Nina Hagen…das klappt doch nie!


Nina hatte richtig orakelt: Anarchy in Germany, das klappt doch nie, lautete zunächst der Arbeitstitel für ihre eher idealistisch den professionell inszenierte kleine New Wave-Revue. Unter dem endgültigen Motto ,,Babylon Will Fall“ fiel dieses eigentlich recht erfreuliche Experiment gleich am ersten Abend im Hamburger Audimax durch. Es scheiterte nicht zuletzt am Unverständnis der Zuschauer, die einen perfekten Nina Hagen-Showdown mit allen Schikanen erwarteten – was immer sie sich auch darunter vorgestellt haben mochten. Nina zwischen Playback und musikalischen Frischlingen kam nicht an. Sie zog die Konsequenzen und ließ die Tour absagen. Schade! lesen Abend /wim; hen I Aggression und Begeisterung werde ich so schnell nicht vergessen. Ich habe mich gefreut, weil das liebenswerte Chaos dort auf der Bühne trotz, aller Anialeurhaftigkeit etwas Neues. Be nie rkens wertes signalisierte. Doch das Wagnis war wohl /u grob. Die Idee, mit Neulingen ein Rock-Theater zu inszenieren, war zumindest für hiesige Verhältnisse ein Himmelfahrtskommando, leider. Hätte Nina intensiver darüber nachdenken müssen oder zumindest ihre Mutter, die Schauspielerin Eva Maria Hagen, die immerhin ihren Namen als Veranstalter hergab? Fest stellt, dato hier eine Menge Geld über den Jordan ging. Die Hamburger Uni hatte übrigens für den Abend massiven Poli/eischutz. angefordert, weil im Laufe des Tages ein Aufgebot von Punks versuchte. eine Dralitgitler-verstärkte I ür einzudrucken, als Nina drinnen hei den Proben war. Was I ür ein Gefühl: Du biegst um die Ecke und läufst erst einmal in drei Grüne Minnas. Sollst Du nun darüber lachen oder weinen‘.‘ Die Panik war übertrieben. Es passierte nichls.ohwohl die meisten Besucher offen ihrem Unmut Luft machten. Sie fühlten sich verladen. Wer sich ein bibehen m dei Szene auskannte. wulMe eigentlich, was Nina vorhatte. Über ihr …Atomspecdiacula“ hatte sie sich ja ausführlich im Hamburgei .Stadtmagazin „Szene“ ausgelassen. Zumindest unter den Punks war auch bekannt, ilafo die zwei von ,,Wh-> KillcJ Rudi“, die Brüder Jäcki Eldorado (Babl und Nickie (Schlagzeug), blutige Anfänger sind, und die Jungs von OUT. mit ihrem futuristisch erpoppten Styling einer taufrischen Szeneangehören. Daß Nina zu Backgroundmusik singen würde, war auch kein Geheimnis. Sie versprach sich davon mehr Bewegungsfreiheit. Nur daß dieser erste Abend im Audimax eine bessere Generalprobe war — das wußten die Fans nicht. Und daß man ihnen dafür 16 DM abverlangte, war wirklich nicht fair. Dabei fing diese Revue ganz vielversprechend an: Nina, in Massen von Rüschen gehüllt, läßt sich im Einkaufswagen über die Bühne rollen. Die Eröffnungsnummer ist ihre Version von Lene Lovichs „Lucky Number“ und es gibt reichlich Beifall. Doch die Begeisterung hält nicht lange vor. Nina gebärdet sich wie ein fatales Hexenweib, strapaziert ihre Stimmbänder in geifernden Krächztiraden. Ihre dämonischen Beschwörungen halten das Publikum aber nur kurze Zeit im Bann. Nina ist ihnen zu schwierig, diese extreme Performance ist ihnen zu anstrengend. Vergeblich warten sie auf Ninas charakteristische Stirnm-Akrobatik. brachte sie es doch früher spielend vom tiefsten Alt zum höchsten Kiekser. Aber ihr Organ war nicht im besten Zustand. Die Show so sprunghaft wie Nina selbst: Wenn sie nicht am Mikro stand, saß sie am äußeren Bühnenrand am zweiten Schlagzeug oder griff sich eine Gitarre. Das Ensemble, zu dem auch noch das Rüde Girl Manon Pepita aus Amsterdam gehörte sowie ein spindeldürres Wesen mit Mordsperücke (ich vermute der angekündigte Transvestit Salome) vermischte sich ohne interne Distanz und zeigte ein fast noch naiv zu nennendes Engagement. O.U.T. paarten ausgefallenen Kostüme und coole deutsche New Wave mit geschmeidigen Tanzeinlagen, und WhoKilledRudi gaben einfachst-Rhythmen mit entsprechendem Sprechgesang von sich. Sie repräsentierten damit in Miniaturausgabe sozusagen jene Geräusch-Philosophie, die in teilweise natürlich fortgeschrittener Form bereits zahlreiche neue deutsche Bands verfolgen. Alles spielte sich übrigens vor Projektionen ab, die das“.Pyramidenstadl“ (Zitat Nina Hagen) in Eigenregie hergestellt hat: die typischen Muster der New Wave (Dreiecke z.B.) oder naive Sid und Nancy-Darstellungen. Der Wechsel zwischen Ninas Playback und den Live-Geräuschen verlief nicht flüssig genug, um dasPublikumzuüberzeugen. Die Bands entsprachen darüberhinaus nicht den traditionell geprägten Vorstellungen einer Zuhörerschaft, die völlig unbeleckt von experimentellen Ideen eine nahtlose Losgeh-Arie erwartet. Dummerweise war die Show nun auch so lasch ausgearbeitet, daß vielen Symbolen die Prägnanz fehlte. Das Publikum ließ sich nicht fesseln, weil es keine Beziehung entwickeln konnte. So klammerten sich die Zuschauer verbissen an Nina, nichts anderes wollten sie sehen. Trat sie für ein paar Minuten ab, hagelte es Buh-Rufe. ,,Haste keinen Roadie?“ schrie einer, als sie ein Bühnenrequisit selbst zur Seite trug. „Ausziehen!“ forderte ein anderer. ,,Mensch, ick hab sone abgefuckte Scheißstimmung“, gestand sie dann selbst kurz vor Schluß. Das „Specdracula“ brach denn auch ganz unvermittelt ab, aber keiner ging. Es war erst eine gute Stunde vergangen, die meisten glaubten, es ginge nach einer Pause weiter. Die Truppe kehrte für ein kurzes Finale zurück, dann war’s aus. Es dauerte, ehe sich der größere Teil des irritierten Publikums zum Gehen entschließen konnte. Sie waren verwirrt, in ihren Köpfen rotierte es. War das nicht schon Erfolg genug? Nina hätte es sich leicht machen können. Sie hätte Kapital aus ihrem Namen schlagen können. Sie hätte auf ihre Mutter hören können und auf ihren ehemaligen Pflegevater Wolf Biermann, die sie vor diesem riskanten Unternehmen wohl in aller Eindringlichkeit gewarnt hatten. Im Familienkreise fiel dann tags darauf auch die Entscheidung, das Unternehmen sofort abzubrechen. Ninas Mutter ließ in einer Presseerklärung verlauten: ,,Es hat sich in Hamburg herausgestellt, daß das Singen zu einem Playbacktonband statt mit einer Band aus künstlerischen Gründen für Nina Hagen unmöglich und ßr das Publikum unzumutbar ist. Der Versuch, stattdessen mit Laienmusikern eine theaterähnliche Show zu machen, hat sich als künstlerischer Mißgriff erwiesen. Nina Hagen hat die Absicht, statt der geplanten Tournee nun in Ruhe Musiker zu suchen, sie will dann ein Programm mit neuen und alten Liedern erarbeiten. “ Am Tag nach dem Konzert krächzte Nina durchs Telefon: ,, Der Druck von allen Seiten auf uns ist im Moment so stark, daß wir jetzt erstmal nach LA gehen und uns da Musiker suchen …..“ Hier in Deutschland muß eben alles seine Ordnunghaben! Auch in der Rockmusik.