New York Dolls


Ein amerikanischer Journalist schrieb, dass die New York Dolls die beste Hard-Rock-Gruppe seit Gründung der Rolling Stones seien. Wenn dich dann die Plattenfirma einlädt, um einem Konzert dieser so sehr gepriesenen Gruppe beizuwohnen, macht man da natürlich dankbar Gebrauch von, allein schon, weil das neugiererweckende Geschehen In der superduften Atmosphäre des neugestalteten Londoner Blba-Katrfnauses stattfinden sollte. Kurz bevor ich mich auf die Reise machte, konnte Ich mir noch schnell die soeben erschienene Dolls-LP anhören, die mir dann aber gar nicht so aufregend vorkam.

Schnell ein paar Facts über die „Puppen“. Im Februar 72 wurde die Gruppe in New York gegründet. Man trat zunächst ohne grosses Aufsehen zu erwecken in allen möglichen Clubs auf, und eine gewisse Popularität stellte sich eigentlich erst nach Gigs in „Mercer’s Arts Centre“ und „Max’s Kansas City“ ein. Ende 72 fand eine England-Tournee statt, die jedoch wegen des plötzlichen Todes des Drummers Billy Murcia abgebrochen werden musste. Wieder zurück in New York machte man sich zunächst auf die Suche nach einem neuen Schlagzeuger, der dann in der Person von Jerry Nolan gefunden wurde. Weitere Mitglieder der Band sind: David Jo Hansen (voc./harmonica), Sylvain Sylvain (git./voc), Johnny Thunders (git./voc.) und Arthur Harold Kane (bass). In dieser Formation wurde unter der Leitung von Todd Rundgren die bereits erwähnte LP aufgenommen.

DER BIBA-GIG

Nachdem die sich kräftig ins Zeug legende englische Band „Beggars Opera“ das Publikum ein wenig aufgewärmt hatte, war es dann soweit. Licht aus! Spots an! Eine regelrechte Soundflut überspült alle Anwesenden. Jetzt tanzen die Puppen! Aber die fünf ziemlich aufgetakelten Typen arbeiten sich nur schleppend durch ihr Repertoire. Besonders passiv verhält sich der Lead-Sänger David Jo Hansen. Lediglich die Gitarristen Sylvain Sytvain und Johnny Thunders schaffen sich hin und wieder sehr zufriedenstellend. Dolls-Music ist einschlägiger Hard-Rock, wenig abwechslungsreich und ohne Überraschungen. Vergleiche mit den frühen Stones kann man kaum als zutreffend bezeichnen, finde ich, obwohl David Mick Jagger sicher eine ganze Menge abgeguckt hat, und Wahnsinns-Musikanten sind sie auch nicht gerade, die Dolls. Es ist tatsächlich nur eine ganz gewöhnlicheRock-Gruppe, wie man sie eigentlich in jeder grösseren Stadt fnden kann. Als der Biba-Gig vorüber war, hatte ich ungefähr dasselbe unbefriedigte Gefühl wie nach dem Anhören der LP.

Bo Diddley und die Shangri-Las

Am folgenden Tag konnte ich noch ein wenig mit den New York Dolls plauschen. David, der Lead-Sänger, fand, dass die Musik der Dolls sehr wohl Ähnlichkeit mit der Musik der frühen Stones hat.

ME: Was hältst Du davon, dass man eure Musik als „Lippenstift-Rock“, „Third Generation-Rock“ oder „Dekadenz-Rock“ umschrieben hat?

David: Das lässt mich kalt. Wir machen einfach die Musik, die wir gut finden. Wie die Leute das nennen, müssen sie selber wissen.

ME: Wer von Euch hatte die Idee sich so ausgefallen anzuziehen?

David: Das hat sich langsam aber sicher entwickelt. Ein Einzelner aus der Gruppe ist dafür nicht verantwortlich.

ME: Deine Bühnen-Show hab‘ ich mir eigentlich viel verrückter vorgestellt. Warum bringst Du nicht mehr „action“ und Sex?

David: Nun, gestern abend hat nicht alles so geklappt wie es geplant war. Heute abend wird sicher mehr passieren. Schau‘ dir doch unsere Show noch einmal an.

ME: Gibt es eine Beziehung zwischen eurer Musik und der von Alice Cooper?

David: Absolut nicht. Wir machen unsere eigene Musik, und die lässt sich eigentlich überhaupt nicht vergleichen. Übrigens halte ich Alice Cooper für einen ganz grossen Könner seines Fachs.

ME: Wer schreibt euere Songs?

David: Die ganze Gruppe. Die meisten Texte stammen jedoch von mir. Auf unserer LP sind nur Eigenkompositionen ausser einer Nummer, die ‚Pills‘ heisst und von dem von uns sehr bewunderten Bo Diddley stammt. „Looking For A Kiss“ ist eine Antwort auf „Give Hirn A Great Big Kiss“ von den Shangri-Las, für die wir auch sehr viel übrig haben.

Enttäuscht

Mit dem kleinen, ausserst sympathischen Sylvain Sylvain, der in Ägypten geboren wurde, wechselte ich anschliessend noch ein paar Worte:

ME: Werdet ihr ein Top-Act In der ganzen Weit werden?

S: Vielleicht. Momentan scheinen wir genau auf der richtigen Wellenlänge zu liegen, und in Amerika stehen ein paar sehr professionelle Leute hinter uns.

ME: Warum tragt ihr eure ausgefallene Kleidung nur auf dar Bühne?

S: Unser Act wird eben nur auf der Bühne aufgeführt! Als der Manager der Dolls mich auch bat noch einmal am Abend zur Show zu kommen, liess ich mich überreden, denn ich war wirklich gespannt, ob bei dieser Gruppe irgendwann so richtig die Post abgeht. Doch auch an diesem Abend wurde ich enttäuscht. Schade für die New York Dolls, aber ich steh‘ nicht auf ihrem Act!