Mink De Ville


Erst flippten die Kritiker aus, dann schlug das Rock-Volk zu: Mit ihrem in ernstzunehmenden Musikzeitschriften euphorisch begrüßten Debutalbum zog die neue New Yorker Band Mink DeVille in den USA, in Deutschland und in England in die LP-Hitlisten ein. Soviel Erfolg auf den drei wichtigsten Plattenmärkten der Welt hatte bislang noch keine New Wave-Band. Ende September traten Mink DeVille auch dreimal in der Bundesrepublik auf: bei einer internen Fete der Plattenfirma EMI in Köln, im total überfüllten Berliner Kant-Kino und im nicht minder ausverkauften Hamburger Szenen-Treff „Onkel Pö“. Die Konzerte werden wohl in die deutsche Rockgeschichte eingehen, weil sie einfach traumhaft gut waren — lockere Country-Rocker vertraten diese Meinung ebenso wie gestandene Soul-Fans oder engagierte New Wave-Anhänger. Vor dem Kölner Auftritt nahm Wolfgang Bauduin Mink De Ville und vor allem den Sänger der Band, Willy De Ville, unter die Lupe.

Auf der Kellertreppe des bürgerlichen Nobel-Saals krümmt Willy DeVille seine ungefähr 190 Körperzentimeter fröstelnd zusammen, blinzelt aus wachen Habichtaugen im kalkweißen Gesicht und stemmt den Daumen gegen die Schneidezähne. Derweil tritt die Toilettenfrau vor uns irritiert von einem Fuß auf den anderen. Was verständlich ist, denn neben ihr kauert Willy’s Frau Susan, auch ,Toots‘ genannt, auf der Heizung und retuschiert ihr undezentes Make-Up. Und wenn Willy schon wie Nosferatu’s Assistent wirkt, dann ist Toots garantiert eine leibhaftige Tochter des Grafen Dracula: Ring in der Nase, toupierte Hochfrisur, spätsechziger Minirock, zwei breite Laufmaschen, schwarze Lederstiefel.

„Sag ihm doch, daß sich seine Platte bei uns oben wahnsinig gut verkauft“, hechelt der Hamburger EMI-Vertreter, Marke Mini-Pli und Charme & Anmut.De Ville’s Willy hört sich die Übersetzung befriedigt an. „Klar doch“, sinniert er tiefgründig, „solch gute Musik muß sich auch verkaufen“. Wie das? Ist der jetzt auch schon total vom Business vereinnahmt und produziert nur noch aalglatte Antworten? Ganz im Gegenteil: Dies hier ist Willy DeVille ratlos, hin- und hergerissen zwischen plötzlicher (sowie sehr angenehmer) Publicity und merklicher Antipathie gegenüber den gängigen Mechanismen der Popwelt. „Willy, freut es dich, etwas über deine Plattenumsätze zu hören?“ „Mmmh ja…“. Pause! „Mmh, der Firmenmann da ist natürlich nett, meint es gut, aber der spricht wohl nicht zu mir persönlich, der spricht über das Produkt Willy DeVille, das er bestmöglich zu verhökern hat“.

Wenn Willy sich selbst als grundehrlicher Musiker bezeichnet, wie hält er dann den Konflikt zwischen Persönlichkeit und Produkt, zwischen ehrlich sein und vermarktet werden aus? „Mmh, nicht. Halt, doch… man muß Kompromisse eingehen, aber es dürfen nicht zu viele sein, hörst du? Nicht zu viele. Man sollte so lange wie möglich versuchen, man selbst zu sein. Noch geht’s bei mir… mmmh weiß nicht, noch geht’s!“

Willy krümmt sich wie eine Kobra über das Mikro

Derartig nachdenkliche Aussagen passen zu Willy DeVille, dem vierundzwanzigjährigen Sänger, Gitarristen und Anführer der momentan vielleicht heißesten Band beiderseits des Atlantiks: Mink DeVille. Im privaten Gespräch wirkt Willy ein bißchen introvertiert, manchmal ironisch und bemerkenswert charmant — ein Typ, der einen durch sein Wesen sofort für sich einnimmt. Auf der Bühne sieht die Sache anders aus: Da kehrt Willy den Bedrohlichen heraus, krümmt sich über dem Mikro wie die Kobra vor dem zu Tode erschrockenen Kaninchen. Dann erst kommt seine 1977er Entenschwanzfrisur richtig zur Geltung, dann erst fühlt man sich von dem wahlweise in Schwarz und Lila oder aber in Schlangenlederjacke gekleideten Schmächtling überwältigt. Die Band hinter ihm bewegt sich kaum, aber vorne zieht der hagere Willy die Augen auf sich: nicht etwa, weil er eine vordergründige Show abzieht, sondern weil auch er sich nur sparsam bewegt, aber Mann, mit einer Körpersprache, die’s wahrlich in sich hat. Willy zwingt den Zuschauer geradezu, sich auf ihn zu konzentrieren: Der erhobene Zeigefinger, die leger in die Hosentasche gesteckte Hand, das hypernervös im Takt zitternde Knie, damit vermittelt Willy seine Ausstrahlung, erzeugt Spannung bis zur Rasiermesserschärfe. Und wer nicht genau aufpaßt, hat die Hälfte schon verpaßt.

Wenn Willy erscheint, lassen die Leute im Publikum die Kinnladen fallen

Wenn Willy auf der Bühne erscheint, gibt’s keine „Hurra, er ist da“-Schreie im Publikum, nein, da läßt man nur noch die Kinnladen fallen, bringt mühsam ein „Ooohh“ zustande und fragt sich, ob das alles noch Realität ist. Diese unwahrscheinliche optische Ausstrahlung wird dann noch unterstrichen, wenn Willy die ersten Töne von sich gibt, ein Wechselbad aus kehligen Ursschreien, sanften Schmeicheleien und trotzigen Stakkatos. „Viele Kritiker haben deine Stimme mit der von Van Morrison, Mick Jagger oder Lou Reed verglichen“, frage ich. „Und manche meinen, du würdest diese Leute kopieren!“ Willy funkelt mit den Augen: „Schwachsinn, so was. Morrison, Reed, paah. Und Jagger, kann der tanzen, kann der singen, eeh?“ Also wieder mal das alte Übel, daß manche Kritiker auf Teufel komm‘ ‚raus Parallelen finden wollen? „Klar, und dabei übersehen diese Leute, daß wir alle, auch Jagger und Reed, bloß so’n paar wichtige Sänger von noch früher verehren. Ben E. King, die Ronettes, die Drifters oder Little Richard, die haben uns alle beeinflußt.“ Und wodurch fühlt sich Willy beim Komponieren beeinflußt? Durch New York? „Nee, ich schreib die Songs halt, einfach, so. Da kommen New York, London, Hollywood zusammen, weil ich da überall mal gelebt hab'“. Also sieht Willy keine gemeinsame Basis mit beispielsweise Blondie oder Television, denen man nachsagt, sie seien von der Atmosphäre dieser Stadt beeinflußt? „Blondie, blaah blahh. Und Television, na hör‘ mal, kann Tom Verlaine tanzen, kann der singen, kann der Songs schreiben?“ Mein Einwand, Television’s Tom Verlaine könne aber doch zumindest gute Songs schreiben, stößt auf eindeutige Ablehnung: Willy wendet sich ab, Toots verzieht ihr Gesicht zu drohender Grimasse. „Uuh, Television, shit“.

Willy De Sade tummelt sich in der kalifornischen Sado-Maso-Szene

Das mag alles ziemlich arrogant klingen, aber ich bin sicher, daß Willy DeVille sich selbst gar nicht für den Größten hält, sondern solche Aussagen reine Abwehrreaktionen sind. Andauernd mit Jagger verglichen zu werden, muß einem zwangsläufig auf den Geist gehen. Trotzdem: Zeitweise traf diese Parallele deutlich zu. Auf dem inzwischen fast schon legendären Sampler „Live From The CBGB’s Club, New York“, auf dem Mink DeVille mit drei Songs vertreten sind, klingt Willy in der Tat stark nach Jagger. Aber das hat er sich heute zum Glück abgewöhnt. Auf Mink DeVille’s Debut-Album, dessen Beschriftung offen läßt, ob es nun „Mink De Ville“ oder „Cabretta“ heißt, zieht er schlicht die Register, zu denen sein Organ fähig ist. Mit genügend Böswilligkeit kann man dort Vergleiche zu Lou Reed, Van Morrison oder eben Jagger ziehen, könnte sogar behaupten, Willy’s Version des alten Crystal-Hits „Little Girl“ klinge so, als wenn Paul Jones, der frühere Manfred Mann-Sänger, wiederauferstanden wäre. Aber das ist insgesamt Humbug. Willy klingt wie DeVille, basta.

Wie wuchs Willy auf, was hat er früher gemacht? „Nichts, rein gar nichts. Ich hab‘ täglich, so wie wir jetzt hier, auf der Treppe vor der Haustür gesessen und den Autos nachgeschaut“. Na, jedenfalls war Willy es eines Tages doch leid, Auspuffgase zu riechen und verließ ungefähr 1970 diesen abgründigen Schmelztiegei namens New York. Er zog nach London, trieb sich ein paar Monate um den Piccadilly Circus herum, sang auf der Straße, ging zurück nach New York und landete schließlich in San Francisco. Hier suchte er sich eine Band zusammen, befreunde sich mit dem Bassisten Rüben Siquenza und dem Schlagzeugerr T.R. „Manfred“ Allen und probte die Schattenseiten des Showgeschöfts mit großer Intensität. Zunächst als The Lazy Aces, später unter dem Namen Billy DeSack &. The Marquis spielte die Band in Clubs wie „Folsom Street Bararacks“, einem Zentrum der kalifornischen Sado-Maso-Szene.

„Irgendwann hatten Ruben, Manfred und ich dann die Nase voll von diesem Flower-Power-Kalifornien, wir wollten nach New York zurück, Mann; vor allem ich steht‘ auf New York“, resümiert Willy. In seiner Heimatstadt schmiedete er erste, auf Mink DeVille zielende Pläne, besorgte in Louic X. Erlanger einen Leadgitarristcn und mit Ritch Colbert noch einen Tastenfühler. Auf dem „CBGB“-Sampler wirkt Colbert nodi mit, drei Monate nach diesen Aufnahmen wurde er gegen Bobby Leonard getauscht.

Sieht Willy seine Band als Teil der Punk- oder New Wave-Szene? „Quatsch, Punk… New Wave, nee, gefällt mir auch nicht. Ich meine, wir spielen ja nun keine Songs mit bloß drei Akkorden. Und die Ohrringe hier, die trag‘ ich schon seit drei Jahren, weil ich die scharf finde. Aber Sicherheitsnadeln am Ohr, was soll das? Und dann diese Sache bei den Punks, von wegen, wer in zehn Minuten die meisten Frauen verhaut, da steh‘ ich überhaupt nicht drauf“. Wie würde also Willy seine Musik nennen? „Pachuco-Rock, wegen dem spanischen Zeugs“.

Möglicherweise war’s dieser spanische Hauch in der Mink De Ville-Musik, die Ben Edmonds, dem Talentsucher von Capitol-Records, so gefiel, daß er die Band unter Vertrag nahm, anstatt der ursprünglich eingeplanten und ebenfalls auf „CBGB“ vertretenen Tuff Darts. Und während Willy in irgendeinem Lokal drei Jamaicaner – Max Bowman, Mike Johnson und Val Hernon — entdeckte und diese unter dem Namen „The Immortais“ als Backing-Chor in die Gruppe einbrachte, fand Ben Edmonds bereits mit Jack Nitzsche den Mann, der das Debütalbum von Mink DeVille produzieren sollte. Wenn man nun bedenkt, wie sehr Willy solche Stars der fünfziger und frühen sechziger Ja tue wie Ben E. King, Phil Spector oder die Drifters verehrt und wie deutlich seine Musik vom Rock’n’Roll, speziell aber vom Rhythm’n’Blues beeinflußt ist, dann erscheint Nitzsche’s Wahl zum Produzenten wie ein Geistesblitz. Jack Nitzsche nämlich gilt nicht nur als einer der brillantesten Arrangeure im Rock, sondern konnte bei den Aufnahmen zu „Mink DeVille“ die ideale Brücke über die Jahrzehnte hinweg schlagen: Phil Spector, Crystals, Ike & Tina Turner, Lee Hazelwood, Crazy Horse, Neil Young und nicht zu vergessen die frühen Rolling Stones gehörten zu den Künstlern, die er dereinst betreute.

„Jack ist fantastisch, unendlich einfühlsam“, schwärmt Willy. „Und dann noch Steve Douglas, der Saxophonist auf der LP, der ist auch irre. Momentan arbeiten wir zwar mit Joe Siazini zusammen, weil Steve Studioarbeiten erledigt, aber danach wird er wieder bei uns sein“.

Die Zufriedenheit, mit der Willy über das Album spricht, ist zutiefst berechtigt. Unter all den vorzüglichen New Wave-Veröffentlichungen der letzten Monate ragt „Mink DeVille“ noch merklich hervor: „Spanish Stroll“ als idealer Hit, der einem ins Ohr kneift, „Mixed Up Shook Up Girl“, „Little Girl“, die kommende Single, und dazu der unentwegt losziehende „Cadillac Walk“ oder „She’s So Tough“ -Songs, die einerseits schnell am Trommelfell hängenbleiben, andererseits aber von erstaunlicher Langlebigkeit sind (siehe Plattenkritik im ME 9/77). Sogar in der BRD verkaufte sich das Album ohne größere Werbung binnen der ersten beiden Wochen elftausendmal, die Single „Spanish Stroll“ ähnlich oft! Aber nicht bloß die Kritiker und überraschend viele Fans zeigen sich begeistert, selbst einige Kollegen fressen Willy mittlerweile aus der Hand: Keith Richard, Mick Jagger, Jimmy Page, Ronflie Wood sowie die versammelten Crosby, Stills und Nash fanden sich kürzlich bei einem lew Yorker Mink DeVIlle-Konzert ein.

Was bedeutet eigentlich das Wort „Cabretta“ auf dem LP-Cover? „Uuh, Cabretta ist ’ne besondere Art von Leder“, meint Herr DeViHe. „Feine Jackets gibt’s davon, rauh und doch sehr weich!“ Und wie, glaubst Du, sieht deine Zukunft aus? „Cadillac… nee, Rolls Royce, und dann kauf ich mir eine Menge Kleider, verdunkle meine Fensterscheiben, winke den Fans gütig von oben herab zu… haha, nein, alles, nur das nicht. Kurz, ich weiß nicht, wie’s aussehen wird. Ich mach‘ meine Sache, so gut ich kann, bringe Musik, auf der ich und die Band und die Fans und auch die Kritiker… du bist doch einer, häää?… also auch ihr Kritiker steht. Aber du hast die Reihenfolge bemerkt!?!“ Moment, Willy, können Kritiker nicht zugleich auch Fans sein? „Jaa, die Mischung soll’s auch geben“. Und woran glaubst Du, politisch oder moralisch oder sonst wie? „Magie, Mystik, so was. Sieh mal, es gibt schwarze und weiße Kräfte…“. Und dann hebt Willy zu einer Exkursion über Magie und Übergeistiges an, wozu Toots mehrfach bestätigend nickt.

Anschließend stakt er über den dunklen Hof, Toots eingehakt, die Jungs seiner Band um ihn herum. Den treffendsten Satz über ihn las ich in der englischen „Sounds“: „Sympathy for the DeVille!“ Muß man einfach haben!