Popkolumne, Folge 220

„Wenn Typen cool sind, schnallen sie das auch“: Das längste Blond-Interview EVER


Diese Kolumne widmet Linus Volkmann der wichtigsten hiesigen Pop-Platte des Jahres: PERLEN von Blond. Nina, Lotta & Johann dazu im ganz großen Interview.

„Wir haben jahrelang im Schlafsack auf dem Fliesenfußboden irgendwo in der Location gepennt“, Lotta Kummer grinst – und Johann Bonitz ergänzt: „Mitunter immer noch!“ Diese Kolumne widmet Linus Volkmann der wichtigsten hiesigen Pop-Platte des Jahres: PERLEN von Blond. Nina, Lotta, Johann dazu im ganz großen Interview. Keiner kann was dagegen machen!

In der aktuellen Ausgabe des Musikexpress (die mit Miley Cyrus vorne drauf) findet sich ein Artikel von mir über die feministische Ausnahme-Popband Blond. Auf dass auch die Zeitschriftenfrösche, die unser Magazin im Abo haben oder am Kiosk kaufen (Ehre!), mitbekommen, wie diese drei Chemnitzer Troublemaker mit Herz die wichtigste diesjährige Platte im deutschsprachigen Musikbetrieb veröffentlichen. Wer den etwähnten Print-Text gelesen hat, wird gemerkt haben: Er besteht nur zu einem kleinen Teil aus Interviewpassagen. Stattdessen habe ich betont Gedanken, die mich smart wirken lassen, über das Trio und die Platte kunstvoll montiert. Das schickt sich so im Popjournalismus-Haifischbecken: Kontexte schaffen, Thesen aufstellen, Schlussfolgerungen ziehen – Schlussfolgerungen, die am besten die Kultur des ganzen Landes betreffen, so Walser, Grass, Böll, Feuilleton-Kanon halt. Wenn man das in der Poppresse nicht macht, muss man bei der Weihnachtsfeier am Tisch der Praktis sitzen oder gleich an der Garderobe Top-Journos wie Torsten Gross und Joachim Hentschel in die Mäntel helfen, während sie sich gegenseitig noch ihre Bob-Dylan-Sammelkarten zeigen. Nur deshalb dieser Fließtext von mir im Heft.

Aber unter uns: Eigentlich liest man doch viel lieber Interviews – und bekommt so einen Eindruck, wie die Befragten wirklich ticken. Zum Glück gibt es diese Kolumne, hier kann ich die XXL-Begegnung mit Blond stellen – und alle Tore gehen auf.

Lotta und Nina, ihr seid Schwestern, habt aber auch noch weitere Geschwister – wart ihr zwei in dem Verbund schon als Kinder ein gemeinsames Gespann, oder gab es auch mal Lebensphasen, in denen ihr euch verloren hattet?

NINA: Wir sind schon immer zu zweit unterwegs – es gab allerdings mal eine Phase, in der ich meinte, mich von Lotta abkapseln zu müssen. Weil ich dachte, das gehört sich so, kleinere Geschwister sind doch peinlich, das hielt aber höchstens einen Monat an – und ich bin reuevoll zu ihr zurück.

LOTTA: Da war ich ihr zu peinlich!

Und Johann, wie sind deine frühesten Erinnerungen an die beiden Kummer-Schwestern?

JOHANN: Sehr positiv. Unsere Eltern waren befreundet, deshalb reicht das alles zurück bis in unsere Kindheit – und wir sind fast wie Geschwister aufgewachsen.

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Man kann in dem Podcast „Da muss man dabei gewesen sein“ von Lotta und Nina nachhören, dass ein sehr schönes und frühes Gruppenerlebnis von euch drei auf einen Kirschbaum verweist. Was hat es damit genau auf sich?

NINA: Wir waren an einem Wochenende alle zusammen bei noch anderen Freunden unserer Eltern, die haben auf einem Hof gewohnt und dort gab es auch eine Ecke mit Kirschbäumen. In einem davon saßen wir stundenlang und hörten Aggro Berlin und Die Sekte und haben uns todesweggekichert, wenn wieder ein schmutziges Wort kam – und wenn man die Acts kennt, weiß man natürlich, das ging Schlag auf Schlag. Das ist also das Fundament der Band Blond [lacht]. Johann hatte diese Alben auf so einem tragbaren MP3-Player dabei – vielleicht kam das von seinen älteren Geschwistern.

JOHANN: Nee, ich hatte mir diese Musik damals eher besorgt, um mich von denen abzugrenzen.

Aber an den Baum kannst du dich auch noch erinnern?

JOHANN: Ja, tatsächlich – auch wenn ich sonst kein gutes Gedächtnis für solche Kleinigkeiten habe.

LOTTA: Kleinigkeiten? Ich bitte dich!

In dieser Phase waren Rolemodels in der Musik noch kein großes Thema für euch?

NINA: Bei Die Sekte habe ich bestimmt nicht gedacht, dass ich das auch will. Aber als dann bei Aggro Berlin ein Act wie Kitty Kat auftauchte, war das schon ein anderer Schnack. Ich habe Musik über sie plötzlich anders wahrgenommen, da bestand eine Identifikationsmöglichkeit, wie ich sie bei den Typen noch nicht erlebt hatte. Das steigerte sich dann noch mal so richtig bei LaFee. Die Begeisterung, die ich für sie damals hatte, ist allerdings schon ein wenig auserzählt, weil ich sie immer so laut rumschreie…

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In dem Text von „Durch die Nacht“ kommt sie zwar nicht namentlich vor, aber man erkennt bei den erwähnten Songtiteln, dass es auch um sie geht.

NINA: Ja. Ich fand sie damals ungeheuer wichtig -–und im Nachhinein weiß ich, was für ein Rolemodel sie für mich dargestellt hat. Ich war Fan, aber nicht so, wie ich es von Tokio Hotel oder Jonas Brothers war, nein, ich wollte eher so sein wie sie. Sie hat vorgemacht, dass es gehen kann. Lotta dagegen hielt große Stücke auf Missy Elliot.

LOTTA: Ich hatte ja Schlagzeug gelernt und weiß noch, dass es mich nie interessiert hat, Tutorials auf YouTube anzuschauen, weil das eigentlich nur Männer waren, die sowas ins Netz gestellt haben und oberkörperfrei ihre Doublebass-Künste vorzeigen wollten. Mittlerweile gibt es aber immer mehr Schlagzeugerinnen, die solche Übungsvideos anbieten und da ist mir erstmal aufgefallen, was das für einen Unterschied macht. Das kann ich mir auf einmal doch ansehen. Das deckt sich auch mit dem Feedback, das mich erreicht. Immer wieder bekomme ich mit, dass junge Mädchen sagen: „Ich spiele jetzt auch Schlagzeug, weil ich sein möchte wie du“. Das ist natürlich eine große Ehre.

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Johann, hast du denn eine Person gehabt, die dir über die Musik hinaus so ein Zutrauen vermittelt hat?

JOHANN: An eine solch konkrete Prägung kann ich mich nicht erinnern, ich bin ja auch durch einige Genres gewandelt. Es gab jetzt keinen Blinden, der für mich Vorbild gewesen wäre. Allerdings bin ich mir bewusst, dass ich selbst für andere diese Rolle erfülle, weil ich eben auf der Bühne stehe – und das bedeutet mir etwas. Also, dass Leute sagen können: „Geil, wie du das einfach durchziehst!“

Wo hat der Link zu euren Brüdern Till und Felix, die bei Kraftklub spielen, euch geholfen – und wo war er eher im Weg?

NINA: Geschwister sind ja auch Vorbilder und so kann man sagen, dass die beiden uns vorgelebt haben, wie es gehen kann, Musik nicht nur als Hobby nebenher zu betreiben. Das hat es uns schon leichter gemacht, durch sie war ein Weg zu sehen. Den mussten wir natürlich selbst gehen und darauf unsere Sachen ausprobieren, aber wir wussten: Der ist da. Das kann man nur als positiven Effekt beschreiben, wir hatten Vorteile gegenüber anderen, die ohne Kontakte und Anknüpfungspunkte starten. Aber auch darüber hinaus gab es Support für uns, sie haben uns mit auf Tour genommen und wir haben auch gemeinsame Songs gemacht. Es ist einfach übelst cool, sowas mit seinen Geschwistern teilen zu können. Natürlich gab es am Anfang diesen Effekt, dass wir bei einigen nur „Die Schwestern von“ waren – Johann dabei komplett rausgelassen –, allerdings hat sich das schon länger gelegt und es ist für uns einfach cool, wie es ist.

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Die Stories über die ersten Tour-Jahre von Blond, die immer wieder mal in eurem Podcast auftauchen, machen auch unmissverständlich deutlich, dass ihr keine Stationen mit Hilfe von Vitamin B übersprungen hättet.

LOTTA: Wir haben jahrelang im Schlafsack auf dem Fliesenfußboden irgendwo in der Location gepennt.

JOHANN: Mitunter immer noch.

NINA: Stimmt, es ist auch heute nicht wirklich luxuriös. Luxuriöser – ja, aber wir geraten immer wieder an sehr unkomfortable Punkte, bei denen wir denken: „Ach, das gibt’s also auch noch.“

Den Vater von Nina und Lotta kann man kennen von AG Geige, einer Avantgarde-Band zu Zeiten der DDR, aber Johann, du stammst auch aus einem musikalischen Elternhaus, nicht wahr?

JOHANN: Ja, aber meine Eltern haben in keiner Band gespielt, die man kennen würde. Mein Vater hat allerdings live früher die Technik bei Blond gemacht, Licht und Ton und all sowas.

NINA: Schon bei unserem allerersten Auftritt bei Johanns Jugendweihe.

Ein echtes Familienunternehmen – und ich muss als Wessi aber fragen, in welchem Alter ist Jugendweihe, dreizehn?

JOHANN: Eigentlich ist das so mit 14, aber ich war ein Jahr später dran.

Und dieser Auftritt dort fungierte schon unter dem Kampfnamen Blond?

NINA: Wir waren von Anbeginn Blond! Wir hatten echt Glück. Manchmal gibt es Bands, die sich mit 14 Jahren einen ganz peinlichen Namen geben und den dann später ändern müssen. Das haben wir vermieden, wir wollten gleich einen haben, der für immer cool ist. Das Setting war Barhocker und Akustikgitarre – und da wir damals noch nicht auf „klick“ gespielt haben, wurde Lotta, weil sie genau wie wir anderen beiden so aufgeregt war, bei jedem Song im Verlauf immer schneller.

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Was war die Sound-Idee für „Perlen“? Was wolltet ihr anders machen als bei „Martini Sprite“?

JOHANN: Das Bewusstsein für einen ganz neuen Sound gab es nicht, aber während Corona habe ich mir das Produzieren beigebracht und dadurch hat sich auch eine ganz andere Herangehensweise ans Songschreiben ergeben.

NINA: Früher haben wir Songs im Proberaum geschrieben, da gab‘s dann Bass, Gitarre, Schlagzeug – und jetzt entstehen sie am Computer, das heißt, man sagt ganz selbstverständlich, dass hier noch eine Fanfare oder was auch immer dazukommen könnte. Allerdings möchte ich erwähnen, dass wir unseren eigenen Sound dennoch nicht verlassen wollten. Wir wollen nach dem klingen, was wir sind: Eine Band, die aus drei Personen besteht – also keine Bläsersätze oder dass man 40 Gitarrenspuren übereinanderlegt. Ich finde in der Platte auch wieder, dass wir beim Machen wieder viel 2000er Indie-Musik gehört haben.

JOHANN: Außerdem merkt man, dass wir eine Band sind, der der Bass sehr wichtig ist – und ich bin ja der Bassist und Produzent…

Dann hast du den am Ende des Tages immer lauter gemacht und den anderen gesagt: „Nee, das liegt nur an der Anlage, dass der Bass alles übertönt“, oder?

NINA: So ist das bei Blond … alle Instrumente umschmeicheln letztlich nur den Bass. [lacht]

Das Intro und Outro stammt aus euren Live-Konzerten, man hört vermehrt weiblich zu lesende Stimmen, die feministische Haltung eurer Band hat sicher auch damit zu tun. Allerdings adressiert ihr in einigen Songs ganz bewusst auch Männer. Die werden einmal darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht bereit ist, ihnen Alltagssexismus bis zu übergriffigen Berührungen in Clubs durchgehen zu lassen, an anderer Stelle singt ihr über den Typen, der eigentlich lieber Blond hören möchte als auf den Vatertagsausflug zu gehen, sich aber für die „Mädchenmusik“ zu schämen scheint. Welche Rolle nehmen Männer in eurer Blondinator-Welt ein?

NINA: Wir wollen mit unseren Konzerten und der Band an sich einen Ort schaffen, an dem sich alle wohl fühlen. Es geht uns nicht darum, Shows ausschließlich vor FLINTA-Personen zu spielen. Wir wollen lieber einen Rahmen setzen, in dem sich alle respektvoll begegnen. Wenn Typen cool sind, schnallen sie das auch, haben Spaß und verzichten ganz selbstverständlich darauf, ihr T-Shirt im Moshpit auszuziehen und achten überhaupt darauf, wie viel Raum sie einnehmen. Ansonsten finde ich das schwer zu beantworten. Wenn man das Internet als Maßstab für „Männer“ nimmt, ist es mitunter natürlich finster. Da reicht oft schon, dass nur ein Bild von uns irgendwo gepostet wird, da haben die noch nicht einen Ton Musik gehört und finden uns schon scheiße.

Was mir persönlich gefällt, ist, dass eure Musik zwar anschlussfähig für jeden vernünftigen Typen sein dürfte, aber dass ihr dafür dennoch nicht alle Konflikte in einem universellen Wohlfühlen auflöst.

NINA: Das war uns schon immer wichtig. Denn uns hören und folgen mittlerweile nun mal einige Menschen und es fühlt sich gut an, von dieser Position aus auch Dinge kritisch ansprechen zu können. Wir sind überhaupt keine Fans davon, neutral zu bleiben oder gar meinungslos zu sein.

Ihr tragt eine sehr klare Haltung vor euch her. Und weil die Verpackung, also die Musik, keiner mehr aufhalten kann, kommt ihr mit Texten, die zum Beispiel auf die männerlastige Festivalbranche hinweisen, tief in den Mainstream.

NINA: Ja! Jetzt dürfen wir dieses Jahr sogar endlich bei Rock am Ring spielen, hätten wir uns lange Zeit nicht mal erträumt, dass es mal soweit kommen wird.

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Wie ist es eigentlich in der Branche? Das Thema Diskriminierung findet sich hier ja schon wieder. Hat sich aber auch etwas konkret verändert in der jüngsten Zeit?

NINA: Es fällt zumindest mehr Leuten auf, wenn ein Line-Up mal wieder null divers ist. Vor einigen Jahren hat man auf diese Listen geschaut und das Missverhältnis nicht mal bemerkt. Heute gibt es dazu immer mehr Kommentare, Artikel und die Aussage steht im Raum: „Das ist doch langweilig, wenn bloß eine Personengruppe auf der Bühne repräsentiert wird, gebt euch mal mehr Mühe beim Booking.“ Dass sich gerade auch kleinere Festivals mittlerweile deutlich bemühen, das alles anders zu gestalten, das spürt man als Band schon und wir freuen uns wirklich sehr, wenn wir Backstage nicht die einzigen FLINTAs sind. Die großen Open Airs wirken dagegen immer noch sehr schwerfällig.

LOTTA: Unsere Perspektive kann man auch darin sehen, dass wir diesen Song rausgebracht haben. Wenn wir es nicht so empfunden hätten, gäbe es ihn nicht. Insofern ist es gut, dass sich etwas tut, aber wir sind noch längst nicht an einem Punkt, wo ich sage, ich bin 100 Prozent zufrieden – überhaupt nicht. Es ist also viel eher schade, dass man noch immer mit einem Stück darauf hinweisen muss.

Es herrscht bei solchen vom Zeitgeist okkupierten Themen immer auch die Gefahr, dass sie ein paar Saisons später schon wieder in Vergessenheit geraten. Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich bei einem Magazin gearbeitet hatte, das auch mit in der Festivalbranche aktiv war. Vor zehn Jahren gab es den Trend zum „Grünen Festival“, jedes Open Air wollte so Zertifikate auf sein Plakat kleben. Hinter den Kulissen war das Engagement aber stets deutlich geringer, wenn irgendwelche konkreten Maßnahmen über Marketing und PR hinausgingen oder sogar, bewahre!, echtes Geld gekostet hätten. Dieser „grüne Trend“ überrollte damals auch die Diskussion um barrierefreie Festivals. Darum ging es ein paar Sommer davor, doch dann interessierte es kaum jemand mehr, wie man solche Events auch für Leute mit körperlichen Einschränkungen öffnen könnte. Das bringt mich zu Johann: Wie sind deine Erfahrungen als Blinder mit der Clubwelt? Gibt es gute und schlechte Läden oder ist jede neue Location letztlich dieselbe Herausforderung?

JOHANN: Für mich ist das nicht so sehr ein Problem, meine ich, weil ich in meiner Bewegungsfreiheit nicht wirklich eingeschränkt bin. Man möchte es vielleicht nicht denken, aber ich kann eine Treppe hoch- und runterlaufen. Ich bin angewiesen auf Begleitung, also jemand muss Bock haben, mit mir rumzulaufen, aber das ist zum Glück der Fall. Wo ich auf Grenzen stoße, ist zum Beispiel beim Getränke bestellen, denn die Karte liegt in den allermeisten Fällen nicht in Blindenschrift vor. Das sind sicher Dinge, die man ändern könnte, so dass ein blinder Mensch nicht immer wieder gezwungen ist zu fragen. Und jetzt fällt mir noch eine weitere Sache ein, dass immer mehr große Festivals eigene Apps für ihre Veranstaltung haben mit allen Informationen und so. Da wird leider auch nicht drauf geachtet, dass die für Bildschirmleseprogramme, wie man sie als blinde Person verwendet, nutzbar ist. Gibt doch schon einige Punkte dahingehend, da könnte man ein eigenes Thema draus machen.

Ihr bietet echt mehr potentielle Themen an als andere Acts – für mich als Interviewer fast schon ein Fluch. Daher komme ich noch mal auf etwas ganz anderes, und zwar gibt es auf der neuen Platte das Stück „Lustig“. Darin geht es um die öffentliche Figur, die man als Band von sich erschafft. Und die ist immer on auf Social Media, am besten dauerhaft gut drauf und erfolgreich. Das ist auch das Bild, das Blond abgeben. Auf der Tour habt ihr immer noch an der Autobahntanke kurze Instagram-Reels gedreht oder gar getanzt, mit eigenen kleinen Songs. In „Lustig“ dagegen betrachtet ihr das alles auch kritisch. Was hat es damit auf sich?

NINA: Das ist eine zweischneidige Sache. Als Corona war, waren wir wirklich abgefucked. Unsere Platte war zwar erschienen, aber es lief nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Und da haben wir dann mit solchen Dingen wie dem Podcast oder Social Media einiges kompensieren wollen und können – auch, um nach draußen positive Signale zu senden. Das war und ist dennoch ein Spagat. Also, dass man denkt, man ist heute vielleicht gar nicht so geil drauf, wieso soll man dieses Gefühl jetzt performen? Doch ich erlebe das auch so, dass mich die Stimmung, die ich aufzurufen suche, tatsächlich auch erreicht. In dem Song geht es für mich daher eher darum, dass nicht jeder, der sich so und so gibt, sich wirklich auch genauso fühlt. Das halte ich für zu stereotyp gedacht. Wir haben schon Glück, dass es uns einfach viel Spaß macht, solche kleinen Videos zu drehen. Allerdings ist auch bei unseren Hörer*innen angekommen, dass das alles nicht so selbstverständlich ist. Es gibt nicht mehr diese Nachrichten der Marke „Es ist Mittwoch, wo bleibt der Podcast?!“

LOTTA: Ich verstehe aber die Frage danach. Denn es ist ja so: Wenn man mal nicht die Kraft hat für lustige Videos, witzige Postings, dann ist man gefühlt auch schnell weg vom Fenster. Das alles kann einen natürlich belasten.

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Letzte Frage: Wie findet ihr AG Geige, die Band von eurem Vater, die vorhin schon mal aufgetaucht ist?

LOTTA: Zuhause wurde uns das komplett vorenthalten. Wir haben das erst vor drei Jahren oder so entdeckt.

Ach, hör‘ auf!

NINA: Nee, wir durften das wirklich nicht hören! Wir sind selbst dann auf so Videos gestoßen und mir sind die Augen rausgefallen. Ich glaube, ich wäre übelster AG-Geige-Fan gewesen. Diese Verkleidungen allein! Ich würde mir echt noch mal ein Konzert wünschen, so dass wir das alle auch mal sehen könnten. Aber da wird, muss ich ehrlicherweise sagen, bei uns nicht so viel drüber gesprochen.

Verrückt. Obwohl… ist vielleicht besser, als wenn Vater bei jeder Gelegenheit mit dem alten Kram ankäme und sagte: „Ich hatte früher auch eine Band, hört lieber das mal!“ Johann, hast du die Musik auf dem Schirm?

JOHANN: Nicht so wirklich…

NINA: Wenn wir am Merchstand stehen, kommen immer mal wieder ältere Menschen und sagen [sächselt]: „Mönsch, AG Geige, dös hat mich damals sö geprägt!“ und erzählen uns dann irgendwelche Insider-Infos und wir so: „Keine Ahnung, wovon du sprichst!“ Wir wissen bloß das, was im Wikipedia-Artikel steht.

LOTTA: Später aber, und da schließt sich der Kreis, wurde auf dem Atomino-Label eine AG-Geige-Cover-Platte rausgebracht und dort haben wir dann auch ein Stück dazu beisteuern können.

NINA: Da habe ich als Nina Kummer dann das gesungen, was damals Ina Kummer gesungen hat.

Das neue Album PERLEN von Blond wird am 21. April 2023 erschienen sein.

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