Nilz Bokelberg: Leseprobe aus seinem Buch „Endlich Gute Musik“


Lest hier mit dem Kapitel "Wie Sonic Youth mir mal meine Jugendliebe kaputtgemacht hat (oder war es A-ha?)" eine exklusive Leseprobe aus Nilz Bokelbergs neuem Buch "Endlich Gute Musik".

Nilz Bokelberg hat ein neues Buch geschrieben. Unter dem Titel „Endlich Gute Musik“ versammelt der Blogger, Moderator, Autor und ehemalige VJ persönliche Geschichten über eines seiner vielen Lieblingsthemen: Popmusik. Sein Spektrum reicht dabei von Indierock über Heavy Metal bis Radiopop, und seine Leidenschaft kennt dabei keine Grenzen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Nilz sich nicht nur detailgenau an seinen ersten Kuss erinnert, sondern auch, dass kurz davor The Beautiful South und NKOTB liefen und Nilz seiner neuen Freundin danach Sonic Youth vorspielen wollte?

Lest hier mit dem Kapitel „Wie Sonic Youth mir mal meine Jugendliebe kaputtgemacht hat (oder war es A-ha?)“ eine exklusive Leseprobe aus Nilz Bokelbergs „Endlich Gute Musik“. Die Songs zum Text hat Nilz natürlich auch gelistet.

Leseprobe aus „Endlich Gute Musik“ von Nilz Bokelberg: Wie Sonic Youth mir mal meine Jugendliebe kaputtgemacht hat (oder war es A-ha?)

Der mit Abstand allergrößte Luxus, über den man in meiner Jugend verfügen konnte, war Kabelfernsehen. Da die Kabelnetzbetreiber wohl keine Lust hatten, jede bewohnte Straße aufzureißen, kam das eigentlich nur in Neubaugebieten vor. Oder in sehr dicht bewohnten Siedlungen. Unsere Siedlung war nicht unbedingt verwaist, lag aber am äußersten Stadtrand, also würde das Kabel auch hier, wenn überhaupt, wohl erst sehr spät ankommen (es kam übrigens nie).

In solchen Situationen ist es gut, wenn man eine beste Freundin hat. Also, das ist natürlich grundsätzlich gut. In diesem Fall aber hatte es noch einen weiteren Vorteil, denn Simone hatte Kabelfernsehen. Und einen eigenen Fernseher in ihrem Jugendzimmer. Der Fernseher war in ihrem Schrank untergebracht, und nach der Schule gingen wir zu ihr nach Hause, machten auf ihrem Bett liegend Hausaufgaben und öffneten dabei den Schrank weit, um parallel MTV laufen zu lassen. Aus den unterschiedlichsten Motiven: Sie wartete auf jede mögliche Sekunde New Kids on the Block, ich wartete auf irgendwas Cooles. Zum Beispiel die Red Hot Chili Peppers mit »Give It Away« oder später auch Nirvana (»Smells Like Teen Spirit« sah ich zum ersten Mal in Simones Schrank …). Und natürlich war das der Grund endloser Kabbeleien zwischen uns. Ich machte mich über ihre Schwärmerei für Jordan oder Joey, oder auf wen auch immer sie stand, lustig, sie verlangte (scherzhaft), das Video mit Kurt Cobain und den Cheerleadern auszumachen, weil es doch viel zu laut sei.

Simones beste Freundin war erstens mein großer Schwarm und zweitens A-ha-Fan for life. Damit ließ sich was anfangen, die Band fand ich auch ganz okay. Fan war ich nicht, aber kacke finden konnte man die auch nicht. »Take On Me« war schon ganz cool und »The Sun Always Shines On TV« auch. Vielleicht wirkte das unter den ganzen Teenie-Band-Fans auch eher sophisticated, und ich fand Sandra deswegen so super. Ich weiß es nicht. Simone war mit NKOTB ja sogar noch ganz gut bedient. Ein Mädchen aus meiner Klasse war Bros-Fan, die war eigentlich von allen am ärmsten dran. Keine Lobby und kein Verständnis. Aber auch da: Ich habe mir später sogar die »Cat Among The Pigeons«-Single gekauft, mit einer Akustik-Version von »Drop The Boy« als B-Seite. Ach ja, Pop hat uns alle damals ein bisschen verwirrt. Unsere kollektive Begeisterung für »Especially For You« ist das beste Zeugnis dafür. Was für eine kaputte Generation.


a-ha – The Sun Always Shines On TV

Aber im Ernst: Ich habe Simone natürlich auch tagelang damit in den Ohren gelegen, wie toll ich ihre beste Freundin fände, und gehofft, dass sie mir von dieser Ähnliches berichten könnte. Jedes Nachfragen nach mir gab mir weitere Hoffnung. Würde das, endlich, die große Liebe sein?

Eines Abends. Eine große Party um die Ecke. Alle sind da. Simones Andeutungen haben außerdem ergeben: Wenn ich mich heute nicht allzu doof anstelle, kann ich vielleicht ans Ziel meiner Träume gelangen. Meine Güte, wie aufregend! Erst mal ist auf der Party natürlich alles so, wie es immer ist: Mädchen stehen zusammen, legen mal ein NKOTB-Lied auf, ansonsten läuft viel Charts-Pop, und ab und zu okkupieren die Punk- und Metal-Jungs die Anlage, um mal ein Lied lang headbangen zu können. So weit, so harmlos. Dann aber kommt, natürlich, der Blues. »Song For Whoever« von The Beautiful South. Die Ironie des Songs ist noch keinem von uns bewusst. Er ist lang, er ist langsam, man versteht kein Wort. Mehr braucht ein Blues nicht. Meine große Stunde ist gekommen: Ich fordere Sandra zum Tanz auf.

Ihr Kopf auf meiner Schulter, meine Hände knapp über ihren Hüften. Unser Atem passt sich einander an. Das Lied scheint niemals aufzuhören. Ich rieche ihre Haare, diesen wunderbaren Duft. Sie hält sich an mir fest. Ich spüre ihre Hände. Sie drückt sich ein bisschen fester an mich. Ich halte sie, so gut ich kann. Ein wirkliches, wahrhaft ehrliches und absolut unschuldiges Gefühl von Liebe überkommt mich. Es ist der absolute Himmel.

Sie musste irgendwann gehen, ich brachte sie nach Hause, sie wohnte nur zwei Straßen weiter. Wir gingen so dahin, und ich erzählte vermutlich irgendeinen Quatsch. Unsere Hände berührten sich. Und vor ihrer Haustür gab es dann den ersten Kuss. O mein Gott. Das war ja besser als Himmel, Himmel und Himmel zusammen! Ich hörte Engelschöre und fühlte mich in meine Moleküle zerlegt. Sandra verschwand in ihrem Haus, und ich schwebte zur Party zurück. Für mich gab es kein Headbangen mehr, nur noch seliges Grinsen. Die Fete hab ich dann selbst früh verlassen. Das war mir alles zu banal. Ich war jetzt ein »Freund«.

Am nächsten Morgen, nach einer Nacht herrlich erholsamen Powerschlafs, frühstückte ich wunderbar und rief dann meine neue Freundin an. Mal hören, was sie heute so machen würde. Sie meinte, sie würde zu Hause bleiben, ein bisschen rumhängen und Hausaufgaben machen. Irgendwie wollte sie nicht zu mir kommen. Also gut, dann würde ich am Nachmittag vorbeikommen, wenn das okay für sie wäre. War es. Und von da an fieberte ich dem Nachmittag entgegen. Die Zeit vergeht ja besonders langsam, wenn man auf irgendetwas wartet, und ich habe dann einfach ein paar CDs zusammengepackt. Ich hatte mir nämlich die Mission auferlegt, Sandra neue Musik zu zeigen. Ihren musikalischen Horizont zu erweitern mit Bands oder Platten, die mir am Herzen lagen und die sie vielleicht (bestimmt) noch nicht kannte. So hatte ich die Cool von Throw that Beat in the Garbagecan! und die Dirty von Sonic Youth im Gepäck. Gutes Kontrastprogramm zu A-ha. Und wir würden immer zusammen Musik hören und andauernd neue Bands entdecken und das sich am besten auskennende Paar der Musikgeschichte werden. Meine Vision war klar, und romantischer hätte es nicht mehr werden können.

Endlich war es so weit. Ich schwang mich auf mein Rennrad und düste durch die Stadt, bis ich an ihrer Wohnung angekommen war. Aufgeregt klingelte ich, und sie machte mir lächelnd die Tür auf. Mein Gott, was war die schön. Ich war unfassbar verliebt. Ich schwebte ihr hinterher in ihr Zimmer und machte es mir gemütlich. Die große Frage war natürlich: zuerst Musik hören oder zuerst knutschen? Aber die Entscheidung lag ja nicht allein bei mir. Ich würde Sandras Signale richtig deuten müssen. Das war nicht einfach, wenn man so frisch zusammen war wie wir, aber ich würde es noch lernen.

Aufgeregt wartete ich darauf, ihr endlich neue Musik zeigen zu können. Wir plauderten betont lässig über die Party des Vorabends und irgendwelche Schulfreunde. Wir lachten über die besonders Doofen und ärgerten uns über ein paar Lehrer. Langsam schaffte ich es aber, das Gespräch in Richtung Musik zu lenken. Ich wusste natürlich, dass sie A-ha-Fan war, tat aber trotzdem ein bisschen überrascht, als sie mir davon erzählte. So bescheuert, wie man sich eben in solchen Situationen verhält. Und brachte mich gleich ein, indem ich erklärte, dass mein Lieblingslied von ihren Helden »Hunting High And Low« sei. Es schien ihr zu gefallen, dass ich so andocken konnte. Sofort spielte sie mir ein paar Lieder von ihrer schon x-fach gehörten A-ha-CD vor. War gar nicht so schlecht. Ich würde mir die wohl wirklich mal auf Albenlänge anhören müssen. Jetzt aber stand erst mal mein großer Moment an. Ich wollte mit etwas Schönerem anfangen und mich dann zu den sperrigeren Themen vorarbeiten. Also startete ich mit Throw that Beat und »Cool«. Einmal Lieblingslied, immer Lieblingslied. Das gilt zumindest für sämtliche Throw-that-Beat-Songs, die es in mein Herz geschafft haben. Das haben sonst in dieser Fülle eigentlich nur die Lassie Singers gepackt. Bei beiden Bands ist es so: Höre ich heute ein Lied von denen, das ich damals mochte, muss ich sofort alle anderen auch noch hören. Magie.

Bei den Lassie Singers zum Beispiel ist es vor allem die Platte Sei à gogo. Was für ein tolles Album. Mein Bruder Ralf hat mir das damals zum Geburtstag geschenkt, weil ich schon das erste (Die Lassie Singers helfen dir) so gern mochte. Das hier war aber noch besser, noch perfekter: schönster Schrammel-Gitarren-Pop mit diesem sehr speziellen, sehr Lassie-eigenen mehrstimmigen Frauengesang. Und dann die Texte: Ich hab mich beim Hören total mit einer »Erwachsenenwelt« verbunden gefühlt, die aber noch cool genug war, sich nicht zu ernst zu nehmen. Und gleichzeitig hatten die Texte alle so viele Codes und Chiffren, die ich noch gar nicht entschlüsseln konnte. Das kam über die Jahre, peu à peu. Vielleicht auch einer der Gründe, warum mich die Lieder so lange begeistern konnten und immer noch können. Um manche Dinge nachvollziehen zu können, muss man eben ein gewisses Maß an Lebenserfahrung haben. Und vielleicht auch in einer Großstadt gelebt haben. Eines meiner sofortigen Herzensstücke des Albums kann ein Lied davon singen: »Leben in der Bar«. Als Teenie mochte ich die Melodie, die Hook, die »Bilder« im Text mit den ganzen Viechern und Fabelwesen und den »Ficken!«-Witz (in dem der Zensur-Piep erst nach dem bösen F-Wort kommt). Erst sehr viel später musste ich lernen, dass es wirklich immer so ist, wie in dem Lied beschrieben. Vor allem in Stammlokalen. Immer dieselben Typen, denen man irgendwann Namen gibt. Und alle verhalten sich immer so, wie es ihre Rolle vorschreibt. Faszinierend. Und nirgends so auf den Punkt gebracht wie in diesem Lied. Ein Song also für jedes Alter. Bis heute versuche ich übrigens immer herauszuhören, was die einzelnen Instrumente spielen, um zu lernen, wie eine Melodie geht, die ich toll finde und die mich berührt. Ich schaffe es nur nie, mich darauf zu konzentrieren, weil mich das Lied dann immer, immer, immer packt und ich spätestens ab der zweiten Strophe wieder mitsingen muss. »Ich sag: Mikrokosmos, hallo!«

Eine ähnliche Liebe verbindet mich mit Throw that Beat in the Garbagecan! (die ja später nur noch Throw that Beat hießen). Auch hier: Die Songs waren so süßlich oder manchmal auch von einer herzzerreißenden Melancholie (da vor allem die von Schlagzeuger Alex geschriebenen) – wen nicht wenigstens ein Lied auf einem TTBITG-Album irgendwie berührt hat, der konnte sich mit ziemlicher Sicherheit den eigenen Seelentod attestieren lassen. Dazu stand eine Gruppe auf der Bühne, deren Mitglieder so schräg unterschiedlich wie absolut homogen waren. Der Frontmann mit der seltsamen Stimme, der schüchterne Schlagzeuger, der Gitarren-Nerd, der Old-School-Punk-Bassist, die Hippie-Keyboarderin mit den kilometerlangen Beinen und die verträumte Backgroundsängerin (die auch noch die Schwester der Keyboarderin war). Das war ein bunter Haufen. Nicht umsonst haben die auf dem ersten Album auch das Lied von Pippi Langstrumpf gecovert (was sie vermutlich bis zum letzten Album verfolgt hat …). Wie gern erinnere ich mich an das zweite Album zurück, die Platte, mit der ich die Band für mich entdeckt habe, Not Particularly Silly. Abgesehen von so tollen Songs wie »A Chocolate Bar For Breakfast« oder »A Kiss From You Each Day« gab es darauf ein Lied mit dem Titel

»I Wanna Be With You«. Eine der schönsten Verliebtenhymnen der Welt, denn der Text besteht nur aus dieser einen Zeile, und die spaziert verliebt über große, sehnsüchtige Gitarrenwände. Yes, I wanna be with you too, Throw that Beat!

Aus meinem ersten Interview mit der Band entstanden viele verschiedene Freundschaften, die Idee zu einer leider nie produzierten Platte (Iwie, die Keyboarderin, und ich wollten immer eine Cover-EP machen, die »Pizza-Taxi« heißen sollte – wir wussten gar nicht so richtig, warum, fanden das aber irgendwie cool und lustig …) und sogar eine Band (Klaus, der Frontmann, und ich gründeten einst eine Politrock-Band namens Rots – in Anlehnung an die Politrock-Legende Bots – und hatten drei Auftritte damit, bevor dieser grandiose Act mit solchen Protestsongs wie »PorNO« oder dem »Atombusenbombenblues« wieder einschlief …).

Und, am wichtigsten: Es entstand die Beziehung zu Gina, der späteren Backgroundsängerin (ab dem Moment, als sie sich nur noch Throw that Beat nannten), meiner ersten richtigen, richtigen Freundin, mittlerweile eine Hälfte der fantastischen Zerstörer- und Verstörer-Band Cobra Killer. Throw that Beat gibt es schon lange nicht mehr, die Mitglieder sind über das ganze Land verstreut und machen die unterschiedlichsten Sachen. Heimlich aber sitze ich immer wieder zu Hause, höre die ganzen Platten noch mal und träume von der großen Reunion. Ich stünde in der ersten Reihe. Vielleicht wird es ja dann auch noch was mit »Pizza-Taxi«.


Sonic Youth – 100%

Aber zurück zu Sandra: Sie schien die Lieder ganz okay zu finden. Aber so richtige Begeisterung setzte nicht ein, zumindest nicht die gleiche Begeisterung wie bei mir. Aber das war vielleicht gar nicht so schlimm, sie musste sich eben erst reinhören. Ich würde ihr von Chartsmusik getrübtes Ohr neu eichen müssen, sie fordern und lehren müssen, Schönheit auch im größten Krach zu entdecken. Der Zeitpunkt für ein wenig Schocktherapie war gekommen. Sonic Youth. Wobei ich ihr da ja noch die poppigste und vergleichsweise zugänglichste Platte vorspielte, eben Dirty. Mit dem großen Hit »100%«. »A hundred percent of your love …«, die Message würde ja wohl ankommen. Auch bei uns Schulenglisch-Speakern. Das noisige Intro ließ ihre Miene gleich versteinern. Der Einsatz von Schlagzeug und Gesang machte es auch nicht wesentlich besser. O-oh, ich hatte hier richtig in die Scheiße gegriffen. Um aber mein Gesicht nicht zu verlieren und weil ich wirklich glaubte, sie könnte sich dafür begeistern, wenn sie sich nur ausreichend hineinhörte (vor allem Sonic Youth hielt ich für eine Band, die man sich als Hörer »erarbeiten« muss – heute weiß ich, dass das sogar stimmt …), nickte ich weiter begeistert mit. Solche Musik war bestimmt noch nie aus dieser Anlage gekommen. Nach zwei Minuten und neunundzwanzig Sekunden war der Song vorbei, und Erleichterung machte sich auf ihrem Gesicht breit. Ich würde diese Lektion für heute beenden müssen, das war sogar mir klar. Um das Thema »Musik« aber nicht mit dieser Schlappe beenden zu müssen, entschied ich mich für einen genialen Coup: Ich durchstöberte ihre Plattensammlung. Und da, endlich, fand ich die Lösung: Der Pretty Woman-Soundtrack. Warum der die Lösung war? Auf dem Soundtrack befand sich ein Lied der Red Hot Chili Peppers! Nun war eben dieses »Show Me Your Soul« sicher nicht die beste Nummer der Kalifornier (vor allem da die Blood Sugar Sex Magik schon raus war, das Über-Hitalbum und eine der besten Platten aller Zeiten), aber hey: Ich arbeitete hier mit dem, was ich kriegen konnte. Mit einem »Hey, was du hier für Schätze hast!« legte ich die Platte sofort auf. Sandra guckte skeptisch. Das Lied ging los. Klassischer Chili-Peppers-Frühneunziger-Funk. So wie auf Mother’s Milk, meinem ersten Album der Band. Allerdings ließ ein »Ach, das! Das find ich das blödste Lied auf der Platte!« nichts wirklich Gutes erahnen. Ich hatte gegeben, was ich konnte. Der Tag war kein richtiger Erfolg gewesen, aber ich hatte das ganze Projekt ja auch langfristiger angelegt. Ich würde ihr meine Begeisterung schon noch nahebringen können. Zum Abschied knutschten wir ein bisschen. Nicht lan­ge, nicht ausgiebig – aber für mich absolut perfekt. Und damit schwebte ich nach Hause.

Am nächsten Tag war ich mit meiner besten Freundin Simone verabredet. Mal wieder ein bisschen MTV gucken. Hoffentlich würde heute endlich Nirvana kommen. Außerdem konnten wir so am besten über ihre alte beste Freundin und meine neue feste Freundin Sandra reden. Wir lagen auf Simones Bett, aus dem Fernseher quäkte Chesney Hawkes gerade heraus, dass er »the one and only« sei (ein Song, dessen Grandezza mir erst mit Mitte dreißig auffiel – davor fand ich einfach nur das Muttermal über Hawkes’ Oberlippe störend), und wir redeten über das vergangene Wochenende. Ich erzählte Simone aufgeregt, wie toll es gewesen war, wie spannend und super und überhaupt. Und dann: Gewitter, Blitzschlag, Erdbeben, Schockfrost und Hagelschauer gleichzeitig.

»Ähm, Nilz, halt dich bei Sandra mal ein bisschen zurück.«

Ich will es nicht unnötig in die Länge ziehen: Sandra machte nach nicht mal einer Woche schon wieder Schluss mit mir. Ich überzeugte sie einfach nicht, sie fühlte mich nicht, irgendwie passten wir ihrer Meinung nach nicht zusammen. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht, aber das wollte ich zu dem Zeitpunkt natürlich nicht wahrhaben. Das, was ich an Musik liebte, war nicht vereinbar mit dem, was sie liebte. Was fühlte ich mich tragisch, was fühlte ich mich verlassen. Aber ich hatte ja die besten Tröster, die ein Junge mit gebrochenem Herzen sich wünschen konnte: meine Lieblingsbands. Und englisches Musikfernsehen im Schrank der besten Freundin.


Chesney Hawkes – One and only (Music Video)