Neil Young


Wer Lust auf Lärm verspü. wurde eher enttäuscht: Bei ihrem einzigen Konzert in Deutschland musizierten Papa Young und die Buben von Pearl Jam mit gebremstem Schaum.

NEIL YOUNG & PEARL JAM

Berlin, Waldbühne

Verkaufe 1 Karte“, steht auf dem Zettel, den der Glatzkopf mit der versteinerten Miene vor sich hält. „Was soll ’se denn kosd’n?“, fragt ein Girlie im sächsischem Idiom. „200“, brummt der Verkäufer, ohne den Gesichtsausdruck zu verändern. „Eene?“, fragt die Sächsin ungläubig. Ja!“ Das Geschäft ist gelaufen. Die 22.000 Plätze in der Berliner Waldbühne sind seit Wochen restlos ausverkauft. Schließlich laden „Neil Young & Friends“ zu ihrem einzigen Deutschland-Auftritt. Und wer zu spät zur Vorverkaufsstelle gekommen ist, den bestraft jetzt der Schwarzmarkt. Nur einige Kartendealer mit sozialer Ader geben die Tickets für die Hälfte her. Dann um 17 Uhr, als die Tore zur Waldbühne geöffnet werden, bricht eine Stampede los, die an die besten Momente aus ‚Die Leute von der Shilo Ranch‘ erinnert. Alle wollen den Run auf die besten Plätze gewinnen. Nur einer bleibt cool. Vorzeigerocker Heinz Rudolf Kunze schreitet unerkannt in Flickenjeans und Parka erstmal zum Merchandising-Stand, bevor sich der prominente Zuhörer in die Einsamkeit der strengbewachten VIP-Tribüne begibt, um dann doch noch ein Autogramm geben zu müssen. Unten beim gemeinen Volk findet das vielbeschworene Treffen der Generationen nicht statt. Bierbäuchige, bärtige Althippies so weit das Auge reicht. Auf beleibten Oberkörpern regieren Rolling Stones-, Grateful Dead- und Lynyrd Skynyrd-T-Shirts, bei den wenigen Generation X-Vertretern die Ratlosigkeit. „Pearl Jam spielen doch auch alleine? Eddie Vedder ist doch auch dabei? Wer ist dieser Neil Young überhaupt?“, fragt das 15jährige Mädchen ihren kaum älteren Begleiter in der Schlange vor dem Bier-Ausschank. Nein, Eddie Vedder ist heute nicht dabei, und Pearl Jam assistieren diesem alten Typen im Holzfällerhemd. Und das mit ebensolcher Andacht, wie das Publikum die leidlich druckvollen Versionen von ‚Big Green Country‘, ‚Song X‘ und ‚Act Of Love‘ zur Eröffnung des Sets aufnimmt. Erst bei ‚Throw Your Hatred Down‘ traktiert Young seine Gitarre zu einem dieser unnachahmlichen, flirrenden Soli, die ihm den Respekt der Grunge-Generation eingebracht haben. Szenenapplaus. Neil Young beugt und windet sich, schüttelt seine Gibson wie unter Schmerzen aus, bis auch noch das letzte Quentchen Feedback auf die Bühne tropft, um schließlich für immer zu verrinnen. Dann, beim Solo in ‚Cortez The Killer‘ flammt für einen kurzen Moment die alte Magie auf. Young baut mit seiner Gitarre eine undurchdringbare Schall-Mauer, bis die warme, cannabisgeschwängerte Sommerluft vor elektrischer Spannung knistert. Mehr Knistern wäre wohl mit Neil Youngs Hausband angesagt gewesen. Mit Crazy Horse hat man den alten Young weitaus lauter und energetischer erlebt. Pearl Jam – die Gitarristen Stone Gossard und Mike McCready, Bassist Jeff Ament, Schlagzeuger Jack Irans und Keyboarder Brendan O’Brien sehen neben dem Hünen wie eine Schülerband beim ersten Auftritt aus. Akademisch präzise geben die vedderlosen Gesellen die Backing Band ab. Und das mit respektvollem Abstand. Keine Spur von grungigem Bühnengebaren. Im Gegenteil. Brav halten Stone Gossard und Mike McCready ihre Gitarren an die Verstärker wie das Kombinat Feedbackerzeugung. Dem Publikum gefällt’s. Schließlich steht da auch noch Gott auf der Bühne. Und Gott will gepriesen werden. Auch dann, wenn er seine eigene Botschaft vergessen hat. Bei ‚Downtown‘ bringt Neil Young die Strophen durcheinander, bis die verwirrten Mitmusiker schließlich gar nichts mehr auf die Reihe bringen. McCread und O’Brien grinsen wissend, während de; Song im unfreiwilligen Chaos endet. Aber der Applaus hält an. Klar auch, denn Rock’n’Roll can never die.