Profis bei der Arbeit: Routiniert überspielen Aerosmith selbst hartnäckigen Rost


SEATTLE. GrungeJünger in Flanellhemden, Minirock-Mäuse auf Stöckelschuhen, Bikerim Harley Davidson-Shirt und mengenweise Normalos — bei Aerosmith vereinigen sich alle Szenenkinder zur großen, glücklichen Familie. Allein der Veranstalter traute dem lieben Frieden nicht und sperrte die Zapfhähne — in der gesamten Halle gab es keinen Tropfen Alkohol.

Nach einem doch eher durchschnittlichen AC/DC-lastigen Eröfi nungsset der Comic-Rocker Jackyl, gipfelnd in der Kettensägen-Hymne „The Lumberjack“, heißt es dann „Lights Out“ für die Blues-Rock-Brigade aus Boston. „Hi, you motherfuckers“, die Begrüßung durch Steven Tyler fäll kurz und schmerzlos aus. Wozu auch groß Worte machen, schließlich ist seine Band in den USA so bekannt wie ein bunter Hund.

„Eat The Rieh“ ist der perfekte Opener: Mit Wucht stürzt sich die Veteranen-Combo in die bissige Hard Rock-Nummer. Das Publikum, in Freitagabend-Laune, brüllt sich warm. Klassiker wie „Toys In The Attic“ oder „Back In The Saddle“ klingen zum Start der US-Tour noch etwas rostig, zumal auch der Soundmann gehörige Anlaufprobleme hat. Aber Aerosmith wären nicht da, wo sie heute stehen, wenn sie kleine Durchhänger nicht ausbügeln könnten — und so krempeln sie die Ärmel hoch. Auf flinken Turnschuhen sprintet Steven Tyler über die Bühne, zieht absonderliche Fratzen und schreit so schrill wie eine Schimpansenhorde. Breitbeinig, die schwarzen Locken im Gesicht, steht dagegen „Mister Cool“ Joe Penry im Spotlight und hämmert seine Riffs ungerührt ins wohlgefüllte Seattle-Coliseum. Mit Brad Whitford, seinem kongenialen Partner, liefert er sich ein Klampfenduell nach dem anderen.

Immer wieder sträflich unterschätzt: die Rhythm Section mit Joey Kramer an den Drums und Tom Hamilton am Baß. Mit ihrem dichtverzahnten Zusammenspiel sorgen die Grooveschmiede für die nötige Bodenhaftung.

Auch der Mixer ist mittlerweile aufgewacht und gibt den Profis, was Profis gebührt — einen glasklaren Sound nämlich.

Oben auf der Rampe geht es weiter mit dem Endlos-Reigen aus Evergreens und Hits wie „Janje’s Got A Gun“ und „Dude (Looks Like A Lady)“. Verstärkt greifen Tyler & Co. aber auch in die Skurrilitäten-Kiste und befördern rare Ware wie „Kings And Queens“ zutage, amüsieren sich selbst mit einer lockeren Jam-Session auf der Basis von „Boogie Man“ und covern „Goin‘ Down“, die alte Bluesnummer von Freddie King, zu der Joe Perry ans Mikro tritt. Den Schluß des regulären Sets bilden die obligatorische Schmuse-Hymne“.Dream On“ und ihr Comeback-Hit „Walk This Way“, wobei Steven Tyler seinen einzigen Flic-Flac auf die Bühnenbretter legt. Kein Vergleich zu alten Zeiten, in denen er zehn bis zwanzig Überschläge hintereinander machte, aber dennoch: Hut ab!

Das tosende Publikum gerät angesichts der Überraschungs-Bonbons aus der Zugabentüte noch mehr aus dem Häuschen: Neben“.Peter Gunn“ erklingt da unter anderem selbst Fleetwood Macs „Green Manalishi“. Und wie gewohnt beschließen sie den Gig mit ihrer machtvollen Version der Yardbird-Zugnummer „Train Kept A Rollin'“. Auch wenn es kein Konzert war. das vor Brillanz funkelte, zeichnet es die alten Routiniers nach wie vor aus, daß sie selbst einen durchschnittlichen Abend zum Erlebnis machen können.