Antony & The Johnsons – l Am A Bird Now

Erst das Vibrato. Ein traumgeweihtes Zittern in Tönen, ein Raum für Geheimnisse und Verletzungen. Nein, man kommt gar nicht an diesem Vibrato vorbei, das jede Melodie mit sich schleift, sie biegt und dehnt, an einen Ort transportiert, der noch unsicher zu sein scheint – es gibt kein Vorbeikommen an Antony & The Johnsons, live nicht und auf dieser Platte nicht. Antony ist ein Veteran des Manhattaner Drag-Queen-Club-Zirkus‘, ein Kerl, der mit weiß geschminktem Gesicht in Frauenkleidern auftrat und japanische Hermaphroditen zur Unterstützung auf die Bühne schickte. Wenn man für diese Stimme nicht hätte sterben wollen – Antony würde immer noch im Sumpf des Big Apple rühren, dick und ein bisschen wie Boy George für Arme werden. Bald aber gastierte er in größeren Konzerthallen, zuletzt trat er zum Beispiel im Vorprogramm von CocoRosie für europäische Folk-Freunde und Indie-Hundertschaften auf, eine Sache, die unvoreingenommene Besucher später als Hypnosesitzung beschrieben. Dass Antonys Stimme immer wieder mit der von Nina Simone und der von Billie Holiday verglichen wird, soll hier nicht zur Diskussion stehen, es passiert etwas auf dieser Platte, das dem schon fünf Jahre alten und zuletzt wiederveröffentlichten Debütalbum fehlte: In den Songs, die oft nur Piano. Bass und Cello mit sich tragen, tritt der Sänger aus den klaustrophobischen Arrangements, den Gefängnissen der Pein und der Paranoia hinaus in die Welt, sucht den Anschluss mit Worten: „One day I grow up/be a beautiful woman / One day I grow up /be a beautiful girl/but for today I’m a child/ but for today I’m boy“. Und man kann sich halbwegs vorstellen, was eine gestandene Künstlerin wie Laurie Anderson zum Vergleich mit dem Unvergleichlichen hingerissen haben mag: „Es war, als ob ich das erste Mal Elvis gehört hätte. Zwei Worte, und er hat dein Herz gebrochen.“ Vielleicht ist I AM A BIRD NOW das Selbstfindungstheater eines lange verlorenen Kindes, aber diese Platte besitzt den Klang einer einmaligen Liebeserklärung. Antony hat seine Freunde und Idole eingeladen, mitzumachen, damit er die Einsamkeit nicht fühle, sagt er. Auf I AM A BIRD NOW sind Devendra Banhart und Rufus Wainwright zu hören, ja, und Boy George auch, der sich mit dem Hauptakteur die Hymne „You Are My Sister“ teilt. Lou Reed, der Antony in sein Tour-Ensemble 2003 bat. spricht die Einleitung zu „Fistfull Of Love“. Dann schleicht dieses Vibrato unter eine Wiederauflage des steinalten Muscle-Shoals-Beat, und alles wird gut: „We live together in a photograph of time.“ Das ist der schönste leichte Satz dieser Platte.

VÖ: 7.2.

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