberling. Das Business brummt wieder, der Rubel rollt. Crisis? What crisis?

Keine Krise auch im Untergrund. Ja, den gibt es tatsächlich noch, auch wenn er im Augenblick kleine Brötchen backt. In schuhschachtelgroßen Clubs und winzigen Studios, ähnlich denen, die den Ausbruch des Punk erlebten, werden Gitarren und Drums auf eine Art und Weise traktiert, die mehr an einen Flugzeugabsturz als an Buddy Holly erinnert. Fernab musikindustrieller Zwänge sägen in den USA Bands wie Sonic Youth, Pixies, Hüsker Du, Meat Puppets oder Replacements an Musik für die Moderne und verbreiten diese dann per College-Radio (einem Medium, das mit dem Siegeszug des grauen Einerlei der Formatradios immer mehr an Bedeutung gewinnt), derweil in Europa The Jesus & Mary Chain, Echo & The Bunnymen, The Cure, The Smiths und andere an ihrem Kultstatus meißeln. Doch am Ende gelingt mal gerade zwei Eighties-Bands der Aufstieg in die Superstarliga. Beide stammen interessanterweise aus der Pop-Provinz: Die eine, R.E.M. aus Athens im US-Bundesstaat Georgia, geht als punkige Byrds-Kopie an den Start, spielt ihren ersten Gig am 5. April 1980 bei der Geburtstagsfeier einer Freundin und wird die Dekade mit einem Multimillionen-Deal beim Branchenführer Warner, dem Bestselleralbum „Green“ und dem Hit „Pop Song 89“ (sie!) beenden. Die andere, U2, besteht aus vier Schulfreunden aus Dublin, von denen zwei merkwürdige Namen tragen (Bono Vox? The Edge??) und die sich beim Covern von Patti Smithund Television-Stücken eingestandenermaßen so dusselig anstellen, daß sie lieber eigene Songs schreiben, mit der LP „War“ zu Bannerträgern des Rock werden und alsbald mit Brian Eno, Daniel Lanois und anderen Größen zusammenarbeiten. Bei ihnen steht am Ende des lahrzehnts einTburneefilm samt zugehörigem Doppelalbum („Rattle And Hum“) zu Buche – und die Erkenntnis, daß Predigen nicht alles und eine zünftige Show auch eine ganze Menge wert ist.

Diese Philosophie haben erst recht eine Dame und zwei Herren verinnerlicht, die dieser Dekade ebenfalls ihren künstlerischen Stempel aufdrücken und schon mit ihren Namen zeigen, wen man vor sich hat: Madonna. Prince. Und der „King Of Pop“, Michael Jackson. Dank egomanischer Videos, Filme, Hits und Alben bilden sie alsbald die heilige Dreifaltigkeit des Music-Biz: Madonna mit perfektem Pop, exzessivem Exhibitionismus und manipulativen Fähigkeiten, die ihresgleichen suchen; Michael Jackson mit perfektem Pop, exzessivem Versteckspiel und einer Bühnenshow, die ihresgleichen sucht; und schließlich Prince, der alle Genre-Grenzen aufhebt und von dem sogar Miles Davis 1988 sagt: „Ich glaube, er weist mit seiner Musik in die Zukunft.“ Noch etwas steht für den großen Jazz-Trompeter fest: „Auch heute sind es die Schwarzen, die zeigen, wo’s langgeht – mit HipHop und Rap.“ Der Mann hat recht. Wie recht, werden viele freilich erst in den Neunzigern begreifen. Dabei reichen die Anfänge weit zurück, vielleicht bis zum „talking blues“ Anfang des Jahrhunderts, mindestens aber bis zu Sylvester Stewart, jenem Sly, der mit seiner Band Family Stone 1969 Respekt forderte („Don’t Call Me Nigger, Whitey“) und der zwei Jahre später warnte: „There’s A Riot Goin‘ On“. Oder bis zu James Brown und seinen „Say It Loud I’m Black And I’m Proud“-Slogans. Oder bis zum oben schon erwähnten Gil Scott-Heron, dessen Songs Manifesten glichen und programmatische Titel („Guerilla“, „Ghetto Style“) trugen. Die Kids in den Elendsvierteln zwischen Bronx und Brixton hören, verstehen und starten ihr eigenes Ding. Kurtis Blow aus New York, einer der Pioniere des Rap, erinnert sich: „Mit 13 sah ich diesen großartigen DJ Jones in einer Midtown Disco. Er mixte den Beat so, daß aus einer zwölf Sekunden langen Beat-Figur ein funfminütiges Stück wurde.“ Zwei Plattenspieler für die Grooves, ein Mikro für die Rhymes, das korrekte Bewußtsein plus die nötige Street Credibility, und es kann losgehen: 1979 verkauft sich völlig überraschend „Rapper’s Delight“ von einer Truppe namens Sugarhill Gang millionenfach, doch so richtig ernst wird es mit dem Rap erst 1982, als Grandmaster Flash And The Furious Five auf „The Message“ sagen, was Sache ist in der „Neighbourhood“: „Broken glass everywhere, people pissing on the stairs, you know they just don’t care.“ Run-DMC melden sich lautstark zu Wort, setzen auch modemäßig (Hüte, Anzüge, Adidas-Sneakers, Goldketten) Akzente und veröffentlichen 1986 mit „Raising Hell“ ein Monument aus Rap und Rock, derweil sich Public Enemy als Politiker und die Beastie Boys als Partytiere gebärden.

Auf dem Dance-Floor gibt es – getreu des „You gotta say yes to another excess“-Postulats des Schweizer Klangkollektivs Yello – fortan kein Halten mehr: Was gewiefte Produzenten da in ihren Sound-Hexenküchen remixen, dubben und durch Echokammern jagen, läßt sich bald nur noch mittels neuer Maßeinheit darstellen: „Beats per minute“, kurz „bpm“, werden das Maß aller Dinge. Der Pionier des Genres, das ein paar Jahre später als Techno die Welt erobern wird, heißt Frankie Knuckles, ist ein DJ aus Chicago und hat bereits Ende der Siebziger Discoklänge mit elektronischer Musik verknüpft und das Ergebnis bis zum Anschlag hochgepitcht. Doch erst Jahre später, 1987, hat sich dieser hochoktanige Musikmix, House genannt, durchgesetzt. Damit steht das Tor zu einem neuen Paradies offen: dem der vergnügungssüchtigen, modebewußten Raver, die im Stroboskop-Gewitter tanzen wie die Motten im licht.

Zur gleichen Zeit, viel weiter westlich: In düsteren Kellern hängen Gestalten mit langen Haaren, karierten Hemden und zerschlissenen Jeans herum, die mit Partys nichts, mit Punk dagegen ganz schön viel im Sinn haben. „Slacker“ wird man sie nennen, weil sie so verschnarcht daherkommen, durch halbgeschlossene Lider blinzeln und Dinge denken wie: „Here we are, now entertain us.“ Was noch keiner ahnt: Bald, sehr bald wird diesen Schlaffis die Welt zu Füßen liegen. Bald, sehr bald wird die Welt (wieder einmal) reif sein für die Rettung des Rock’n’Roll. Reif sein für(s) Nirvana. Und für „Nevermind“.