P.J. Harvey Tricky


Dry‘, das spröde, aggressive Debütalbum der spindeldürren Engländerin Polly jean Harvey, ließ vor drei Jahren die gesamte britische Kritikergarde in Ehrfurcht erstarren. Damals stakste Polly im typisch englischen Girlie-Outfit mit schwarzen Hosen und Doc Martens auf die Bühne, um im spärlichen Licht ihre morbiden Balladen für Londons Jugend zu intonieren. Inzwischen ist alles anders: PJ. Harvey hat sich von ihrer damaligen Band getrennt, ist auf’s Land gezogen, hat Eric Drew Feldman von Captain Beefheart’s Magic Band als Keyboarder und Tom Waits‚ Gitarristen Joe Gore eingestellt. Im dunkelroten Satinkleid, mit wilder, schwarzer Lockenpracht und roten Lippen, kehrt Polly Jean Harvey, inzwischen 25 Jahre jung, als grande dame des Britpop zurück – To Bring You My Love‘, wie der Titel ihres aktuellen Albums verkündet.

In ihrem aufreizenden Outfit könnte sie in der Hamburger ‚Großen Freiheit‘ auch zwei Häuser weiter auftreten, wäre da nicht diese unterkühlte, beinahe schon asexuelle Ausstrahlung, jene kalkulierte Parodie auf die Sexsymbole vergangener Entertainment-Epochen – eher an Marlene Dietrich erinnernd denn an Patti Smith, mit der sie von Rockkritikern zuletzt so gern verglichen wurde. Die künstlerische Mutation vom Tramp zum „grimmigen Pop Vamp“ (‚Spiegel‘), diese glamouröse Marketingstrategie aus dem Hause des U2-Managers Paul Mc-Guinness, unter dessen Fittiche sie mittlerweile gekrochen ist, zieht neue Zuhörerscharen an. „Ausverkauft“, prangt es in großen Lettern am Konzertsaal.

Als P.J. Harveys Band erscheint, möchte man meinen, ein transsylvanisches Streichquartett betrete die Bühne: Es besteht Krawattenzwang, dunkler Zwirn dominiert. Und dann kommt Polly Jean, ein maliziöses Lächeln auf den Lippen. Simple Riffs ertönen, der knochentrockene Drum-Beat beschränkt sich auf’s Wesentliche, einfache Melodien erinnern an Kinderlieder – Reduktion ist die Formel, welche die Zuhörer zunächst jedoch in Lethargie erstarren läßt. Der Mann am Mischpult gibt sich zudem als Individualist: Baß, Bassdrum und Tom Tom dröhnen im Vordergrund, während Polly den kaum zu vernehmenden Gitarristen wie eine Fee aus dem Zwischenreich umtanzt. Ein Doors-ähnliches Intro mündet schließlich in eine Punkattacke, Polly kiekst in höchsten Tönen die einzige Reminiszenz an frühere Zeiten. Ein „Vielen Dank“ auf Deutsch, ein schüchternes Lächeln mit schiefgelegtem Kopf entfacht zwar den ersten Begeisterungssturm, doch P.J. Harvey schützt sich durch Verkleidungen, zieht sich bei allzuviel Sympathiebekundungen sofort in Posen zurück. Ihr rotes Kleid trägt sie denn auch nicht als Zeichen lasziver Weiblichkeit, sondern als Distanz gebietendes Warnsignal. Mit Tori Arnos und Björk, die beide ebensowenig dem überkommenen Klischee einer Rocklady entsprechen, ist P.J.Harvey befreundet, zuweilen schütten sie sich am Telefon das Herz aus. „Björk hat so viel Energie“, sagt sie mit einem leisen Anflug von Neid. Doch Miss Harvey muß nicht traurig sein: Sie hat die besseren Songs.

Auch Tricky, während der Tournee im Vorprogramm, setzt auf musikalische Reduktion. Die Zutaten sind simpel: Allenfalls drei monotone Baßtöne, ein stoisch schleppender Beat, schräge Synthesizer-Einsprengsel – alles minutiös getimet – müssen reichen, um eine hypnotisierende Wirkung zu erzeugen. Das funktioniert auf seinem Album ‚Maxinquaie‘ prächtig, läßt live aber zu wünschen übrig. „It’s all so fucked up“, motzt Tricky und stoppt einen Song, weil die Samples an der falschen Stelle kommen. Erst beim zweiten Anlauf funktioniert die Maschinerie des gewieften Eklektizisten. Aber die Synthesizer-Töne erinnern fatal an Brian Eno, und die Baß-Schlagzeug-Kombinationen haben wir vor fünfzehn Jahren schon einmal bei Japan gehört. So bleiben die Schweinereien, die er seine Sängerin singen läßt, das Auffälligste an diesem so hoffnungsvoll erwarteten Auftritt. Während der Zugabe setzt sich Tricky ermattet auf einen Koffer. Ist er von der eigenen Musik schläfrig geworden? Ist es vielleicht ein Fall von Selbsthypnose?