No Doubt, Hamburg/Markthalle


Ihr Gassenhauer 'Don't Speak'ist für viele ein klassisches One-Hit-Wonder. Auf der Bühne aber beweisen No Doubt, daß sie weit mehr Substanz besitzen, als man ihnen gemeinhin zutraut

„Meine Mami hat mir immer eingetrichtert“, kräht das blonde Quietsch-Entchen auf der Bühne, „daß Mädchen nicht schwitzen sollten. Da hat sie sich wohl ziemlich getäuscht.“ Das Entchen heißt mit bürgerlichem Namen Gwen Stefani, und eigentlich hat sie mir ihren Ska-Pop-)ungs No Doubt gerade mal drei Songs auf der Bühne der Hamburger Markthalle hinter sich gebracht. Doch nicht einmal die luftige rote Pluderhose und auch nicht das winzige, glitzernde Bauchfrei-Leibchen lassen genug Luft an die Haut, wenn sich eben diese Luft schon nach einer Viertelstunde in einen einzigen, kochenden Schweißnebel verwandelt hat. Wieder einmal zeigt sich, daß der Begriff „Ausverkauft“ im Veranstaltergewerbe dehnbarer ist als der zuckerfreie ‚Wrigleys‘, den Gwen unmittelbar vor ihrem ersten Sprung auf die Bühnenbretter lässig unter das Monitormischpult spuckt. Merke: Wenn eine Halle mit 800 bis 1000 Fans voll ist, dann passen auch noch 500 Leute mehr rein. Schweiß verbindet, was sonst nur wenige gemeinsame Schnittstellen hat: Ein dreigeteiltes Publikum aus je einem Drittel Medienleuten auf der Suche nach dem großen Hype, neugierigen Mittzwanzigern auf der Suche nach einem Leben jenseits von Drum N‘ Bass oder Neo-Crossover-Grunge, sowie mehrere Hundertschaften kreischender weiblicher Fans auf der Suche nach einem für sie brauchbaren role model diesseits von Blümchen oder den Spiee Girls. Letztere Gruppe hat brav den Text von No Doubts Mega-Single ‚Don’t Speak‘ gelernt und zeigt sich überraschenderweise nicht irritiert von den Rhythmus-Salven, die diese völlig untypischen Kalifornier in einem Trommelfeuer aus acht Pop-Knallern verballern, bis endlich nach einer guten dreiviertel Stunde die Wunderkerzen angezündet und die Zeilen „You and me/we used to be together“ mitgesungen werden dürfen.

Da waren wohl etliche der über 350.000 Fans versammelt, die sich das Album ‚Tragic Kingdom‘ gekauft hatten und wußten, daß man auch auf der CD neun Songs lang auf den Mega-Hit warten muß.

Überhaupt der Hit: Im gesamten Programm (immerhin neben ‚Tragic Kingdom‘ noch die selbstbetitelte Debüt-CD und das längst vergriffene Garagenwerk ‚The Beacon Street Collection‘) des Quintetts aus Anaheim/Orange County findet sich kein einziger Song, der auch nur annähernd so klingt wie der Trennungsschmachtfetzen ‚Don’t Speak‘. Ein kommerzielles Mißverständnis, das schon vielen one hit wonders das Genick gebrochen hat, das im Falle No Doubt jedoch genau das Gegenteil bewirkt – aber dazu muß man die Band live gesehen haben. Denn was auf dem Album oft zu glatt produziert oder rhythmisch zu konstruiert klingt, entpuppt sich auf der Bühne als eine der energetischsten und launemachendsten Shows der letzten jähre. Verstärkt von einem Trompeter und dem Posaunisten/Keyboarder Gabe McNair (1995 für Gründungsmitglied und Gwen-Bruder Eric Stefani eingestiegen) entfachen Drummer Adrian Young und Stefanis Ex-Lover Tony Kanal am Bass ein staubtrockenes Groove-Feuerwerk der kurzen, harten und knackigen Beats, das zwar oftmals an die erklärten Vorbilder Madness anknüpft, jedoch weit über den begrenzten Ska-Horizont der einschlägigen britischen Achtziger-Bands hinausreicht. Kanals Bass-Wurzeln liegen im Funk und Reggae – ein würziger Kontrast zu der vielseitigen Gitarrenarbeit von Tom Dumont, der sein Instrument mit Hilfe von Kiss- und Black Sabbath-Platten gelernt hat. Heraus kommt dabei – vor allem bei den Konzerten – eine zeitgemäße Idee davon, was Power-Pop Ende der Neunziger sein könnte: Die Kraft des Punk, die Hooks des Britpop und die frische, unbekümmerte Entertainment-Oberfläche jenes von der Sonne verwöhnten Landstriches, der die ganze USA mit Zitrusfrüchten beliefert.

Doch das alles wäre nichts ohne das frechste Früchtchen des Pop: Breitmaulfrosch Gwen Stefani (Vorbilder: „Fishbone und Kermit“) hoppelt 14 Songs lang wie eine texanische Springmaus über die Bühne, läßt bei ‚Just A Girl‘ den weiblichen Fan-Teil in der Halle lauthals „Fuck you – l’m a girl!“ mitkreischen und demonstriert die gesamte Spanne des zeitgemäßen Girlietums von rotzfrech C.So so, ihr kommt aus Hamburg. Macht nichts – ist ja nicht eure Schuld.“) bis zu tiefen, wahren Frauenproblemen einer nunmehr schon 27jährigen, die längst keine XS-Klamotten mehr über die Hüften bringt („Vor dem Konzert blickte ich in den Spiegel und dachte mir: Mein Gott, ich sehe heute so alt aus. So müde.“). Stefanis Stimmbänder, die bei den Zwischenansagen eine Mischung aus Daisy Duck und Domenica produzieren, halten nicht nur ein ganzes Set lang mit den kräfteverzehrenden Turnübungen ihrer Inhaberin mit, sie scheinen gar von Song zu Song in neue, ungeahnte Dimensionen vorzudringen: Bei ‚Different People‘ erreicht Gwens Tremolo trotz der Saunaluft im Saal eine theatralische Tiefe, bei der seinerzeit sogar Alex Harvey vor Neid blau angelaufen wäre, und bei der letzten Zugabe (‚Ob-La-Di, Ob-La-Da‘ von den Beatles) bekommt Stefanis Falsett endlich jene Fülle, die man auf dem Album oft vermißt. Schön blöd von dem breitnackigen Tony Kanal, freiwillig mit so einer Frau nur noch die Bühne, aber nicht mehr Bett und Badewanne teilen zu wollen.