Natural Mystic: Die Legende des Bob Marley


Er machte den Reggae populär und wurde so zum ersten Superstar der Dritten Welt. Wichtiger aber als das: Er berührte die Menschen. Heute, 25 Jahre nach seinem Tod, ist Bob Marleys Mythos größer denn je.

Wer war dieser Mann? Und was war es, das sein Publikum in aller Welt so faszinierte? War der schmächtige Mischlingsjunge aus dem Ghetto von Kingston, wie viele glauben, mehr als nur Popstar und Poet, war er tatsächlich so etwas wie ein Prophet? In kleinen Trippelschritten tänzelte er über die Bühne, schüttelte seine Dreadlocks und sang mit unter die Haut gehender Stimme Zeilen wie J’m a rebel, soul rebel. l’m a capturer, soul adventurer“.

Musik, Spiritualität, Religion und Politik – all das gehörte für Bob Marley zusammen. Wohl deshalb war sein musikalischer Kreuzzug so glaubwürdig, Catch A Fire, sein erstes Album, das außerhalb von Jamaika erschien, wurde 1973 zum Startschuß für den weltweiten Siegeszug des Reggae. Als die Welt in jenem Jahr erstmals auf den Bannerträger, Hohepriester und musikalischen Führer des Reggae aufmerksam wurde, hatte der indes schon mehr als die Hälfte seines künstlerischen Weges hinter sich.

Roots & Rude Boys – frühe Jahre Jamaika in den fünfziger Jahren. Hier und da glänzt die Hauptstadt Kingston zwar noch mit Zeugnissen längst verfallener britischer Kolonialpracht, überwiegend aber besteht die Stadt aus Dreck, Wellblechhütten und Tausenden von „Sufferahs“, den Ärmsten der Armen, die in den Ghetto-Bezirken des Stadtteils Trenchtown hausen. Trotz der wenig rosigen Zukunftsaussichten ziehen die Menschen aus den ländlichen Gebieten der Insel unverdrossen in die Stadt. Die Männer hoffen auf einen der wenigen zumeist schlecht bezahlten Jobs, ihre Frauen verdingen sich als Haushaltshilfen.

Auch aus dem kleinen Dorf Nine Miles, im Norden der Insel in den Bergen von St. Parish Ann gelegen, kommt eine junge Frau nach Kingston. Sie heißt Cedella Marley, ist gerade erst Mitte 20. Bereits als 16jährige war sie, buchstäblich, in die Hände des weißen britischen Captains Norval Sinclair Marley geraten, der sie schwängerte, anständigerweise danach immerhin ehelichte, aber schon kurze Zeit später das Weite suchte – aus Angst, von seiner reichen Familie in der Heimat wegen der „Rassenschande“ enterbt zu werden. Cedella brachte sich und ihren Sohn Robbie, den sie zärtlich mit seinem zweiten Vornamen Nesta nennt, daraufhin mehr schlecht als recht durch. Nun aber will sie ein besseres Leben.

In der ersten Zeit zieht sie mit Robert, einem, wie alle Quellen übereinstimmend berichten, ruhigen und freundlichen Jungen, von einer notdürftigen Unterkunft zur nächsten. Dann endlich gelingt es Cedella, in Trenchtown eine Unterkunft in einem der von der Regierung geförderten Government Yards zubekommen. Inzwischen ist auch Bunny Livingstone, Bobs Busenfreund aus Nine Miles, mit seinem Vater nach Kingston gezogen. Die Jungen erneuern ihre Freundschaft und beginnen sich schon bald für Musik zu interessieren. Jede freie M inute verbringen sie in Musikgeschäften, wo sie den importierten Platten von US-Stars wie Fats Domino, Ray Charles oder Smiley Lewis lauschen.

Der amerikanische Rhythm’n’Blues ist das angesagte Ding bei den „rüde boys“ in Kingston, auch der lebhafte Rhythmus des Jump’n’Jive, wie ihn Louis Jordan spielt, hat es ihnen angetan. Die jamaikanische Musik erschöpft sich Ende deT fünfziger Jahre noch vorwiegend im Mento, einer Mischung verschiedener Stile vom Calypso, Merengue und Rum ba bis zur Steel-Music aus Trinidad. Immer öfter aber reichern einheimische Musiker die traditionellen Töne mit modernen Elementen aus R’n’B und Jazz an. Dazu gewinnt auch die spirituelle Trommelmusik der Rastafari, einer noch jungen Religionsgemeinschaft auf Jamaika, zunehmend an Einfluß.

i960 dann erfolgt die Initialzündung für eine eigenständige jamaikanische Musik: In einem primitiven Hinterhofstudio entsteht ein Stück, das diese unterschiedlichen Einflüsse zu einem neuen Stil zusammenfaßt. Ein gewisser Prince Buster produziert mit den Folkes Brothers einen Song namens „Oh Carolina“. Er landet nicht nur einen Überraschungshit, gleichzeitig liefert er auch die Blaupause für den Ska. Diese schnelle, treibende und auf dem Offbeat betonte rhythmischen Variante des R’n’B wird Jamaikas erster eigenständiger Beitrag zum internationalen Pop werden.

Die jamaikanischen Radiosender ignorieren den neuen Stil zunächst jedoch nach Kräften. Den Durchbruch schafft Ska trotzdem – buchstäblich auf der Straße. Denn regelmäßig bauen Discjockeysin Kingston unter freiem Himmel riesige Lautsprecherboxen, so genannte Sound Systems, auf, aus denen sie dann in lauen Karibiknächten alles donnern lassen, was irgendwie Spaß macht. Zu den bekanntesten Sound-System-Männern gehören in jenen Tagen besagter Prince Buster, Duke Reid oder Cocksone Dodd, die im Ghetto Star-Status genießen. Aus zerfledderten Pappkartons ziehen sie ihre Platten, oftmals Schellacks, auf deren Label die Interpretennamen ausgekratzt sind, damit die Konkurrenz sich nicht die selben Scheiben besorgt. Zwischen den Songs, und gerne auch mitten drin, toasten die DJs durch quäkende Mikrophone, und die Meute tanzt dazu ausgelassen …

Bob und sein Kumpel Bunny sind Teil dieser Szene. Der gerade i7Jährige Mariey schreibt auf der Gitarre eigene Lieder und wird Anfang 1962 von Leslie Kong, einem der Macher der kleinen Szene, entdeckt. Drei Songs darf Bob für ihn aufnehmen. Unendlich stolz ist er, als er seinen Namen zum ersten Mal auf dem Label einer Platte liest. Aber Geld bekommt er, wie damals üblich, so gut wie keins.

Zum Ende des Jahres gründet Bob mit Bunny und dem baumlangen, temperamentvollen Nachbarjungen Peter Mclntosh, der seinen Nachnamen später zu Tosh verkürzt, die Gesangsgruppe Teenagers. Die drei singen in Coxsone Dodds neuem Einspur-Studio an der Brentford Road vor. Der Meister findet Gefallen an den Youngsters. 300 Exemplare läßt er von „It Hurts To Be Alone“, einem der beiden eingesungenen Songs, pressen. Die Platte kommt an und Dodd macht weitere Aufnahmen mit der Gruppe, die sich wenig später The Wailing Wailers nennen wird. 70 Stücke, zumeist Selbstverfaßtes im Ska-Stil, nehmen Marley, Tosh und Livingston bis 1966 für Dodd auf, darunter jede Menge erfolgreiche Singles, zum Beispiel „Simmer Down“.

Trotzdem macht sich bei Bob und den Seinen Frust breit. Denn Stars sind die Wailers längst nicht. Sie leben weiter von der Hand in den Mund, hausen in verwahrlosten Hütten und werden für ihre Musik mit einem Hungerlohn abgespeist. Auftrittsmöglichkeiten gibt es kaum, und das Urheberrecht interessiert auf der Insel niemanden. Bob hat es satt, für einen Hungerlohn cheeky Songs am Fließband zu produzieren. Ersucht einen eigenen Weg.

Inzwischen ist Cedella nach Newark im US -Bundesstaat Delaware gezogen und hat dort wieder geheiratet. Bob, seit einiger Zeit mit der zwei Jahre jüngeren Rita Anderson, Sängerin der Soulettes, liiert, will sie in Amerika besuchen und dort Geld verdienen, um eine Familie gründen zu können. Zuvor aber, am 10. Februar 1966, heiratet erRita.Fastdas ganze Jahr über bleibt er in Newark. Mit dem hektischen American Way Of Life aber kann er sich nicht anfreunden. Halbherzig jobbt er, am liebsten aber hockt er im Haus seiner Mom und schreibt Songs. Im Oktober ruft „Uncle Sam“: Bob soll zur Musterung. Höchste Zeit also, die Kurve zu kratzen und nach Kingston zurückzukehren.

Rebel Music – der Aufstieg Dort ist während Bobs Abwesenheit einiges geschehen. Aus dem Ska hat sich mit dem Rocksteady ein neuer Stil entwickelt. Das Tempo ist nun deutlich gedrosselt, wodurch mehr rhythmische Variationen möglich werden. In Sound und Arrangements jedoch orientiert sich Rocksteady am populären US-Soul, vor allem dem von Motown. Aber nicht nur musikalisch hat sich was getan. Am 21. April ist der äthiopische Kaiser Haile Selassie zum dreitägigen Staatsbesuch auf Jamaika erschienen. Ein Ereignis von größter Bedeutung für die inzwischen zahlreichen Anhänger der Rastafari-Religion auf der Insel, die in dem kleinen Afrikaner den auf die Erde zurückgekehrten Messias sehen. Gut hunderttausend Rastafarians säumen an diesem Frühlingstag die Straßen zwischen Flughafen und Innenstadt. Unter ihnen ist Rita Marley. Als der Kaiser in seiner Khaki-Uniform vorbeifährt und die Hände zum Gruß erhebt, glaubt sie darin die Wundmale Jesu zu erblicken. Spätestens jetzt ist Rita zur gläubigen Rasta Sister geworden.

Auch Bob beginnt sich mit der Religion zu beschäftigen. Nach seiner Rückkehr kümmert er sich aber zunächst um die stagnierende Karriere der Wailers. Die Gruppe nimmt noch einige Singles für Dodd auf, der aber verliert spürbar das Interesse. Auch der Wechsel zu Marleys altem Freund Leslie Kong bringt niemanden weiter. Die Wailers scheinen ein Auslaufmodell zu sein. Mit der modisch durchgestylten und am internationalen Popmarkt orientierten Welt des Rocksteady können sie sich nicht recht anfreunden. Bunny, Peter und vor allem Bob suchen nach neuen musikalischen Ufern, auch ihre Lyrics werden spiritueller. Die vom Dollar geblendeten Platzhirsche der Kingston-Szene aber wollen davon nichts wissen. Was ihnen entgeht: In den späten sechziger Jahren rumort es in der Jugend der westlichen Welt und die Black Power Movement der USA erweist sich als Schrittmacher einer Politisierung, die bald auch Trenchtown erreicht.

Die Wailers sind mit ihrem Frust nicht allein. Auch ein 3ijähriger, launischer Bursche, der im Studio One und mit Leuten wie Prince Buster gearbeitet hat, will aus den strengen Limirierungen des Rocksteady ausbrechen. 1968 gründet er sein eigenes Plattenlabel, Upsetter Records. Sein Name: Lee „Scratch“ Perry. Was er drauf hat, zeigt sich, als seine ersten Produktionen, „The Return Of Django“ und „People, Funny, Boy“, bei den Sound System Partys groß absahnen.

Die angeschlagenen Wailers und der Außenseiter Perry tun sich zusammen – eine Paarung mit musikalischer Sprengkraft. Marleys Profil als Songwriter wird nun zusehends schärfer, und Perrys Studioband beginnt, den Rocksteady noch weiter zu verlangsamen. Dazu entwickelt sie neue Stilmittel wie riffbetonte, unermüdlich pulsierende Baßläufe, pokernde Snare-Schläge und die später für den Reggae so typische, gedämpft auf den Offbeat gehackte Rhythmusgitarre. Aus Perrys von Ganya-Rauchschwaden durchzogenem Studio 17 an der North Parade dringen schon bald unwiderstehliche Grooves, so sparsam instrumentiert, daß reichlich Platz bleibt für die aberwitzigsten Produktionsgimmicks.

Die Zeiten, als die Wailers eine kommerzielle Gesangstruppe waren, sind nun endgültig vorbei. Um die Jahrzehntwende haben sie sich zu einer disziplinierten Musikergruppe mit unverwechselbarem Stil und klarer Vision entwickelt. Und sie haben zwei Neue an Bord: Upsetters-Bassist Aston „Family Man“ Barrett und sein Bruder Carlton, Drums, gehören jetzt fest zur Band.

Unter Perrys Fittichen entstehen frühe Marley-Klassiker wie „Soul Rebel“ und „Duppy Conqueror“. 1970 erscheint das Album Soul Rebels, kurz darauf folgt Soul Revolution. Beide Platte werden nicht nur auf Jamaika, sondern überraschend auch in der karibischen Gemeinde von London ein Erfolg. In England landet Bobs Jugendfreund Johnny Nash zudem mit dem Marley-Song „Stir It Up“ einen Chartshit. Was nicht heißt, daß Reggae dort das Ding der Stunde wäre. Die exotischen Musik aus Jamaika gilt zu Beginn der siebziger Jahre bei Rockfans als eine Art musikalischer Taschenspielertrick, gut vielleicht mal für einen Tageshit, nicht aber ernst zu nehmen.

Chris Blackwell, der aus Jamaika stammende Chef von Island Records, sieht das anders. Er kennt die Musik seiner Heimat und ihre Hintergründe. Und er ahnt, daß die Zeit reif ist für die erste jamaikanische Gruppe, die über das begrenzte Single-Format hinaus etwas zu sagen hat. Zudem mag er die Wailers, und er spürt, daß diese eigenwilligen, mißtrauischen Burschen Vertrauen brauchen. Blackwell nimmt die Gruppe unter Vertrag.

Ausgestattet mit einem ansehnlichen Vorschuß von 4.000 Pfund machen sich die Wailers im Spätsommer 1972 daran, ihr erstes Island-Album einzuspielen. Im Winter liefert Marley die fertigen Achtspur-Masterbänder persönlich bei Blackwell in London ab. Beide wissen, daß diese raue, emotionale Musik noch einen behutsamen Zuckerguß braucht, um sie einem internationalen Rockpublikum schmackhaft zu machen. So gibt der amerikanische Keyboarder John „Rabbit“ Bundrick, der in Johnny Nashs Band gespielt hat und damit einer der wenigen Reggaekenner der Rockszene ist, den kargen Arrangements mit behutsamen Farbtupfern von Hammond und Clavinet einen zusätzlichen Anstrich. Dazu tröpfelt der texanische Gitarrist Wayne Perkins ein paar wunderbarflüssige Overdubs in die Songs. Am 13. April 1973 erscheint Catch A Fire weltweit. Die Presse reagiert wohlwollend, stellenweise sogar begeistert, das Publikum aber ziert sich – noch. Blackwell spürt aber, daß seine Schützlinge einen Fuß in der Tür haben. Das Album ist kaum auf dem Markt, da arbeiten die Wailers schon am nächsten. Mit Burnin‘ und Songs wie „Get Up, Stand Up“, „Burnin‘ And Lootin'“, „Rasta Man Chant“ legen sie im November 1973 nach. Einer der Songs wird sogar zu einem der größten Hits der siebziger Jahre, allerdings in der Version eines weißen Bluesgitarristen: Eric Clapton nimmt „I Shot The Sheriff‘ im Mai 1974 auf, landet damit auf Platz 1 der Charts in den USA und vielen europäischen Ländern, und macht so über Nacht den Reggae im allgemeinen und Marley im besonderen international bekannt. Als die Band im Sommer 1974 wieder in den Harry J. Studios in Kingston auftaucht, um neues Material einzuspielen, ist nichts mehr wie es war: Bob ist nun der alleinige Chef, Peter und Bunny haben die Band verlassen, neu hinzugestoßen ist die weibliche Backgroundgruppe I-Threes, der auch Rita angehört. Und: Bob hat den Schritt vom Geheimtip zum Star geschafft. Mit Familie, Freunden und Glaubensbrüdern logiert er in einer Kolonialvilla auf Kingstons Hope Road. Von den Großen des Pop wird er hofiert, Clapton singt seine Songs, McCartney schwärmt von seiner Musik. Und die Rockpresse hat ihn zum neuen Messias der Jugendkultur erklärt. Gelassen und unbeirrt aber folgt der weiter seinem Pfad. Das 74er Album Natty Dread wird zum Meisterwerk. Perfekt die Balance zwischen Spirtualität („Lively Up Yourself‘), politischem Statement („Them Belly Full (But We Hungry)“) und Ballade („No Woman, No Cry“). MusiIcalisch sind die Wailers auf dem Zenit. Trocken, mächtig und vital die Grooves, perfekt die Dramaturgie der Arrangements, und voll praller Farben die Instrumentierung. Kaum ein anderes Album aus dieser Zeit demonstriert das Spektrum und die Kraft des Roots Reggae überzeugender. NATTY DREAD macht Marley zum internationalen Superstar. Es folgen ausgedehnte Welttourneen, weiße Rock-Kids stellen nun mehrheitlich das Publikum. Den mitreißenden Live Act erleben am 19. Juli auch ein paar Tausend im Londoner Lyceum. Die dortige Show wird mitgeschnitten und unter dem Titel live veröffentlicht – ein weiterer tragender Pfeiler des Marley-Mythos, dessen Fundament nun gelegt ist.

One Love – der Roots-Messias Im westlichen Ausland solidarisiert sich die Protestgeneration mit Marleys Rasta-Rebellion, man verehrt den Sänger fast wie einen Heiligen. Anders auf Jamaika. Dort hat sich Bob in der langjährigen Auseinandersetzung zwischen der konservativen Jamaican Labour Party und der regierenden People’s National Party des Ministerpräsidenten Michael Manley zwar nie offen für eine Seite erklärt. Andererseits aber hat er auch kaum einen Hehl daraus gemacht, daß er den Positionen der PNP näher steht. Als Manley ihn 1976 überzeugt, beim großen „Smile Jamaica“-Festival aufzutreten, das, ganz ohne politische Intention, die erhitzten Gemüter in den verfeindeten Lagern beruhigen soll, sagt Bob zu. Ein verhängnisvoller Fehler: Nur wenige Tage, nachdem das Konzert für den 5. Dezember öffentlich angekündigt ist, setzt Michael Manley für den 16. Dezember Neuwahlen an. Plötzlich ist das unpolitische Friedensfest in den Augen der Öffentlichkeit, besonders in denen der Opposition, zur Wahlkampfveranstaltung der PNP geworden, für die sich Marley hat einspannen lassen. Die Folgen sind fatal: Am Abend des 3. Dezember dringen Bewaffnete in Marleys Anwesen ein und eröffnen ohne Warnung das Feuer auf Bob, seine Familie und anwesende Bandmitglieder. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei, sind die Attentäter geflüchtet. Wie durch ein Wunder kommt niemand zu Tode, aber Rita wird am Kopf getroffen und Bobs Manager Don Taylor lebensgefährlich von mehreren Kugeln verletzt. Marley selbst kommt mit einer Wunde am Arm davon. Nach kurzem Check im Krankenhaus verdrückt er sich in die Berge. Zwei Tage später aber steht er mit seiner Band auf der Bühne im National Heroes Circle und verkündet: „I jus‘ wanted ta play fe da love of da people.“

Anschließend geht er ins englische Exil. Erstmals entsteht seine Musik nun nicht auf Jamaika. Überdies hat sich seine Perspektive als Poet verändert. Die Songs von EXODUS (1977) – „Natural Mystic“, „Exodus“ oder „Waiting In Vain“ – fallen deutlich nachdenklicher und weniger kämpferisch aus. Was sie nicht schlechter macht, im Gegenteil. EXODUS wird Marleys bis dahin bestverkauftes Album. Kurz vor der Veröffentlichung erleidet Bob im Mai 1977bei einem Fußballspiel in Paris eine Verletzung an der großen Zehe. Er schenkt der Sache keine Beachtung, muß aber nach einigen Wochen feststellen, daß die Wunde nicht verheilt. Im Juli kann er kaum noch laufen. Endlich konsultiert er Ärzte, die angesichts der schlimmen Entzündung gar zur Amputation raten. In Miami wird Bob ein Stück Haut transplantiert und die Zehe so gerettet. Weiter geht es wie gehabt. 1978 erscheint mit Kaya ein neues Album, das fast nur Liebeslieder enthält, und Marley bestreitet Tournee auf Tournee.

26. Februar 1978. 2.000 Menschen erleben am Flughafen von Kingston, wie der berühmteste Sohn ihrer Insel nach 14 Monaten aus dem Exil heimkehrt. Ein triumphaler Empfang. Und Vorgeschmack auf das, was wenige Wochen später geschieht. Für den 22. April hat man das „One Love Peace Concert“ organisiert, das ein Ende des seit Jahren herrschenden Bürgerkrieges markieren soll. Neben Peter Tosh, Dennis Brown und Big Youth treten auch Bob Marley And The Wailers auf. Bei „Jamming“ holt Bob die politischen Gegner, JLP-Chef Edward Seaga und Michael Manley, auf die Bühne. Unter dem Jubel von 100.000 Zuschauern vereinigt er ihre Hände über seinen Dreadlocks zum symbolischen Friedensschluß.

Mit Survival (1979) indes kehrt Marley zurück zur Polit-Lyrik der frühen Jahre. Und erstmals flirtet er heftig mit den zeitgenössischen Strömungen afrikanischer Musik. Als Bob am 18. April 1980 tatsächlich nach Afrika „heimkehrt“ und bei den Unabhängigkeitsfeiern in Zimbabwe vor 40.000 Menschen auftritt, schließt sich der Kreis. UPRISING (1980), sein grandioses letztes Album mit dem berührenden Vermächtnis „Redemption Day“, ist da bereits zum größten Teil fertiggestellt. Bob Marley sagte einmal: „Ich bin ein Revolutionär, der allein mit Hilfe seiner Musik kämpft.“ 1980 scheint seine Mission erfüllt. Kaum ein Jugendlicher in Babylon, der sündigen westlichen Zivilisation, der den Namen des Mannes nicht kennt, der gut zwei Jahrzehnte zuvor in einer Wellblechhütte in Trenchtown seine ersten Lieder geschrieben hatte. Fast im Alleingang hat Marley seine Botschaft von Reggae, Rastafari und One Love um die Erde getragen. Welthits wie „No Woman, No Cry“, zornige Manifeste wie „Get Up, Stand Up“ und eindringliche Meditationen wie „Waiting In Vain“ werden noch Jahrzehnte bleiben.

Am 21. September 1980 ist Marley wieder mal auf Tournee. New York: Beim morgendlichen Joggen im Central Park bricht der hagere Mann zusammen. Kreislaufkollaps, Krankenhaus. Wenig später die niederschmetternde Diagnose: Der bereits im Vorjahr diagnostizierte und bislang geheimgehaltene Lungenkrebs hat Metastasen in Leber und Hirn gebildet. Noch einmal rafft sich Marley auf, versucht zu kämpfen, läßt sich im bayrischen Rottach-Egern vom deutschen Krebs-Spezialisten Dr. Josef Issels behandeln. Vergeblich. Bob weiß, daß er sterben muß. Anfang Mai will er nach Hause, schafft es aber nur bis Miami. Dort stirbt er am Mittag des 11. Mai 1981, gerade 36 Jahre alt.