Mittelalter Sack with attitude


Ganzkörperpianist. Familienvater. Interkontinentalpendler. Käpt'n Kirks persönlicher Rick Rubin. Subversiver Lügenbold. Zauber- künstler. Ben Folds. Fast hätte er hingeschmissen, jetzt hat er eine neue Platte fertig. Ganz ohne Hilfe von Bill Clinton.

Bevor wir anfangen, holen Sie bitte Ihren ME Ausgabe Januar 2005 aus dem ledernen Sammelordner und schlagen Sie Seite 18 auf. Nehmen Sie einen Edding zur Hand und streichen Sie in der Rubrik „11 Fakten über Ben Folds“ unter Punkt 8 die Zeilen: „Mr. Folds und der Ex-Mr.-President und Hobby-Saxofonist Bill Clinton scheinen eine Bekanntschaft zu pflegen. So stieg Clinton bei einem Folds-Gig Ende 2002 als Gaststar auf die Bühne und jammte mit Folds zu einer Version von Wham’s ‚Careless Whispers‘.“ Oder wenn Sie ein Problem mit solch Orwellianischer Realitätskosmetik haben, unterringeln Sie die Sätze. Sorgen Sie nur dafür, daß Sie sie nicht unkommentiert weiterverbreiten. Daß Bill Clinton für Ben Folds ins Horn stieß, ist nämlich eine Lüge (auf die reingefallen zu sein den Autor freilich zerknirscht; es gibt aber mildernde Umstände; dazu später), lanciert nicht von anonymen Internet-Spaßvögeln, sondern von Folds höchstselbst. Ben Folds ist nämlich ein Medienskeptiker und als solcher zu subversiven Späßen aufgelegt. Besonders das Internet ist ihm suspekt, mit seinen unkontrollierbar fuchtelnden Kräften und seiner Macht, Wirklichkeit zu konstruieren. „Ich habe dieses Gerücht in Umlauf gebracht, um den Leuten zu zeigen …“, sagt Folds und bricht ab. Wir sind am Ende eines Telefoninterviews – in Folds‘ Wahlheimat Adelaide, Australien, ist es früher Abend -und Folds hat so viel über Politisches geredet, daß er jetzt offenbar lieber mal die Bremse zieht, bevor er zu sehr wie ein Dozent rüberkommt. Er schluckt das „… wie manipulativ dieses Medium wirken kann und wie leicht man davon manipuliert ist“ hinunter, erspart dem Autor so eine Prise Salz mehr in der Wunde und erzählt stattdessen, wie es zu der Clinton-Session kam. „Ich spielte diese Show und mir spukten ein paar so komische Internet-Gerüchte im Kopf rum, die mal wieder im Umlauf waren, über alles mögliche. Und ich sagte: ‚Kids, passt mal auf.Was im Internet steht, ist die Wahrheit, oder? Also machen wirfolgendes: Wenn ihr später ein Posting über dieses Konzert macht, dann schreibt bitte, dass Bill Clinton heute abend mit mir Saxophon gespielt hat. Erfindet irgendeine Geschichte. Das ist unser kleines Geheimnis.‘ Und sie hielten Wort. Zu dem Publikum am nächsten Abend sagte ich: ‚Okay Leute, das war Bullshit gestern mit Bill Clinton. Aber ihr geht heute bitte nach Hause und schreibt Postings, daß ich heute abend geschwebt bin.‘ Danach bekam mein Management tatsächlich Anrufe: ,Wir haben gehört, daß Ben geschwebt ist! Wie macht er das?'“

Seine deutschen Fans verblüffte der David Copperfield des Pianopop über die letzten Jahre hinweg mit einem anderen Trick: Er machte sich unsichtbar. So lange, wie Folds hierzulande von der Bildfläche verschwunden war – sein letztes Album ROCKING THE SUBURBS erschien vor knapp vier Jahren, seither gab es keine Konzerte in Europa, eine Liveplatte (ben folds live) und zunächst auch die vier E.P.s von 2004 wurden hier nicht veröffentlicht -, können ein paar Eckdaten nicht schaden. Benjamin Scott Folds, geboren am 12. September 1966, aufgewachsen in Chapel Hill, North Carolina. Ende der 80er Bassist der Band Majosha, erste E.P. PARTY NIGHT: FIVE SONGS ABOUT JESUS mit vier Songs, keiner davon über Jesus. Die Vorliebe für irreführende Namen griff auch bei Folds‘ 1994 gegründeten Ben Folds Five. Jahrelang versorgten Musikjournalisten ihre Kundschaft mit der immer wieder verblüffenden Information, bei der Five handle es sich mitnichten (!) um ein Quintett sondern vielmehr um ein Trio (!).

Das wirklich Besondere an Ben Folds Five: Inmitten der gitarrenbratenden 90er waren sie mit ihrer Piano-Bass-Drums-Besetzung nicht nur ein Unikum, sondern eine der originellsten und erfrischendsten US-Bands ihrer Zeit. Ihre Alben sind Meisterstücke zwischen Pop-Finesse, Broadway-Schwung und Punk-Energie, ihre Konzerte waren Naturereignisse: Bassist Robert Sledge und Drummer Darren Jessee flankierten Folds, der seidenweich croonend die geschmeidigsten Harmonien seit den goldenen Tagen von Elton John und Billy Joel aus dem Handgelenk schüttelte und im nächsten Moment auf seinem Instrument herumtrampelte wie Jeiry Lee Lewis auf PCP; ritueller Höhepunkt der Show: der eingesprungene Ganzkörper-Schlußakkord von „Underground“.

Nach dem dritten Album THE UNAUTHORIZED BIOGRAPHY OF REINHOLD MESSNER (kein Konzeptalbum über Alpinismus) lösten sich Ben Folds Five im Oktober 2000 auf. Der Split war freundschaftlich, und Hauptgrund dafür war sicherlich Folds‘ teilweiser Umzug nach Australien, die Heimat seiner Ehefrau, der Fotografin Frally Hynes, mit der er seit März 1999 verheiratet ist. Aber die Rockmühle, in der sich Ben Folds Five, deren zweites Album WHATEVER AN EVER AMEN mit „Brick“ 1997 einen US-Hit abgeworfen hatte, bei der Promotion zu messner wiederfanden, hat wohl auch ein paar Schürfwunden hinterlassen bei Folds und seinen Exkollegen, die seither mit eigenen Bands nicht so recht auf die Beine kommen.

„Wir waren so lange so eng zusammengepfercht on the road, dass es einfach zu viel wurde. Viel zu viel“, sagt Folds und klingt etwas resigniert. „Wir hatten gerade mal die Platte fertig, da saßen wir schon im Flugzeug und das Label sagte: ,Ihr müßt diese 200 Interviews machen‘. Und da waren all diese Journalisten, die ganz offensichtlich keine Ahnung von uns hatten. Wir waren zum Beispiel einen ganzen Monat lang in Deutschland für Konzerte und Interviews, und ich erinnere mich kaum daran. Und wir haben uns aufgeführt wie Ärsche.“

Man erinnert sich an ein Stück im englischen Magazin „Q“: Beim Interviewtag in Köln hatten Folds und Co. einem „Q“-Schreiber erlaubt, sich unter dem Vorwand, Bandmitglied zu sein, mit in die Interviews zu setzen; der „Eingebettete“ beömmelte sich dann über mehrere Seiten über die doofen Fragen und das schlechte Englisch seiner deutschen Kollegen. Oder an eine Rubrik auf der BFF-Website, in der schusselige Interviewerinnen per Foto an den Lächerlicherkeitspranger gestellt wurden. Geschieht den planlosen Schreiberlingen recht, könnte man sagen. Man könnte es aber auch zynisch nennen, „ja, schrecklich“, sagt Folds heute. „Wir waren einfach so ausgelaugt und haben uns benommen wie Kinder. Es war nicht cool.“

Nach der Trennung der Five setzte Folds – zumindest was seine Arbeit anging – auf Individualismus. Zu seinem 2001er-Soloalbum ROCKING THE SUBURBS – von dem Multiinstrumentalisten beinahe komplett im Alleingang eingespielt – verweigerte er sich der Auswertungskette mit Interviews und Welttournee etc., zumal er jetzt andere Prioritäten hatte: Seit Sommer 1999 ist Folds Vater von Zwillingen.

Zwei Sorten von Songtexten wollte Ben Folds eigentlich nie schreiben. „Ich wollte mich immer von Liebesliedern und politischen Songs fernhalten. Weil es so viele andere Dinge gibt, alltägliche Sachen, die, wenn man genau hinschaut, viel trauriger oder viel lustiger sind, als man denkt. Diese Blickwinkel haben mich immer mehr interessiert.“ Wenn sich Folds-Songs um Liebe drehten, dann mal witziger, mal kontemplativ um schwierige, scheiternde Beziehungen – in seinem Buch „31 Songs“ pries Nick Hornby Folds‘ „Smoke“ als „einen der weisesten Songs über das schleichende Ende einer Beziehung“. Dafür ist Folds schließlich auch Experte: Frally Folds ist seine dritte Ehefrau. Sie ist es allerdings auch, für die er „The Luckiest“ auf ROCKING THE SUBURBS schrieb, ein so persönliches, anrührendes und eloquentes Liebeslied, daß danach in diesem Genre eigentlich alles gesagt ist.

Und dann ist da „All You Can Eat“ auf der EP SUNNY 16 (2004), eine unverhohlen angewiderte Betrachtung des American Way. Familie Folds lebt zwar einige Monate im Jahr in Adelaide, den Hauptteil des Jahres aber verbringen sie in den USA. „Weil hier meine Arbeit ist“, sagt Folds. Hier hat er sein Studio – das alte RCA Studio in Nashville, wo schon Johnny Cash und Elvis aufnahmen -, hier hat er als Star eines Gegen-Mainstreams mit Solo-Piano-Tourneen in den letzten Jahren College-Aulen mit bis zu 5.000 Zuschauern gefüllt. Hier ist auch sein Herz. Und das tut ihm weh angesichts der politischen und gesellschaftlichen Abgründe, die sich spätestens seit dem Wüten der Bush-Clique auftun. Und deshalb schreibt Folds nicht nur als um Gegenöffentlichkeit bemühter Grassroots-Aktivist mit Leserbriefen gegen die Hirnwäsche-Tendenzen der US-Presse an oder gibt den Talkgast in Steve Earles Sendung „The Revolution Starts Now“ auf dem kritischen Sender Air America Radio. Deshalb sind auf seinem neuen Album songs for silverm an mit „Bastard“ und „Jesusland“ auch Songs, die Folds Unbehagen mit der Situation in den USA spiegeln. „Ich würde die Texte nicht direkt politisch nennen. Aber es ist so eine Spaltung und so ein heftiger Vibe in Amerika spürbar, daß gar nichts in diese Richtungzusagen mirkomisch vorgekommen wäre.“

„Bastard nimmt eine Haltung bei einer jungen Generation von Amerikanern aufs Korn, die Folds mit seinen beinahe 40 Jahren besonders unangenehm aufstößt. „Ich habe viel mit College-Kids zu tun, weil ich viel an Unis spiele. Und da begegne ich immer öfter einer konservativen Haltung-dahingehend, daß diese Kids nichts mehr in Frage stellen. Wenn ich mich mit College-Studenten unterhalte und sage: ,Wir müssen Dinge verändern, dieses und jenes läuft falsch‘, und die winken ab, so: ,Hey Ben, in welcher Welt lebst du denn? Politiker sind doch alle korrupt, da kann man nichts ändern.‘ Die legen da eine abgebrühte Haltung an den Tag, die man sich vielleicht als alter Sack leisten kann. Aber wenn du 18 bist, erzähl mir bitte nicht, daß man nichts verändern kann. Denn worauf sollen wir dann noch hoffen? Wer kümmert sich um dich und mich, wenn diese Kids mal am Ruder sind, die mit 18 schon desillusioniert und angepaßt waren?“

Passenderweise wurden „Bastard“ und „Jesusland“ (Folds: „Ich bin kein Christ, aber auch kein Nicht-Christ. Die Bibel ist ein tolles Buch, äh Geschichtsbuch. Ich hab mich nur gefragt, was Jesus heute sehen würde, wenn er durch die USA wandern würde. So viel Mist, auch politischer, wird bei uns mit seinem Namen verkauft.“) zum Teil in der niederschmetternden US-Wahlnacht zum 3. November 2004 fertiggestellt. „Wir saßen da und nahmen Gesangsharmonien auf und sahen zwischendurch immer wieder nach, wie es in Ohio aussieht. Und kamen immer schlechter drauf. ,Sie haben die Scheißwahl wieder gestohlen!‘ Ich glaube, mein Bassist war den Tränen nah. Es war heftig.“

Wenn Folds „wir‘ sagt, meint er sich, Bassist Jared Reynolds und den Drummer Lindsay Jamieson, mit denen er SONGS FOR SILVERMAN fast komplett neu aufnahm, nachdem er schon eine Soloversion fertig hatte, mit der aber so unzufrieden war, daß er kurz vorm Hinschmeißen stand. „Da war überhaupt kein Leben drin. Ich war richtig geschockt, als ich sie mit etwas Abstand anhörte. Wenn ich diese Platte so veröffentlicht hätte, wäre sie wohl meine letzte gewesen.“

Reynolds und Jamieson brachten das Bandgefühl zurück. Das Solo-Ding hatte sich totgelaufen, wenn auch Folds nicht von einer „festen Band“ spricht. Und noch etwas anderes schien überholt: Wenn sich der Ton von SONGS FOR SILVERMAN von dem früherer Folds-Alben unterscheidet, dann geht das auf eine kritische Anmerkung von Folds’Freund, Songwriter-Kollegen und Namensvetter Ben Lee zurück. „Ben sagte, ich schreibe immer traurige auf der einen und witzige Lieder auf der anderen Seite und erfinde, ich solle mal versuchen, diese zwei Seiten zu kombinieren. Und er hatte recht. Ich nahm mir das zu Herzen.“

Von den zwei Bens zu zwei Bills und damit zu guter letzt zu den mildernden Umständen für den Schreiber hier. Eine Verbindung zwischen Folds und Bill Clinton gibt es nämlich wirklich. Als Folds letztes Jahr mit William Shatner, den er „like, my best friend“ nennt, an dessen Album HAS BEEN arbeitete, versuchten die beiden tatsächlich, Clinton als Gasttröte zu gewinnen. „Ich fragte Bill, also Shatner, ob er Clintons Telefonnummer besorgen und ihn anrufen könne. Shatner meinte, ‚klar, man weiß ja nie, vielleicht ist er ,Star Trek‘-Fan.‘ Also rief Bill Bill an und der sagte zunächst zu. Letztlich war er aber doch verhindert.“ Folds sagt, er würde HAS BEEN gerne mit Shatner und Band auf einer kleinen Tour in Europa live spielen, „weil ich das Gefühl habe, daß Europa die Platte mehr kapiert als Amerika.“ Große Pläne, schöne Aussichten. Es wäre aber auch schon ein Anfang, wenn Folds die beiden Soloauftritte in Köln und Berlin Anfang Juni, seine ersten Deutschlandkonzerte in diesem Jahrtausend, über die Bühne bringen würde ohne sie wieder wegen Krankheit verschieben zu müssen. Wir würden es lieben. Er brauchte ja nicht einmal zu schweben. Er müsste sich nur wieder sichtbar machen.

www.benfolds.com