Nichts Als Die Wahrheit


Seine Ehrlichkeit, glaubt JAY-Z, hat ihm als Teenager im Drogenmilieu das Leben gerettet. Heute ist er nicht nur der erfolgreichste Hiphop-Künstler der Welt, sondern auch einer der besten. Ein Gespräch zum 40. – seinem und unserem.

Man möge mir den wenig sinnlichen Einstieg verzeihen – aber bevor wir uns in dieser warmen Nacht in London in den Mauern einer ehemaligen Kirche zu Jay-Z gesellen, der in Jeans und T-Shirt bei einem Glas Rotwein und gedämpftem Licht Songs aus seinem neuen Album vorspielen wird, möchte ich ein paar Zahlen nennen. Denn Normalität – die gänzliche Absenz von Arroganz und die gelassene, offene Freundlichkeit, die Jay-Z bei unserem Treffen im Juli so sympathisch macht – ist plötzlich der Rede wert, wenn man im Jahr 35 Millionen Dollar verdient. Mit einem Vermögen von mehr als einer halben Milliarde (diese Zahlen hat das Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlicht, das oben genannte Jahresgehalt bezieht sich auf Juni 2008 bis Juni 2009) ist er mit Abstand der erfolgreichste Mann im Hiphop-Geschäft. Jay-Z hat in den USA allein über 29 Millionen Alben verkauft. Seine Arbeit wurde mit acht Grammys belohnt, und THE BUIEPRINT – das trotz der Veröffentlichung am 11. September 2001 in der ersten Woche 426.000 Stück verkaufte – wird von der einflussreichen Indie-Website Pitchfork hinter Radioheads KID A als zweitbestes Album der ersten Hälfte der OOer-Jahre gelistet. Wie (nicht nur) die Geschichte der Popularmusik zeigt, können bereits deutlich weniger Geld, Ruhm und Bewunderung einem Menschen jegliche Bodenhaftung nehmen. Wie verhindert man die Entfremdung von einer Welt, die einem zu Füßen liegt? Jay-Z hat das souverän gemeistert: Er ist entspannt, hat sich ein Interesse an seiner Umwelt bewahrt und wirkt rundherum zufrieden. Selbst sein Verhältnis zu Geld ist vergleichsweise unverkrampft – er genießt den Luxus, spendet an wohltätige Institutionen und verschwendet darüber hinaus nicht mehr Gedanken daran als notwendig. Als er sich dieses Jahr für fünf Millionen Dollar aus seinem Vertrag mit dem Label Def Jam freikaufte, warf er noch eine Münze um eine Million – und verlor. Sein Kommentar: „Ja, ha ha, ein bisschen hat mich das schon gewurmt. Aber dann hab ich mir überlegt, dass es einfach der Preis der Freiheit ist. Und so gesehen inar’s mir das wert.“

Aber bevor wir uns gänzlich in Zahlen verlieren – es gäbe noch so viele tolle Superlative: Jay-Z und seine Frau Beyonce waren zum Beispiel 2008 „Hollywood’s Top Earmng Couple“ mit gemeinsamen Jahreseinnahmen von 162 Millionen Dollar -, nutzen wir lieber die Gelegenheit, den Mann persönlich kennen zu lernen. Unser erstes Treffen findet in der Lyndhurst Hall in London Hampstead statt, einer Kirche von 1880, in die Beatles-Produzent George Martin ein Tonstudio gebaut hat. Jay-Z sitzt auf einer langen Tischplatte im Kontrollraum von Studio 1, isst hin und wieder eine Weintraube und skippt sich auf seinem iPod durch THE BUIEPRINT 7. Das neue Album wird am 11. September erscheinen – genau acht Jahre nach Teil eins. Da er seit über einem Jahr daran arbeitet, ist seine Geduld begrenzt: Die meisten Titel blendet er nach knapp zwei Minuten aus. Man hätte gerne mehr gehört – der Reimfluss ist weich und elegant, die Texte sind klug und enthalten kaum Klischees. Mit Ausnahme einer schauerlichen Version von Alphavilles „Forever Young“ ist der erste Eindruck mal wieder positiv. Zehn Nummer-eins-Alben haben Jay-Z nicht träge gemacht – seine Ansprüche an die Qualität seiner Arbeit sind noch immer hoch. Seine Leidenschaft für den Hiphop als Kunstform scheint er nicht verloren zu haben. Ein Eindruck, der sich bei unserer zweiten Begegnung bestätigen wird: Wir treffen Jay-Z am nächsten Tag im Kaminzimmer eines Hotels am Hyde Park zu einem einstündigen Gespräch. ME: In deiner Position bist du vermutlich von Ja-Sagern umgeben, die dir das Gefühl geben, dass jeder Ton von dir genial ist. Deine Alben sind trotzdem gut – bist du sehr selbstkritisch? Jay-Z: Ja, denn ich bleibe objektiv. Und ich umgebe mich eben nicht mit Ja-Sagern, sondern mit Menschen, die nicht falsch sind. Ich ermutige alle, ehrlich zu mir zu sein.

Im Studio sitzen nicht einfach irgendwelche Leute, die ich dann um Rat frage. Wenn du es geschafft hast, bei einer Aufnahme dabei zu sein, dann zählt deine Meinung auch. Vom Techniker bis zu dem Typen, der den Kaffee holt – ich stelle ihnen ehrlich gemeinte Fragen zur Musik. Dann kannst du auch mit Kritik umgehen? Du bist nicht beleidigt, wenn Rick Rubin zu dir sagt, dass er einen Song schwach findet? Nein. Ich fördere das. Tatsächlich war Rick einer der ersten Produzenten, die mich so angefasst haben. Er sagte Sachen wie: „Ich glaube, die erste Strophe kriegst du noch besser hin.“ Das hat mich am Anfang verstört, aber letztlich fand ich es gut. Und so ist es jetzt auch mit Kanye West. Die Kämpfe, die wir im Studio austragen, sind fantastisch. Auf dem ersten BLUKHRINT-Album war er noch unbekannt. Er hatte kaum Mitspracherecht und äußerte nur sehr vorsichtig Kritik. Jetzt ist er viel bestimmter. Kanye West hat die meisten der neuen Songs produziert. Was macht sein Genie aus? Seine Furchtlosigkeit – er will jedes erdenkliche musikalische Genre erforschen. Und er hat eine wirklich seltsame „Pocket“ – seine Synkopierung ist unglaublich. Die Betonung ist vor dem Beat. Das ist cool. Timbaland war vor ein paar Monaten noch überzeugt, dass er das Album produzieren wird. Was ist passiert? Wir haben uns anfangs mal darüber unterhalten, dass wir etwas zusammen machen könnten. Und dann erzählt er das plötzlich in einem Interview – dabei hatten wir nur unverbindlich geplaudert. Aber er hat jetzt tatsächlich ein paar Songs beigesteuert. Als ich 2007 mit M.I.A. gesprochen habe, war sie ziemlich enttäuscht von Timbaland. Er wollte zwar ihr weiter auf Seite ?4

Album produzieren, aber nicht mit nach Afrika kommen. Sie hatte das Gefühl, dass er seinen Hunger verloren hat und zu bequem geworden ist. Kannst du das bestätigen?

Nein, zwischen uns läuft das anders. Wir haben ein Konkurrenzverhältnis. Wenn mir Timbaland im Studio einen Song vorspielt, sagt er: „Siehst du f Ich hab dich gerade platt gemacht! Du brauchst viel zu lange. Was ist los? Fällt dir nichts mehrein?“ ‚Wir treiben einander an.

lay-Z In der Doku „Fade To Black“ wirkst du im Studio sehr ernst. Während alle anderen total aufgedreht sind, bleibst du ruhig. Hat Kreativität für dich nichts mit spielerischem Ausprobieren zu tun?

Schon, aber ich muss die Konzentration aufrecht erhalten, weil die anderen mit dem Kopf meistens irgendwo sind. Alles, was entsteht, entsteht in diesem Raum. Deswegen muss ich der Ruhepol sein und die Ideen der anderen bündeln.

Hast du alle Lyrics im Kopf, wenn du ins Studio gehst?

Früher hab ich fertige Texte mit Beats unterlegt. Jetzt höre ich mir die Musik an, höre darauf, was mir der Song sagt, und versuche, in der gleichen Sprache darauf zu antworten.

Als wir 2003 in München gesprochen haben, wolltest du nie wieder Platten machen … Ich war einfach ein bisschen von der Routine ausgebrannt. Ich liebe es, Musik zu machen, aber ich wollte nicht nur Platten aufnehmen, damit ich jedes Jahr was veröffentlichen kann. Und dann bekam ich damals die Möglichkeit, den nächsten Schritt zu machen: Mir wurde die Geschäftsführung bei Def Jam Records angeboten.

Du warst wirklich überzeugt, nie wieder ein Album zu machen. Eigentlich naiv, oder?

Ja. (lacht)

Dein Comeback-Album war 2006 KINGDOM COME, das ich ziemlich durchwachsen finde. Wäre die perfekte Rückkehr nicht der Nachfolger AMERICAN GANGSTER gewesen? Ein Album, das aus einem Moment wahrer Inspiration entstanden ist – bewegt von dem gleichnamigen Film bist du ins Studio gegangen und hast in wenigen Tagen ein großartiges Album gemacht.

Na ja, du kannst nach einer längeren Pause nicht einfach aufs Basketballfeld kommen und 50 Punkte machen. Ich hab ein Album gebraucht, um wieder reinzukommen. Schau Michael Jordan an: Im Jahr seines Comebacks hat Orlando die Bulls aus dem Turnier geworfen. Aber in den drei folgenden Jahren hat Jordan wieder den Titel geholt.

Wie geht es dem Hiphop generell? Ich hab die letzten Jahre nicht mehr viel gehört, was mich interessiert hat … Es wird schon viel kreative Musik gemacht. Aber der Druck, gut zu verkaufen, ist so groß wie noch nie. Alle versuchen, sich an das Formatradio anzupassen. Und weil Autotune das große Ding ist, machen alle das gleiche. Du kannst die Interpreten kaum unterscheiden. Das ist gefährlich. Hiphop macht die gleiche Entwicklung durch wie Rock’n’Roll in den frühen 80ern. Die Hairmetal-Bands haben Hiphop überhaupt erst die Türe geöffnet. Und wenn es so weitergeht, wird Hiphop das Feld für was Neues räumen müssen. Hiphop ist der neue Hairmetal! (lacht) Für viele junge Künstler scheint die größte Motivation zu sein, reich zu werden. Dabei wirken viele reiche Leute gar nicht glücklich … Ja, denn viele von ihnen müssen so viel aufgeben, dass sie unglücklich werden. Sie arbeiten, aber sie genießen die Früchte ihrer Arbeit nicht. Du hast zwar Leute um dich, die über deine Witze lachen, weil du reich bist, aber du bist nicht glücklich oder erfüllt. Hast du keine Finanzexperten, die dir ständig vorrechnen, wie viel Geld du verlierst, wenn du nicht in diese oder jene Sache investierst?

Nein. So eine Energie brauche ich nicht um mich.

Du hattest selbst immer guten Geschäftssinn: In deinen Zeiten als Drogendealer hast du Kids, die gut für dich gearbeitet haben, mit Gummi-Armbändern belohnt. Wer hat dir so was beigebracht?

Hm … Keine Ahnung.

Als Teenager hast du dir so ein ausgeklügeltes Belohnungssystem ausgedacht? Hast du heimlich Bücher wie „Die 7 Wege zur Effektivität“ gelesen?

(lacht) Nein, daraus hatte ich es sicher nicht. Es war wohl Instinkt. Ich wollte eine familienartige Verbindung mit den Kids herstellen. Das Gummi-Armband hättest du durch jedes andere Symbol ersetzen können – bei meiner Plattenfirma ist es die Roc-A-Fella-Kette. Du musst ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl aufbauen und Leute um dich scharen, denen du vertraust. Es ist ein gefährliches Business.

Kamst du als Drogendealer mit Ehrlichkeit durch?

Natürlich. Zwangsläufig, weil die Konsequenzen viel schlimmer gewesen wären. In dieser Welt wirst du nicht verklagt oder abgesetzt. Es kann dich dein Leben kosten, wenn du nicht ehrlich bist. Wenn dich die Leute aber als aufrichtigen Typen respektieren, macht jeder gern Geschäfte mit dir -ohne Angst. Ich hab auf niemanden Druck ausgeübt und auch nicht erlaubt, dass irgendwer Druck auf mich ausübt.

Du hast das Dealen erst gelassen, als es mit der Musik voran ging. Erinnerst du dich an deinen ersten Auftritt?

Ich weiß nur noch, dass ich auf die Bühne gegangen bin und plötzlich alle Texte vergessen hatte. Auf einen Schlag. Das war alles zu viel für mich.

Und dann? Hast du dir in den Schritt gefasst?

Ja. Man macht zwei Sachen in so einer Situation: Man greift sich an die Eier, und man schreit: Turn the mic up! Turn the mic up! (lacht) Im Dezember steht dein 40. Geburtstag an. Hat das Bedeutung für dich? Ja, das ist ein bedeutsamer Geburtstag. Ich bin sehr glücklich darüber, wo ich heute im Leben stehe. Ich bin froh, dass ich noch Musik auf hohen Niveau machen kann und dass man immer noch über mich als zeitgemäßen Künstler spricht.

Glaubst du, dass für dich persönlich noch wichtige Entwicklungen anstehen?

Klar. Je mehr du lernst, desto klarer wird dir, was du alles nicht weißt. Ich lerne mich selbst kennen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Und ich will noch viel mehr lernen. Das sollte nie aufhören, und es hört wohl auch nie auf. www.jay-z.com