Neil Young und Pearl Jam


Eines vorweg: Kritik an Neil Young ist unerwünscht. Das hat einen guten Grund. Irgendwann nämlich hat irgendjemand einmal die Unfehlbarkeit dieses Mannes festgeschrieben. Wer es aber trotzdem wagt, den Großmeister der krachenden Gitarre zu kritisieren, kriegt kräftig was auf’s Lästermaul. Neil Young zu lieben, ist das Gebot der Stunde, ja das Gebot des Jahres. Jeder liebt Neil Young. Und wenn der mittlerweile 50jährige mit dem falschen Bein zuerst auf die Bühne steigt, miesgelaunt seine eigenen Songtexte durcheinanderbringt und einen laschen, energiearmen Set abliefert, so wie bei seinem einzigen Deutschland-Auftritt 1995 in Berlin, müssen wir Neil Young dann immer noch lieben? Ja, wir müssen. Denn jeder liebt Neil Young.

Zwei Jahre nach seiner letzten Tournee mit Booker T. And The MG’s steht Neil Young wieder einmal auf einer deutschen Bühne, der Waldbühne in Berlin. Dem seltenen Anlaß entsprechend erscheinen denn auch mehr als 22.000 Jünger des Country-Folk-Rock-Heiligen aus der gesamten Republik, um den alten Young zusammen mit den Buben von Pearl Jam zu sehen. Und der Ausdruck Buben ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen. Neben dem beleibten Hünen aus San Francisco muten Pearl Jam -— die Gitarristen Stone Gossard und Mike McCready, Bassist Jeff Ament, Schlagzeuger Jack Irons und ‚Mirrorball‘-Produzent Brendan O’Brien an den Keyboards —- wie ein verlorener Haufen 15jähriger Schüler beim Musikunterricht an. Ihr Lehrer Neil Young eröffnet dann betont gegenwartsnah den Set mit sechs Songs aus ‚Mirrorball‘, dem Album, das er gemeinsam mit den Grunge-Heroen aus Seattle aufgenommen hat. Und geschickt spannt der Altmeister den Bogen von den neunziger Jahren zu den sechziger Jahren, indem er die alte Buffalo Springfield-Nummer ‚Mr. Soul‘ als Schlaglicht zwischen den neuen Songs aufblitzen läßt und damit noch einmal klarmacht, um was es ihm bei ‚Mirrorball‘ eigentlich geht: die Gemeinsamkeiten zwischen zwei Jahrzehnten darzustellen, die geistige Verwandtschaft der Hippies von damals mit den Hippies von heute, den Grunge-Kids, festzuschreiben. Koketterie oder Lebenseinstellung?

Irgendwann hat sich Neil Young zumindest selber vorgenommen, „„forever young“ zu bleiben. Ein hehres Ziel sicherlich. Daß aber nicht alle Ziele zu verwirklichen sind, ist eine bittere Wahrheit. Neil Youngs Bewegungen auf der Bühne wirken eckig und hölzern, was mit seinem Rückenleiden zusammenhängen mag. Aber daß die Zusammenarbeit mit Pearl Jam auf der Bühne musikalisch oft saft- und kraftlos wirkt, liegt wohl eher daran, daß selbst der gepflegteste Oldtimer von Zeit zu Zeit leichte Spuren von Rost ansetzen kann. Wie ein Rostschutzmittel wirkt es dagegen, wenn Neil Young zehn Minuten lang die Geschichte von ‚Cortez The Killer‘ erzählt, ein Song so mächtig wie der Himalaya, den könnten selbst die Simple Minds als Begleitband nicht kaputtmachen. Wie elektrisiert und vollkommen autistisch quält Young aus seiner Gitarre die bizarrsten Töne heraus, um sich seine eigene Welt aufzubauen — eine einsame Welt, die nur aus Schall zu bestehen scheint.

Auch mit Pearl Jam im Nacken ist Neil Young in der Lage, zwei Stunden durchgängig zu rocken. Das beweist er dann ein paar Tage nach Berlin in Salzburg mit einem rund-rockenden Gig auf dem historischen Residenzplatz. Dort trägt er zur Überraschung seiner Fangemeinde den lange nicht gehörten Song ‚Broken Arrow‘ während seiner Solo-Akustik-Performance vor. Dafür lieben wir Neil Young. Wir alle.