Interview

Peter Doherty: „Ich bin ein Überlebender, ein medizinisches Wunder“


Wie fühlt sich ein britischer Rockskandallieferant mit 40? Nach all den Heroinnächten, Schlägereien, Schlagzeilen? Nach frühem Popstarruhm und Kate Moss, nach Libertines und Babyshambles? Peter Doherty erklärte es uns im großen ME-Gespräch in Ausgabe 05/19.

Die Medien dürfen sich heute nicht mehr so häufig über eine Doherty-Geschichte abseits der Musik freuen. So wie die Sache mit dem Rekord-Frühstück, das du in einem Café in Margate verputzt hast: vier Eier, vier Scheiben Speck, vier Würstchen, ein Burger, dazu der übliche Kram wie Pommes, Baked Beans sowie eine Tasse Tee.

Zur Hölle, ja, das war seltsam. Sogar die BBC hat darüber berichtet, das Foto, auf dem ich dieses Essen verputze, war überall zu sehen, irgendein Typ in Southend on Sea hat sogar ein Mural davon auf eine Wand gemalt.

Wie sehr nervt es, wenn solche Dinge mehr Aufmerksamkeit erzeugen als eine neue Platte?

Scheiß drauf! Was mir wichtig ist: Ich habe diese Monster-Portion wirklich aufgegessen, diese Leistung lasse ich mir nicht nehmen! Damit habe ich die Herzen der Menschen von Margate erobert, denn jemand, der so schnell ein so gutes Frühstück weghaut, der kann kein schlechter Typ sein. Das ist eine Währung, die wirklich was zählt an diesem Ort.

Du sagst, 70 Prozent der Menschen aus Margate haben für den Brexit gestimmt. Sind das Menschen, die – ähnlich wie du – von einem anderen Großbritannien träumen?

Vielleicht, ja, aber die Ausgangsposition ist eine komplett andere. Wenn ich an Albion denke, dann ist das ein kollektiver Traum von verlorenen Seelen wie mir, die sich einen Ort wünschen, an den sie andocken können, ohne sich anpassen zu müssen. Die Brexit-Befürworter argumentieren hingegen von oben herab. Sie wollen einen Status wiedererlangen, von dem sie glauben, er stehe ihnen zu, weil es ihn in der Geschichte schon einmal gegeben habe. Das ist also keine Utopie und auch kein Traum, sondern ein erzkonservativer Gegenkommentar zur Welt, wie sie sich heute entwickelt. Wobei dieses offene Europa mir eine Ahnung davon gibt, wie meine Utopie aussehen kann: Ein freier Kontinent, auf dem sich Gleichgesinnte ohne Grenzen treffen, um gemeinsam Musik zu machen. Jedoch haben diejenigen etwas dagegen, die von einem Wiedererstarken ihrer Nation träumen, weil sie denken, dass ihre Nation das Größte sei und kleingehalten werde – und zwar von den Strukturen, die mir mehr Freiheit gewähren.

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Ist Theresa May nicht im Grunde auch eine verlorene Seele?

Nein, sie ist manipulativ und kümmert sich einen Scheißdreck darum, wie es den Leuten geht. Man darf nie vergessen, wo sie herkommt: May ist durch ihre Herkunft extrem privilegiert. So, wie es auch schon Margaret Thatcher war. Klar, Thatcher hat immer gesagt, sie entstamme der Arbeiterklasse, weil sie als Tochter eines fleißigen Gemüsehändlers aufwuchs. Das stimmt, ihr Vater war nicht reich, aber Thatcher war Mitte 20, als sie den Sohn einer Milliardärsfamilie geheiratet hat. Schon früh hat sie ihre Lust auf Wohlstand und ihre Lust auf Macht entwickelt – und diesen Zugang zur Politik haben sehr viele Mitglieder der Tories. Deshalb ist Labour-Chef Jeremy Corbyn eine so große Gefahr für sie: Er hat als junger Mann Zeit in Jamaika und Lateinamerika verbracht, kam zurück nach England, fuhr mit seinem Fahrrad durch die Landschaft – und stellte sich immer die Frage: „Wie kann es sein, dass in Gesellschaften so viel Ungerechtigkeit herrscht?“ Diese Frage bringt er in die Politik, und es ist klar, warum er deswegen von den Konservativen, aber auch von Teilen seiner eigenen Partei verteufelt wird: Corbyn will an deren Privilegien rütteln, will Umverteilung. Wobei es für die Tories einfacher ist, ihn zu behandeln, als bringe er die Pest übers Land, als sich seinen Argumenten zu stellen.

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In Anbetracht dieses politischen Irrsinns: Warum gibt es in Großbritannien keinen Aufstand, keine großen Demonstrationen?

Weil die Leute nicht mehr wütend sind, sondern traurig. Die meisten haben resigniert. Ob Linke oder Rechte, alle ziehen sich zurück. Wobei die junge Generation die Zeit auf ihrer Seite hat: Noch ein paar Jahre, dann sind genügend Betonköpfe gestorben, um das Land in eine andere Richtung zu drehen.

Und wenn Betonköpfe nachwachsen?

Dann sind wir am Arsch. Meine Band übrigens auch. Denn wenn ich ein Visum brauche, um mit meinen Leuten in Frankreich eine neue Platte aufzunehmen, oder wenn ich meine Hunde nicht mitnehmen darf – dann ist es vorbei.

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