Paul Banks über Privatsphäre


Nur wenige Künstler verteidigen ihre Privatsphäre so aggressiv wie der Sänger von Interpol. Im Interview mit dem ME erklärter erstmals ausführlich, warum.

Ich bin ein wenig nervös – ich würde dich ja gerne zum Thema Privatsphäre interviewen, aber du verabscheust Interviews. Warum eigentlich?

Bevor ich erfolgreich geworden bin, konnte ich nur nicht vorstellen, dass dieser Teil meiner Arbeit so unangenehm sein würde. Die ganze Scheiße, die über mich erzählt wurde… ich konnte nicht ahnen, dass das Geschwätz so beleidigend und abstoßend sein würde. Aber ich bin auch ein besonders sensibler Mensch. Ich wäre sowieso erst dann zufrieden, wenn jeder Journalist schreiben würde, dass ich Gott bin. Mein Ego reagiert auf jede Form von Kritik sofort ablehnend – mein erster Reflex ist: „Leck mich am Arsch“ Natürlich ist es normal, dass Leute über dich reden, wenn du im Rampenlicht stehst. Ich kann Kritik von Fremden nur leider überhaupt nicht vertragen.

Wie schützt du dich davor?

Ich habe aufgehört, Magazine zu lesen. Wenn sich sonst Leute für mich interessieren, sind es meistens Fans. Die sagen positive Sachen. Das ist ja nicht schlimm.

Trotzdem wird man ständig belästigt. Werden die Momente seltener, in denen man einfach gedankenverloren in sich ruhen kann?

Ich habe immer geschafft, mir diesen Frieden zu bewahren. Zum einen verbringe ich viel Zeit allein. Zum anderen aber kann ich Menschen auch so lange völlig ausblenden, bis sie direkt vor mich treten und mich ansprechen. Es ist wichtig für einen Menschen, nicht ständig angestarrt zu werden. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn dir Paparazzi nachjagen. Die Situation von Britney Spears und Pete Doherty ist traurig diesen Leuten werden ständig direkt Fragen gestellt. Da ist es unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen und in deiner eigenen Welt zu bleiben. Wenn nur geflüstert oder gekichert wird – das kann ich ignorieren.

Hast du Stalker?

Es gibt ein paar Leute, die sich im Internet als Paul Banks ausgeben. Das macht mir nichts aus. Wenn jemand den Schwachsinn glauben will, der da verbreitet wird – selbst schuld. Je mehr falsche Informationen über mich im Umlauf sind, desto besser. Und in den Interviews, die ich in den letzten Jahren gegeben habe, hat sowieso niemand die Wahrheit darüber herausgefunden, wer ich bin oder was ich tue. Die stellen alle so dumme Fragen…

Es liegt nur an den dummen Fragen?

Ja. Was mich bewegt, wie ich denke – da kamen die Journalisten mit ihren Fragen immer aus der falschen Richtung. Ich hab auch schon lange keine Lust mehr, nachzuhelfen. Der Zug ist abgefahren.

Du machst es einem auch nicht leicht. Wie du neulich in „Spin“ gesagt hast: „Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, zu Leuten mit Mikrofon und Aufnahmegerät unhöflich zu sein.“

Nein, ich habe gesagt, dass es okay ist, ein Arsch zu sein. Ich bin froh, dass das Zitat gedruckt wurde – das war ein seltener Moment, in dem etwas von meinem wahren Selbst in einem Artikel aufgetaucht ist.

Warum du so denkst, hast du aber nicht erklärt.

Also: Ich bin gewöhnlich eher ein netter Mensch. Ich bin überhaupt kein Arsch. Und als das mit Interviews losging, habe ich einfach geredet – wie mit einem Freund. In Interviews spricht man ja sofort über bedeutsame Themen. Ich war also offen, ehrlich und ernsthaft. Und dann hab ich gelesen, was geschrieben wurde: Zitate wurden aus dem Zusammenhang gerissen, Behauptungen über unsere Musik aufgestellt… Ich hab kapiert, dass das kein Freund war. Das war ein Journalist, der eine Geschichte schreiben muss. Seine Haltung ist vielleicht nicht mal positiv. Warum war ich so offen? Weil ich naiv war. Er hat mich benutzt, damit er mir Sachen aus der Nase ziehen kann, die er in seinem Artikel verwursten kann. Er wollte mich gar nicht kennenlernen. Also muss ich mehr Kontrolle im Gespräch behalten, damit meine Aussagen nicht manipuliert werden können.

Interviews mit Interpol lesen sich deshalb nicht immer besonders spannend.

Das ist mir egal. Hätte alles anders angefangen, wäre ich auch offener. Pff. Wie gesagt, das ist vorbei. Obwohl – wenn mir jemand auf die richtige Art käme, dann würde ich mich vielleicht doch noch öffnen.

Wären Interpol erfolgreicher, wenn du nicht so verschlossen wärst?

Das frage ich mich auch. Aber da geht es wahrscheinlich nicht nur darum, wie offen ich bin. Ich musste richtig grell und extrovertiert sein – dann könnten wir erfolgreicher sein. Aber das wäre unehrlich.

Es lassen sich nur wenig Informationen über dein Privatleben recherchieren. Dass du zum Beispiel familiäre Probleme hattest, erwähnst du nur äußerst selten. Hast du Angst, dass dir das schaden könnte?

Nicht wirklich. Aber es geht um etwas anderes: Ich bin Künstler. Es ist schwer zu sagen, wo die Performance anfängt und wo sie aufhört. Ich nehme den Fans nichts weg, wenn ich wenig über mich verrate – ich möchte nur so gut es geht kontrollieren…

… was sich die Fans unter „Paul Banks vorstellen?

Genau. Es geht um Musik. Und die Menschen sollen nichts zu Ohren bekommen, was sie von der Musik ablenken könnte. Natürlich müssen sie ein bisschen was über mich erfahren – aber das versuche ich sehr genau zu steuern. Damit die Musik ihr Geheimnis behält.

Haben die Menschen ein „Recht auf Information“?

Natürlich. Ich hab Journalistik studiert. Das ist ein wichtiger Grundsatz.

Dann ist „das öffentliche Interesse an Informationen aus der Privatsphäre berechtigt“ -juristisch gesehen jedenfalls. Weil du als Sänger einer bekannten Band eine „Person des öffentlichen Lebens“ bist.

Nun. (überlegt lange) So viel gibt es ja eh nicht zu erfahren. Aber – nein! Das Recht auf Information gilt nicht für die Hintergründe des kreativen Prozesses eines Künstlers. Das geht niemanden etwas an. Korruption in der Regierung -ja! Da gibt es ein Recht auf Information. Da müssen die Machenschaften hinter dem Vorhang enthüllt werden. Nicht aber in der Kunst.

Als Kind hast du mit deinen Eltern in England, Spanien, Mexiko und den USA gelebt. Hast du dir in der Zeit einen inneren Ort des Friedens geschaffen, den du bis heute bewachst? Macht dich das so verschlossen?

Hmm. Nein. Das war einfach schon immer meine Art. Es gab zwar Zeiten in meiner Jugend, in der ich mich fremd und ausgestoßen gefühlt habe, aber meistens hatte ich viele Freunde und ein glückliches Leben. Nur dass ich immer mit so vielen Leuten reden musste, das wollte ich schon als Kind nicht.

Warum „musste ?

Na ja, ich hatte viele Freunde – was ja eigentlich eine gute Sache ist -, die immer angerufen haben. Ich hab die Leute nie verstanden, die dauernd Sozialkontakt suchen. Bei echter Kommunikation, einem wahrhaftigen Austausch, musst du offen für Veränderung sein: Als aufgeschlossener Mensch bin ich in einer Unterhaltung bereit, meine Meinung zu ändern und mich folglich als Mensch zu verändern. Viele Leute halten krampfhaft an ihren Ansichten fest – die langweilen mich. Bei echter Konversation besteht die Chance auf Wachstum. Wenn du jetzt aber ständig nur mit Leuten quatschst – wo stehst du dann? Wer bist du?

Du ziehst dich also ganz bewusst zurück?

Ich hab mit 15 Jahren einen Beschluss gefasst: Ich will 30 Prozent meiner Zeit in Gesellschaft verbringen und 70 Prozent meiner Zeit das Erlebte verarbeiten. Erst wenn ich die Ansichten eines Gesprächspartners verdaut habe, wenn ich die neue Information den Weg durch den Filter meiner Seele gehen lasse, wird sie ein Teil von mir. Deshalb war ich schon immer ein eher verschlossener Mensch.

Funktioniert das 30/70-Modell auch im Tourbus?

Nicht so gut. Wir haben eine Kopfhörer-Regel: Wenn ich Kopfhörer trage, will ich mich nicht unterhalten. Aber ich bin nicht mal der größte Eigenbrötler in dieser Band. Jeder braucht seine Ruhe. Das ist wohl normal, wenn man ein komplexes Individuum ist. Wir respektieren jedenfalls alle die Privatsphäre des anderen.

War das ein Lernprozess? Oder gehört ihr auch zu den Bands, die am Anfang ihrer Karriere gute Ratschläge von Michael Stipe erhalten haben?

(lächelt) Michael Stipe hat mir was anderes geraten: dass ich in Interviews selbst steuern kann, wie viel ich von mir preisgebe. Man muss nicht alle Fragen beantworten und auch nicht immer ganz ehrlich sein. Ein guter Rat, aber ich habe ihn nicht befolgt.

Du musstest dir erst die Finger verbrennen?

Ich verbrenne mir ständig die Finger. Ich lerne langsam.

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