Puff Daddy: Herr des HipHop


Sean Combs alias Puff Daddy hat alles erreicht, was man mit schwarzer Musik erreichen kann. Seine Firma Bad Boy Entertainment macht mit Welthits wie "I'll Be Missing You" Millionen. Doch der 27jährige Musikunternehmer will mehr. Neben HipHop hat er jetzt auch Kino und Klamotten im Visier.

WAS KANN EINEM SCHON PASSIEREN, venn man im Auftrag des Herrn unterwegs ist? „Ich glaube an Gott. Er st mein bester Freund. Was habe ich zu befürchten? Wenn mir etwas zuitoßen sollte, dann nur, weil mich Gott zu sich ruft.“ Der das sagt, ist kein amerikanischer Fernsehprediger auf der Suche nach neuen, spendenwilligen Schäfchen. Es ist ein Mann, der gerade 50 Millionen Dollar verdient hat. Und so makaber es klingen mag: Einen Teil seines vielen Geldes hat Sean Combs alias Puff Daddy durch den Tod seines besten Freundes verdient. Unter anderem mit einem alten Police-Sample, das als „I’ll Be Missing You“ zu einem Welthit wurde.

„Every Breath You Take“ sang Sting 1983, kurz bevor er Police verließ. Die Polizei war nicht zur Stelle, als am 9. März dieses Jahres mitten auf dem Sunset Boulevard der Rapper Christopher Wallace alias Biggie Smalls im Kugelhagel eines unbekannten Schützens starb. Smalls hatte gerade unter dem Pseudonym Notorious B.I.G. ein großartiges Rap-Album fertiggestellt und war auf dem Heimweg einer Party anläßlich der „Soul Train Awards“, als er seinen Wagen an einer roten Ampel anhielt. Aus einem vorbeirasenden Buick knatterte eine Salve Blei auf seinen (ungepanzerten) Mietwagen. Smalls wurde von fünf Kugeln getroffen und war auf der Stelle tot. Sein bester Freund, der New Yorker Rapper, Produzent und Label-Besitzer Sean „Puff Daddy“ Combs saß in dem Wagen vor Biggies Van und konnte ihm dennoch nicht helfen. Combs, streng katholisch erzogen, ließ sich sein Leid, aber auch den Glauben an Gott, mit dessen Hilfe er die ersten Trauerwochen überlebte, zwei Monate später mit einer heißen Nadel in den linken Unterarm tätowieren. Wann immer er nun den Ärmel seines Maßhemdes, das er gewöhnlich unter einem seiner 28 Designeranzüge trägt, zurückschiebt, um auf die 30.000-Dollar Uhr zu sehen, kann er auch den Psalm 23 lesen: „Und wenn ich auch wandelte im finsteren Tale…“

Mit dem Kugelhagel endete ein dreijähriger, blutiger Krieg zwischen den Rap-Künstlern aus Los Angeles („Death Row Records“) und New York (Combs „Bad Boy Entertainment“). Ein Krieg, der mehr als ein Dutzend Menschenleben kostete, in dessen Verlauf „Bad Boy“ allerdings auch gut 150 Millionen Dollar umsetzte. Trotzdem: „Gangsta Rap“, vormals ein Markenzeichen, unter dem sich Millionen von Platten verkaufen ließen, wurde im Zuge der Gewalt plötzlich zu einem Unwort, das niemand mehr in den Mund nehmen wollte. Um auch dem letzten Gangmitglied zwischen South Central LA und der New Yorker Bronx klar zu machen, daß die Waffen nun endlich schweigen müssen, arbeitete Puff Daddy zuletzt mit den ehemaligen Westcoast-Rivalen Dr. Dre und Snoop Doggy Dog an einer „Versöhnungssingle, die als klare und verständliche Message allen da draußen auf den Straßen klar machen wird: ‚Steckt die Messer weg, sichert eure Knarren, geht nach Hause zu euren Familien. Der Krieg ist vorbei!‘.“ Sean Combs, der im Gegensatz zum inhaftierten „Death Row“-Boss Suge Knight niemals strafrechtlich belangt wurde, war damit zum zweitenmal in seinem Leben an einem blutigen Wendepunkt angelangt.

Der erste liegt 24 Jahre zurück. Als Combs gerade mal drei Jahre alt war, wurde sein vergleichsweise wohlhabender Vater Melvin bei einem Feuergefecht erschossen. Mutter Janice kehrte daraufhin in ihren alten Beruf (Fotomodell) zurück und achtete streng darauf, daß Sean und seine Schwester nur Umgang mit anderen Kindern des gehobenen Mittelstandes hatten. Kinder, die von ihrem Taschengeld jene Platten kauften, die damals in den Charts waren – Police, Kool & The Gang, David Bowie oder Grandmaster Flash. Musik, mit deren HipHop-Umsetzung Sean zwei Jahrzehnte später unter dem Markennamen Puff Daddy zum Multimillionär werden sollte.

Als Grandmaster Flash 1982 mit „The Message“ den Startschuß für das damals völlig neue schwarze Lebensgefühl namens „HipHop“ gab, war Puffy erst elf Jahre alt. Ein Jahr später zog seine Familie von Harlem aus in den nobleren New Yorker Vorort Mount Vernon. Sean besuchte die katholische Jungenschule „Mount St. Michael’s Academy“ und durfte zeitweise sogar Meßdiener in der Kirche des Ortes sein. Aus dieser Zeit stammt auch sein Spitzname „Puffy“ („aufgeblasen“), weil er beim Baseball-Unterricht vor dem Wurf seinen schmächtigen Oberkörper immer demonstrativ mit Atemluft aufblies. Was nichts daran änderte, daß Combs schon als Kind gewisse Privilegien genoß: „Ich bin als Mittelklassekid gemeinsam mit weißen, schwarzen und chinesischen Kindern aufgewachsen. Ich habe alles gehört – von Ozzy Osbourne bis Rapper’s Delight.“ Combs wuchs in die Aufbruchstimmung einer schwarzen Gesellschaft hinein, für die HipHop noch eine von allen Gangsta-Attitüden unbelastete Partymusik war. Für viele liegt nun, nach Puffys Megaerfolg, die Zukunft des Sean Combs in ebendieser Vergangenheit. Die „Süddeutsche Zeitung“ analysierte treffend: „Wenn er nun Hit für Hit die Musik dieser Zeit zitiert, konstruiert er sich ein aus dieser Erinnerung hervorgekramtes Kinderlied, das man sich im dunklen Wald zum Mutmachen selbst vorpfeift.“

Doch zurück zu Combs Werdegang. Er jobbte als DJ, schrieb sich an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der New Yorker Howard Universität ein und veranstaltete HipHop-Parties. Zwischendrin war er sogar als Background-Tänzer in dem Video „She Drives Me Crazy“ der Fine Young Cannibals zu sehen. Das Management-Wissen aus seinen Seminaren kam ihm zugute, als er 1990 bei Andre Harrells Label „Uptown Records“ zunächst als unbezahlter Praktikant anheuerte und binnen weniger Monate zum A&R-Chef aufstieg – er hatte die Millionenseiler Mary J. Blige und Jodeci für „Uptown“ entdeckt. Kein Wunder also, daß Combs bereits 1993 mit „Bad Boy Entertainment“ sein eigenes Label gründete. Schon das erste darauf veröffentlichte Album holte in den Staaten Multi-Platin – „Ready To Die“ von Notorious B.I.G.

Heute, nur fünf Jahre nach dem Start von „Bad Boy Entertainment“, kann man allein an den amerikanischen Single-Charts ablesen, daß Sean Combs für die schwarze Musik das geworden ist, was Babyface vor zehn Jahren einmal war – ein „mogul entrepreneur“, der neue Godfather von Soul und HipHop. In der US-Single-Hitparade war Combs im Dezember mit acht Songs vertreten, drei davon rangierten in den Top Ten. Als Produzent betreute er Ushers „You Make Me Wonna“(Platz2), Allure feat. 112 mit „All Cried Out“ (Platz 9) und „You Should Be Mine“ von Brian McKnight feat. Mase (Platz 53). Für seine eigene Firma „Bad Boy“ produzierte er „Feel So Good“ von Mase (Platz 8), den Song „Mo Money Mo Problems“ von Notorious B.I.G. (Platz 23), auf dem er gemeinsam mit Mase auch rappt, und den Biggie-Track „Sky’s The Limit“ (Platz 60). Als Rapper war Combs in den Charts zu finden mit „It’s All About The Benjamins“ (Platz 25), zusammen mit Biggies Witwe Faith Evans auf dem Dauerbrenner „I’ll Be Missing You“ und als prominenter Gast auf dem SWV-Song „Someone“ (94).“No Way Out“ wird von den Chart-Historikern des „Billboard“ als der zweithöchste Neueinstieg eines Debüt-Albums seit Bestehen der US-Hitparade gelistet, „I’ll Be Missing You“ stand in zehn Ländern auf Platz eins und verkaufte sich weltweit mehr als fünf Millionen Mal.

Und das, obwohl Puff Daddy nicht gerade ein begnadeter Rapper ist. Schwer und monoton schleppt sich seine Stimme durch die Songs. Und obwohl Combs und sein Clan bei dem Konzert im Rahmen der „MTV Music Awards“ gemeinsam mit Sting den prämiierten Song „I’ll Be Missing You“ (Gewinner in der Kategorie „Bestes R&B-Video“) performten, hatten die Kritiker in den USA Schaum vor dem Mund: „Das Album ‚No Way Out‘ ist das mit Abstand bescheuertste Stück Musik, das jemals von einem Rap-Act veröffentlicht wurde“, verriß zum Beispiel die „Denver New Times“ Puffys Millionenseller. Und weiter: „Puff Daddy hat den miesesten Rap-Stil aller Zeiten – garantiert charisma-frei in ihrer Monotonie, klingen seine Raps, als würde Combs eine hirnlose Mikrofonprobe vor sich hin brabbeln. Seine Texte erreichen allenfalls die Originalität von Poesiealben eines Zweitklässlers.“

Combs stört das nur wenig. Er läßt die in den Medien abgeschossenen Kritiker-Pfeile mit dem Lächeln des Siegers an sich abprallen: „Es würde mich ohnehin niemand als Rap-Künstler akzeptieren“, erklärte er der „Los Angeles Times“, denn „ich habe ja nun wirklich keinerlei Straßengang-Vergangenheit. Aber wer hat die schon? „Letztlich bin ich bin ein Entertainer, ein Mensch, der anderen Leuten die richtigen Vibes vermittelt. Im Grunde geht es doch nur darum, wie du dich selbst vermarktest.“ Das zumindest gestehen ihm auch scharfe Kritiker wie jener von der „Denver New Times“ zu: „Das Album unterwirft sich bedingungslos dem Massengeschmack. Kein Wunder, daß es so erfolgreich ist.“ So erfolgreich, daß binnen weniger Wochen schon Trittbrettfahrer auftauchten, die sich an den Riesenerfolg von „No Way Out“ anhängen wollten.“Das Absurde ist“,feixt Sean Combs angesichts der Nachahmer, „daß inzwischen schon einige Rapper versuchen, meinen völlig bescheidenen Stil zu imitieren. Das mußt Du Dir mal vorstellen -das ist so, als würde Mercedes Benz versuchen, einen Lada zu bauen.“

Combs Stärken liegen auf der anderen Seite des Mikrofonkabels – im Studio, am Mischpult, am Sampler und an den vier Telefonen, die auf dem riesigen Schreibtisch seines „Bad Boy“-Headquarters in Manhattan stehen. Die Wand gegenüber ist tapeziert mit Platin-LPs fürsein eigenes Album, die zwei Biggie-CDs „Ready To Die und das posthume „Life After Death“, sowie für etliche weitere Blockbuster von Mase bis Foxy Brown.

Nellee Hooper, Produzent von Björk und Massive Attack, ist ein erklärter Fan von Puffy-Produktionen:“Er hat ein unglaubliches Gespür vorauszuahnen, was die Leute draußen hören wollen – ohne daß sie selbst es schon wissen.“ Doch Combs wiegelt ab. Er will sich nicht zum Pop-Propheten hochstilisieren lassen: „Als Produzent und Plattenmanager bin ich vor allem dafür bekannt, daß ich die Leute zum Tanzen bringe oder ihnen zum Beispiel mit einer Ballade positive Gefühle vermittle. Ich fing schon früh damit an, unterschiedliche musikalische Elemente zu studieren, verschiedene Stilrichtungen – eine Nirvana-Melodie, einen Metallica-Song oder Soundgardens ‚Black Hole Sun‘. Die Gefühle, die derlei Musik vermittelt, packe ich dann gezielt in meine Songs und erreiche, daß die Leute stimuliert werden. Sei es, um sich rebellisch zu fühlen, sei es, um rauszugehen und bei einer Party eine gute Zeit zu haben.“

Mit Label, Musikverlag, Studio und Managementfirma hat das Imperium von Sean Combs zwar jetzt schon eine beachtliche Größenordnung, doch mit dem Erreichten ist Puffy längst noch nicht zufrieden. Ein Rahmenvertrag mit „Atlantic Records“ garantiert ihm 700.000 Dollar privates Jahreseinkommen. Daneben warf der Kontrakt noch zwei Millionen Dollar für die Renovierung von „Daddy’s House“, Combs New Yorker Studio, ab und einen Cash-Vorschuß in Höhe von sechs Millionen. Wichtigster Teil des Deals mit „Atlantic“ aber ist eine Kreditlinie über 50 Millionen Dollar. Mit dieser finanziellen Grundausstattung kann Combs vergleichsweise entspannt in die Zukunft blicken:“Die Verträge sind wasserdicht, wir haben uns ganz bestimmt nicht über den Tisch ziehen lassen.“ Trotzdem bleibt die Frage: Weshalb ist Combs, der es gewöhnt ist, nach eigenem Gusto zu agieren, überhaupt auf das Angebot von Atlantic eingegangen? „Wir brauchten das Geld sofort, um weiter expandieren zu können. Ich werde es allen zeigen . Damit meine ich all jene, die glauben, ein Schwarzer könne vielleicht rappen, tanzen oder singen, aber keine Geschäfte machen. Mein Ziel ist es, in fünf Jahren in der’Forbes‘-Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen vertreten zu sein.“ Doch selbst dieses ehrgeizige Ziel des amerikanischen Rap-Moguls klingt vergleichsweise bescheiden, wenn Sean Combs erst mal anfängt, in Dekaden zu denken und dabei zu Höhenflügen wie diesem ansetzt: „In zehn Jahren werden wir mit Film, Musik, Fashion, Merchandising und Politik so groß sein, daß wir in einer Liga mit IBM und Coca Cola spielen können.“

Immerhin findet Sean „Puffy“ Combs nach verbalen Knallern von diesem Kaliber wieder schnell auf den harten Boden der Tatsachen zurück. Das hört sich dann auch realistischer an: „Es ist unser Ziel, eine Firma nach dem Muster von Motown Records oder Def Jam zu werden.“

Daß Combs ausgerechnet Motown und Def Jam nennt, hat seinen Grund: „Meine großen Vorbilder Berry Gordy und Russell Simmons schufen diese beiden Plattenfirmen. Firmen, die den Sound einer ganzen Kultur in sich vereinigten. Wir möchten eben einen anderen Sound unserer Kultur repräsentieren.“ Den Grundstein dafür hat Combs längst gelegt. Nachdem sein „Bad Boy Entertainment“ zu einem hochprofitablen Business herangereift ist, bemüht Puff Daddy sich nun auch auf nichtmusikalischen Geschäftsfeldern um Erfolg. Die ersten Musterklamotten für eine eigene Fashion-ünie namens ,,Sean John“ sind bereits geschneidert, und in Hollywood suchen schon einige Immobilienmakler nach geeigneten Räumlichkeiten für den Hauptsitz von Sean Combs geplanter Kino-Company. Einen Namen hat die im Entstehen begriffene Firma bereits: „Bad Boys Films“.

Auch in die Gastronomie ist der vielseitige Puffy eingestiegen: Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft eröffnete er im Flatiron-Viertel in Manhattan sein erstes Restaurant. Der noble Freßtempel mit Mahagoni-Bar, schweren Samtvorhängen und Videomonitoren in jeder Toilette trägt den Namen Justin’s“ – benannt nach Combs dreijährigem Sohn. Mit anderen Ergebnissen von Daddys harter Arbeit soll der junge Mann tunlichst noch nicht in Berührung kommen. Gemeint sind einige Rap-Platten aus der Puff Daddy-Schmiede. Mit Blick auf den Filius räumt King Combs ein: „Das ßiggie-Album und ein paar Songs aus meinem eigenen Album darf er nicht hören. Dafür ist er noch zu jung. Aber ich spiele ihm die Singles vor, die Songs, die wir fürs Radio entschärft haben.“ Nicht ent-, sondern verschärft sind dagegen noch immer die Bestimmungen zum Schutz des kleinen Justin. Vier bewaffnete Bodyguards karren den Kleinen in einer gepanzerten Limousine jeden Tag zum Kindergarten und zurück. „Ich bin froh“, seufzt Daddy da, „wenn sich die Situation endlich so weit beruhigt hat, daß Justin wieder ein ganz normales Leben führen kann.“ Das im Moment noch etwas unnormale Leben von Familie Combs führte auch dazu, daß illustre Gäste wie Courtney Love oder Sting bei der Einweihungsparty von Justin’s“ um ein Haar den Champagner auf nüchternem Magen trinken mußten – Combs hatte Probleme, einen Chefkoch zu finden. Der Grund: Es gab Befürchtungen, das Gangsta-Gemetzel zwischen Ost- und Westküste könne in einer Schießerei in Combs neueröffnetem Restaurant gipfeln. Doch drei Tage vor der offiziellen Einweihungsfeier meldete sich der in New York geborene Meisterkoch Ruggiero Calvinho (59) in Combs Büro: „Wenn der Job noch frei ist, kann ich schon morgen bei Ihnen anfangen.“ Eine Erklärung hatte der furchtlose Küchenchef auch parat: „Mein Vater hat damals für Al Capone gekocht. Und auch, wenn das ganze Lokal von Maschinenpistolen durchsiebt wurde – den Koch haben die Killer nicht erschossen.“