Oase der Unruhe


Zum Abschluss seiner „Wirtshaustour“ lädt ein Hirschlikörvermarkter auf den Berg ein, und einmal mehr steht die Frage im Raum: WhoMadeWho?

Die DJs haben den Shuttlebus vom Hotel verpasst. Das ist jetzt nicht zum ersten Mal passiert in der Geschichte des Unterhaltungsgeschäfts, trotzdem stimmt es die Promoterin leicht nervös. „Sie kommen dann mit dem Taxi zum Venue nach“, sagt sie augenrollend und klappt ihr Handy zu. Dieser Lösungsansatz ist wohl vielfach erprobt im Nachtleben – das Problem ist nur: Wir sind hier in den Alpen, und das Venue, um das es sich dreht, ist eine Skihütte auf 1 340 Höhenmetern.

Gerade hat ein Bediensteter den Gondellift der Garmischer Hausbergbahn in Betrieb gesetzt – exklusiv für ein am frühen, aber bereits stockfinsteren Abend vor der Talstation ausharrendes Völkchen, das sich mit engen Jeans, hippen Brillen, sorgfältig konzipierten Frisuren, durch die Bank zu dünner Oberbekleidung und ohne ein einziges Wintersportgerät deutlich von der Klientel unterscheidet, die gewöhnlich diese Anlagen hier nutzt. Die Szenetypen, Partygänger, Journalisten und Ticketgewinner sind in diese ungewohnten und potenziell unwirtlichen Gefilde gekarrt worden, um da oben am Berg das Finale der „Wirtshaustour“ zu begehen. Im Rahmen dieser Tour ließ im zurückliegenden Jahr ein im Bereich Pop-Sponsoring seit Längerem sehr agiler Produzent von Kräuterlikör clubbige Bands und DJs in dezidiert unclubbigen Umfeldern spielen.

Oben in der Mittelstation werden zwei Dinge klar: Die säumigen DJs sollten gut durchkommen, weil in diesen Zonen des „Skigebiets Garmisch Classic“ noch kein einziger Kubikzentimeter Schnee gefallen ist; man sieht immer wieder Taxis die Forststraße heraufheizen, während am Hang riesige Schneekanonen stumm auf kältere Zeiten warten. Und: Die Kräuterlikörleute haben ganze Arbeit geleistet. Die „Drehmöser 9“, eine Fantasie von einer Berghütte zwischen Funktionalität und hypernormaler Urigkeitsromantik, ist komplett durchgebrandet. Vom fiktiven Wirtshausschild bis hin zu den Lätzchen auf den Tresen ist alles dem Geweih geweiht, als sei der ganze Komplex von einem niedersächsischen Likörvermarkter-Thinktank direkt hier an den Hang gedacht worden.

Ein grellrot angestrahlter Plastikhirsch auf der Terrasse leuchtet spukig in die Finsternis hinaus und kündet von der Oase der Unruhe, die sich jetzt hier inmitten der Bergnacht auftut. Und hat man da aus dem Wald nicht gerade ein Käuzchen seufzen gehört? Es muss sich zumindest keine Sorgen um die Musikqualität machen. Da ist man in diesen Höhenlagen ja mit Après-Ski zwischen Hansi Hinterseer und DJ Ötzi so unaussprechliche Dinge gewöhnt, dass dieses „Wirtshaus“-Finale einen regelrechten alpinen Kulturschock darstellen müsste.

Kurz vor zehn zwängen sich WhoMadeWho auf die kleine Bühne und tun dann das, was den drei notorischen Dänen schon im Flachland ein Leichtes ist. In einer kollektiv vorgeglühten Berghütte geht es ihnen aber scheint’s noch flotter von der Hand: Sie bringen innerhalb von Minuten die Bude zum Sprudeln. Was ist da los? Sind wir alle schon im Höhenrausch, oder ist diese Band noch viel großartiger, als man sie in Erinnerung hatte? Allein der Schauwert der beiden Frontleute Jeppe Kjellberg (mit Superschnauzbart und König-Ludwig-II.-Gedächtnisfrisur) und Tomas Hoffding (Typ enigmatischer Exzentriker mit Vogelblick), ihre eigentümlich irisierenden, zweistimmig falsettierten Gesangsmelodien, die zwingenden Disco-Grooves, das unfassbar energetische Geballer von Drummer Tomas Barfod und wie hier eine Band in Rockbesetzung den Tanzboden zum Rotieren bringt – das ist immer wieder schön und sollte die bösen Geister der Zillertaler Schürzenjäger für einige Zeit aus diesen Gemäuern vertreiben. Zumindest, bis hier irgendwann wieder Schnee fällt und der Skizirkus losgehen kann. Doch bis dahin ist auch das DJ-Set der Pariser The Teenagers verklungen, der letzte Hipster wieder ins Tal getrieben, der letzte Hörnerwhisky gekippt – und dieser Ort weiß von uns nichts mehr.