Oasis : Hail to the Kaiser Chief


Noel Gallagher will nicht mehr der Alleinherrscher von Oasis sein. Und es wäre ihm lieb, wenn keiner mehr von seiner Band Notiz nähme. Das kann er seiner Oma erzählen. Oder gern uns. Schließlich ist er einer der amüsantesten Interviewpartner ever.

Der Autor hier muß etwas Abbitte leisten. Er hätte nicht gedacht, daß Oasis noch einmal mit so einer tollen Platte wie ihrem sechsten Album DON’T BELIEVE THE TRUTH um die Ecke kommen würden. Es war in der Tat nicht sicher, ob sie überhaupt noch einmal um die Ecke kommen würden. Berichte von abgebrochenen Sessions bekümmerten die letzten Monate hinweg Fans und belustigten Spötter. Dazu Anfang 2004 der Raus wurf von Drummer Alan White, dem letzten Halbwegs-Originalmitglied neben den notorisch zwistenden Gallagher-Brüdern Noel und Liam, deren beide Ehen seit 2002 im Eimer sind. Krisen, die offenbar zur Konsolidierung beitrugen. Oasis scheinen gekommen, um zu bleiben. Vielleicht sind sie ja tatsächlich dazu bestimmt, dereinst die Stones als Helden jenseits von Gut und Böse zu beerben. Ein strahlender Frühlingstag. In der Lobby des Grand Hyatt in Berlin stehen Männer und hantieren mit Fußbällen. Sechs Stockwerke höher sitzt Noel Gallagher, 37, glorios grantelnd, aber nicht unfreundlich, Lederjacke mit La’s-Button, dicker Ring am Finger.

Hast du das gesehen, unten in der Lobby, diese Typen mit ihren Fußbällen? Machen Tricks, pumpen ihre Bälle auf, lassen die Luft raus…

NOEL GALLAGHER: Lassen die Luft aus ihren Egos raus. Haha.

vielleicht. Hast du die Luft aus deinem Ego rausgelassen?

Ich hatte nie eins.

Ach, jetzt komm aber…

Nein, wirklich.

Daß du heute die anderen so viele Songs für die Alben schreiben läßt?

Man muß die Luft aus dem Ego lassen, wenn man mit vier, fünf erwachsenen Männern eine Platte macht. Sonst muß man eben solo arbeiten.

Aber früher war das anders. Mußtest du loslassen lernen?

Nun, früher war einfach keiner der anderen daran interessiert, Songs zu schreiben oder in irgendeiner Art Ideen beizusteuern. Wenn das anders gewesen wäre, hätte man darüber entscheiden müssen. Aber so…

„Oasis waren immer am besten, wenn ihnen alles egal war“, steht in eurem Platteninfo. Braucht ihr eine Scheiß-Drauf-Mentalität um gut zu sein?

(überlegt) Wir fanden das Rampenlicht etwas schwierig. Wenn du die größte Band der Welt bist, stehst du permanent im Rampenlicht. Und wir waren immer besser als Außenseiter. Als wir definitely maybe aufnahmen, kümmerte sich keiner um uns und wir uns um nichts anderes als diese Platte. Wohingegen wir bei jedem Album danach in dieser erhöhten Position waren. Die uns auch zusteht, aber jetzt haben wir nicht mehr diesen Streß, die größte Band der Welt zu sein. Der Erwartungsdruck ist zu Coldplay weitergewandert. Und ich beneide sie nicht.

Wann hast du ihn zum letzten Mal selber gefühlt?

So 1999, bei der Arbeit an STANDING ON THE SHOULDER OF GIANTS.

Die Aufnahmen zum neuen Album haben für eure Verhältnisse sehr lange gedauert, du wirst zitiert, ihr hättet das Album „dreimal aufgenommen“.

Nun, beim ersten Mal fanden wir die Songs nicht wirklich gut genug. Beim zweiten Mal war die Produktion nichts. Und beim dritten mal hatten wir dann tolle Songs, einen Produzenten und alles paßte zusammen.

Es heißt, ihr hattet ursprünglich ein Doppelalbum geplant, wolltet aber Sony, mit denen der Vertrag ausläuft, nicht mehr so viel Material geben.

(winkt ab) Nein. Liam kam mit der Idee für ein Doppelalbum an. Lächerlich. Weil man der Musikindustrie nicht trauen kann, daß so etwas zu einem fairen Preis an die Fans verkauft würde. Ein Doppelalbum war nie eine Option. Vielleicht in Liams Gehirn, aber in niemandes sonst.

Findest du im Ernst, dass DON’T BELIEVE THE TRUTH euer bestes Album seit DEFINITELY MAYBE ist?

Nein. Es ist das beste seit MORNING GLORY.

Okay, da habe ich nämlich zwei verschiedene Zitate von dir gelesen.

So so. Laß mich das klarstellen: Es ist das beste seit MORNING GLORY.

Mein erster Gedanke. – Später macht er’s dann wieder runter, wie die davor.

(leichtgenervt) Habe ich je HEATHEN CHEMISTRY runtergemacht?

Da habe ich in der Tat keine entsprechenden Äußerungen gefunden.

Eben. Ich mag HEATHEN CHEMISTRY. Und ich mag das hier. Und MORNING GLORY und DEFINITELY MAYBE. Die zwei dazwischen haben sich über die Jahre nicht gehalten. Da sind ein paar gute Sachen drauf, aber als Alben … (trotzig) Jedenfalls: Selbst wenn ich es in sechs Monaten runtermachen sollte, ist das mein verdammtes Recht, weil ich es verdammt nochmal geschrieben hab. Du darfst das nicht und niemand sonst darf das.

In einem Fan-Forum schrieb einer: „Sie hatten sich nach MORNING GLORY auflösen sollen, dann wären sie heute so legendär wie die La’s.“ War das je deine Vorstellung von einer Band: Früh auflösen und legendär werden?

Ich werd‘ lieber reich als legendär.

Ein Freund von mir ist bei den Oasis Ultras, eurem deutschen Fanclub…

Mh, ich kenn die Oasis Ultras. Hab irgendwo einen Button von denen.

Und der geht natürlich momentan steil. Macht es dich stolz, so ein – wenn auch etwas ironisch gebrochenes – quasi-religiöses Fan-Ding zu haben?

Tja. (zögert) Ich weiß nicht genau, was ich davon halte. Ich find’s schon toll. Es wäre mir unangenehm, diesen Leuten gegenüber, wenn die Platte schlecht wäre. Aber da die Platte gut ist… (überlegt) Ich persönlich würde eine Band nie so ernst nehmen. Aber: whatever turns them on…

Daß es euch nach all den Jahren und auch einigen schweren Phasen noch gibt, wie weit ist das dem Umstand geschuldet, daß du es auch brauchst?

Ich brauche gar nichts. Ich brauche keinen Ruhm. Ich brauche das Geld nicht. Ich brauche nicht die Anerkennung. Ich muß nicht in einer Band zu sein, damit mein Leben erfüllt ist. Das Ding ist: Ich will es. Ich will weiter Songs schreiben und spielen. Aber wenn man mir morgen sagt, „das geht nicht mehr“, dann, verdammt: kein Problem. Fair enough.

Was wurdest du sonst tun?

Filmdrehbücher schreiben. Oder Produzent sein. Oder Komiker. (grient)

Komiker wäre nicht schlecht. Und Drehbücher? Für was für Filme?

Ich könnte das wohl nicht allein, aber mit jemandem zusammen. Ich denke, ich könnte gut Dialoge schreiben. Für schwarze Komödien.

So ein Guy-Ritchie-Ding?

(angewidert) Das ist ja wohl Scheißdreck. Nein. So was wie Woody Allen.

Apropos The La’s: Was ist da los mit den Berichten über eine Reunion?

Yeah. I’m fuckin‘ speechless. Ich kann’s nicht abwarten. Ich mein: Ich hab mein ganzes Leben seit 1989 damit verbracht, in jedem vorstellbaren scheiß Bootleg-Laden in Japan und Amerika und sonstwo La’s-Bootlegs zu suchen. Und jetzt kann ich mir bald mein eigenes machen.

Es passiert also wirklich?

Ja, sie spielen mit uns. In Japan und beim V-Festival in England. Sie proben schon seit sechs Monaten, neue Songs und alles.

Kennst du (The La’s-Kopf) Lee Mavers gut?

Ja, Lee und John Power. Wenn Leute fragen, was Lee in den letzten Jahren gemacht hat, sag ich: Für mich ist er wie ein Seemann. Er war auf See und jetzt ist er zurück und wird Songs schreiben und erzählen, wie’s war.

Hast du was von den neuen Sachen gehört?

Nein, aber ich hab von einem Bekannten in Liverpool, der den Proberaum neben ihrem hat, gehört, daß sie verdammt großartig sind.

Vor Zeiten war ein Zitat von dir im Umlauf, Liam habe ein paar tolle Songs geschrieben, drum sei es schade, daß keiner davon aufs Album kommt.

Hm. Nun. Liam hat ein paar gute Songs geschrieben, aber … Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt wirklich gesagt habe.

Es sind jetzt drei Songs von ihm auf dem Album. Einer heißt „Guess God Thinks I’m Abel“. Macht dich das zu Kain? Den bösen, neidischen Bruder?

Mh. Armer Liam. The Self-Righteous Brother.

Bezieht sich der Song irgendwie auf euer Verhältnis als Bruder?

(grummelig) Da wirst du ihn selbst fragen müssen. Er hat mir den Text nie erklärt und ich hab ihn auch nicht gefragt, weil es mir, ehrlich gesagt, am Arsch vorbei geht. Aber wenn er mich mit Kain vergleicht und sich mit Abel… korrigier mich, wenn ich falsch liege: Die Geschichte endet doch damit, daß Kain Abel umbringt. Nun, das wäre durchaus möglich.

Wie kommst du dieser Tage mit ihm aus?

Gut. (zündet sich eine Zigarette an) Er kann manchmal ein ziemlicher Idiot sein. Aber ich mag ihn. Nicht sehr, aber doch. Er ist ein guter Sänger.

Du magst ihn ja wohl nicht nur deswegen?

Naja, ich seh ihn nicht außerhalb des Studios. Ich treffe mich mit keinem aus der Band außerhalb dem professionellen … dem professionellen … (ungeduldig) Scheiß, whatever. Ich hänge privat nicht mit der Band rum.

War das immer so?

Ich war nie dick befreundet mit Liam. Ich war privat nie mit jemandem in der Band dick befreundet, (knapp) Ich sehe so genug von ihnen, herzlichen Dank auch. Ich hänge lieber mit mir selber rum.

Alan White, Oasis-Drummer seit MORNING-GLORY-Zeiten, ist seit Januar 2004 raus der Band. Er wurde „gebeten zu gehen“, heißt es.

Wir baten ihn, aber er wollte nicht. Also haben wir ihn rausgeschmissen.

War das wegen seines Armes (White leidet unter einer chronischen Sehnenscheidenentzündung; Anm.) oder gab es noch andere Gründe?

Hm. Nein, er schien einfach nicht mehr besonders interessiert daran, in einer Band zu sein. Kam nicht mehr zu Bandtreffen, solche Sachen. Aber es gibt kein böses Blut zwischen mir und Alan. Er ist ein guter Typ. Aber man kann nicht Leute in einer Band haben, die zwar Anteil am Ruhm haben wollen, aber nicht bereit sind, Zeit zu investieren. Ich mag Alan. Ich vermisse ihn. Aber ich werde auch niemanden mitschleppen.

Zak Starkey, der Sohn von Ringo Starr, trommelt jetzt auf dem Album und auf der Tour. Kann man ihn als Oasis-Mitglied bezeichnen?

Er ist Mitglied, wenn er es will. Das hängt absolut von ihm ab. Wir haben ihn noch nicht offiziell gefragt, damit warten wir bis nach der Tour.

Damit habt ihr euch quasi Beatles-Gene in die Band geholt.

Ja, das ist toll für die Presse, wegen der Beatles-Connection, die wir immer hatten, weil wir solche Fans sind. Aber daß er der Sohn von Ringo ist, hatte nichts damit zu tun, ihn zu holen. Er ist einfach ein toller Drummer und ein netter Typ. Wir kennen ihn schon lange, über Johnny Marr.

Ich hab gelesen, ihr wolltet auch Ringo fragen, ob er auf der Platte mitspielt.

Ach, das war nur ein Witz. Und die englische Presse, leichtgläubige Idioten wie das sind, hat eine Riesengeschichte draus gemacht.

Zak hat zuletzt mit The Who gespielt. Was ist nur los mit diesen Reunions? Ich muß zugeben, ich war gestern bei dem Queen/Paul Rodgers-Konzert.

Und? Hat das was getaugt?

Es war traurig. Bitte versprich mir, daß es mit Oasis nie so weit kommt.

Wir haben uns noch nicht aufgelöst. Drum gibt’s auch keine Reunion.

Ich meine dieses nicht-loslassen-können. Siehst du diese Gefahr für euch?

In der Gefahr ist jeder, oder? Man wird älter, dem entkommt man nicht. Aber wir sind noch nicht 50. Ein paar Jahre haben wir noch, denk ich.

Und du fühlst dich gefeit vor dieser „Absprung-verpaßt-Falle“?

(lange Pause; sinniert) Ich weiß nicht. Schau dir die Rolling Stones an. Ich meine, ich würde nicht weitermachen wollen bis ich 65 bin, das wäre bizarr. Aber… Ich weiß nicht. Das wird die Zeit weisen. Momentan macht es mir Spaß. Ob das in zwei Jahren auch noch so ist, weiß ich jetzt nicht.

Ich fand’s lustig, als vor ein paar Jahren Andy Bell bei euch einstieg. Seine Band davor, Hurricanetti, war ja praktisch eine Oasis-Tribute-Band. (Noel kichert) Und dann habt ihr sie einfach quasi assimiliert.

Nun, wir brauchten einen Bassisten. Und wir kannten Andy, weil er auch auf Creation war. Und, naja, er sieht gut aus und ist groß. (lacht)

Und er kann einen ordentlichen Oasis-Song schreiben, was?

Am Anfang war es schwierig mit Andy. Weil seine Songs exakt nach Oasis klangen. Das mochten wir nicht. Wir sagten: „Mann, schreib einfach Songs, kümmer dich nicht drum, ob die nach Oasis klingen oder nicht.“

Ist „Mucky Fingers“ eine Hommage oder ist das, gemäß Oscar Wilde, das Genie, das stiehlt, während das Talent nur ausleiht?

Genie selbstverständlich. Es klingt wie The Velvet Underground klingen würden, wenn Bob Dylan singen würde.

Und daß Leute schimpfen, „aah, jetzt beklaut er auch noch die Velvets „…

(winkt ab) Haha, I couldn’t care less!

Mein Oasis-Ultras-Freund Jörg meinte schon vor Monaten, er freue sich unter anderem deswegen auf das neue Oasis-Album, weil er so gespannt ist, was du in den Interviews dann zu Keane zu sagen hast.

(sachlich) I fuckin‘ hate them. (beugt sich vor; langsam und ernst) Es ist durch Tradition erwiesen, über die Jahre: Die drei größten Trottel in einer Band sind immer: Der Sänger. Der Drummer. Und der Keyboarder. Wie kann man eine Band ohne Gitarristen aufmachen? Wie ist das möglich? Sie sollten ihren Namen ändern, von „Keane“ zu „Trottel“. (Pause)

Du bist ja immer eine Art Autorität, wenn’s um neue Bands g…

(fällt ins Wort) Ich frage dich: WIE kann man eine Band ohne Gitarristen aufmachen? Wer spielt den scheiß Baß? Der kommt vom Tape, oder?

Was hältst du von der „Neuen Britpop-Welle“ jetzt? Kaiser Chiefs, Bloc Party? Siehst du ein neues 1995 kommen, mit /Oasis-Entdecker und Ex-Manager) Alan McGee wieder mittendrin?

Der gute alte Alan. Nun. Kaiser Chiefs sind okay. Bloc Party mag ich nicht. Kasabian sind sehr gut und Razorlight. Und die Libertines und Babyshambles. Wen gibt’s da noch? Ah, Franz Ferdinand sind toll.

Wie steht’s mit The Darkness?

(angewidert) Fürchterlich. Fürchterliche Musik.

Comedy-Musik?

Nein. Fürchterlich. Fürchterliche Klamotten, fürchterliche Gitarren…

Wird die Presse aus dem Umstand, daß das neue Gorillaz-Album und das neue Oasis-Album fast zeitgleich rauskommen, etwas machen?

Vielleicht, (gelangweilt) Ich weiß nicht, was die Gorillaz sind. Cartoonfiguren. Die Presse wird wohl eher ein Oasis vs. Coldplay-Ding aufziehen.

Wäre das was für dich?

Nein, nein. Ich kenne Chris recht gut. Und ich mag Coldplay.

Hast du die neue Platte schon gehört?

Nein. Du denn? (aufrichtig interessiert) Ist sie gut?

Ja, doch. Ein bißchen überproduziert vielleicht.

Oh. Das hab ich auch schon gehört. Da bin ich gespannt. Ich wünsche mir, daß die toll ist. Weil ein tolles Coldplay- Album hieße, daß von uns keiner Notiz nimmt und wir unser Ding machen können, ohne Druck.

Ist das wirklich das, was du willst?

Nun, ich hab das Rampenlicht nie gemocht.

Aber es war dir auch nicht total unangenehm.

Ja, aber wie gesagt: Die Erwartungen lasten jetzt auf Coldplays Schultern. Ich habe dieses Gewicht ein paarmal gespürt, und das ist nichts Schönes, (der Plattenfirmenmann kommt herein) Deine Zeit ist abgelaufen, mein Freund! Danke, (fröhlich im Abgang) Und ich gehe jetzt aufs Klo.

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