100 rasche Seiten: das atemlose Protokoll eines Tages im München der 1980er-Jahre :: „OLIVER lässt die Teenies kichern, indem er sein Tagesprogramm bekannt gibt. Heute früh bei KÄFER gefrühstückt, zwei Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat, dazu eine halbe Flasche MOET, mittags im FRANZISKANER, Stammtisch, rösche Kalbshaxe, 1/2 Flasche KIRCHBERGER VÖGELEIN, dann bei Oma Abendessen, kalte Platte, Rheinwein.“ Christopher Roth erklärt im nach 30 Jahren wieder aufgelegten „200 D“ genau, was im Umfeld seines jugendlichen Ich-Erzählers passiert. Er schreibt von Nachtgestalten, von Filmdrehs, vom Gebrauchtwagenmarkt an der Dachauer Straße und der Diskothek Sugar, die vermutlich das legendäre Sugar Shack sein soll. Er benennt nicht nur die Orte und die Getränke, sondern auch bis auf den Pfennig deren Preise. Die eigentliche Handlung – sein Protagonist verbringt einen Tag mit einem Mädchen und kauft am nächsten einen roten Mercedes – ist eine lose Klammer für diese sehr in ihrer Zeit verhafteten Beobachtungen, die vorwegnehmen, was später unter dem Begriff Popliteratur abgeheftet wurde. Doch Roth, heute als Filmemacher bekannt („Baader“), entzieht sich jener Wertung, die in den 90er-Jahren Autoren wie Christian Kracht oder Alexander von Schönburg immer ein snobistisches Mäntelchen umlegte, sondern beschränkt sich auf eine Schilderung der Umstände und gelegentliche Exkurse in die Geschichte des Dieselmotors. Jochen Overbeck

Jukebox von Charles Berbérian

Comic-Autor imaginiert sich in die Popgeschichte hinein

Charles Berbérian liebt Zeitreisen. Gleich in mehreren seiner kurzen Comic-Geschichten über Popmusik, die er in „Jukebox“ gesammelt hat, taucht er in der Vergangenheit auf. Einmal trifft er 1979 John Lennon, der ihm sein Leid klagt über die Pseudo-Revolutionäre der Kunst. Und dann fragt Lennon den Besucher aus der Zukunft: „Hab ich’s 2006 immer noch drauf?“, worauf der nur schwitzen und stammeln kann. So charmant sind die kleinen Interventionen Berbérians in die Pop-Vergangenheit fast immer, aus einem historisch belegten Kern sprießen die Fantasien über den jungen Elton John, der im Affenkostüm von Iggy Pop verprügelt wird oder über die Band Yo La Tengo, die auf der französischen Atlantikinsel Groix Spuren hinterließ. Gezeichnet sind die Anekdoten in dem klaren Stil, der aus „Monsieur Jean“ bekannt ist, Berbérians gemeinsam mit Philippe Dupuy gestalteter Erfolgsserie. „Jukebox“ ist die einfallsreiche Biografie einer Pop-Sozialisation, die für Berbérian in seinem Geburtsort Bagdad begann, wo er sich vor der Sängerin Om Kalsoum im Fernsehen fürchtete, bis zu den posthumen Chartserfolgen von Michael Jackson. Felix Bayer