Blondie – Plastic Letters

"I would kill for love, but I don 't know how.... " (Deborah Harry)

Blondie’s Debütalbum hat starke Konkurrenz bekommen: „Plastic Letters“. Als Basis für diese Besprechung (die LP war noch nicht erschienen) hatte ich nur eine schlechte Kassette – kein besonders guter Ausgangspunkt. Aber gerade die verminderte Tonqualität machte dieses „Schlüssellochgucken“ noch reizvoller und prickelnder.

Die Sentimentalität der an die fünfziger Jahre erinnernden Rock’n’Roll-Songs („Denis“ erinnert sehr an die Everly Brothers), die Gänsehaut erzeugenden Phil Spector-Arrangements („1’m always touched by your Presence, Dear“), die künstlichen atmosphärischen Synthesizerklänge („Cautious Lip“) und die schrillen, atemlosen Punk-Riffs („I’m On E“), all das hat Blondie zu einer aufregend wilden, knisternden unberechenbaren und gefühlvollen Synthese meisterhaft gemischt. Wenn sich die Band von New Wave und Punk distanziert, ist das ihr gutes Recht – Blondie ist ein Talent von eigenem Format. Und Debbie Harry beweist auf dieser LP unbekümmert, daß Mädchenstimmen doch mehr können als Disco oder Folk. Nach Grace Slick, Janis Joplin und Sonja Kristina (Curved Air), der sie bisweilen sehr ähnlich ist, hat hier endlich wieder ein Mädchen den Mut zu Originalität und Selbstbehauptung. Stilistisch legt Debbie eine rapide Entwicklung von Persönlichkeit und Geschmack an den Tag, die sie in die Nähe von David Bowie und Bryan Ferry rückt. Das Geheimnis ihres exzentrischen Gesangs liegt in den Kleinigkeiten, den Nuancen, mit denen sie spielt wie ein guter Pantomime: unerwartetes Losschreiben, Flüstern, Pfeifen,Parodieren. Dazu kommt Natürlichkeit, Manierismus und Expression. Debbie ist nicht nur ein Mädchen, das weiß was es will und macht was es will, sondern es so macht, daß es voll überzeugt. Weder kokettiert sie übermäßig, noch unterdrückt sie ihre widersprüchlichen Gefühle zwischen naiv-kindlichen und raffiniert-erwachsenen Zügen.

Und dann die Band! Selten hat sich eine so perfekte Kombination zusammengefunden; da kann man nur beten, nichts und niemand möge daranrühren! Jede Komposition sprüht feuerwerkshaft Inspiration, und man badet sich in der reinen Lust an Tönen. Chris Stein provoziert auf seiner Gitarre verwirrende, elektrisierende Stimmungen, aber immer konzentriert auf Debbies Gesangskapriolen; dabei unterstützt ihn Aushilfsbassist Frank ‚The Freak‘ Infante weich, prägnant und frech. Clement Burke benützt sein Schlagzeug wie ein zur Disziplin mahnender Dirigent, der genau weiß, welches Wort einen ‚Schlag‘ benötigt. Und James Destri an den Keyboards ist instrumental die größte Überraschung: mit sparsam eingestreuten Piano-Akkorden und sinfonischen Synthesizersounds hat er sich zu einem Mann der goldenen Mitte profiliert; Roxy Music läßt grüßen!

„Plastic Letters“ ist ein Album voller Popsongs, wie man sie gerne aus dem Radio hören möchte, beim Autofahren („Kidnapper“, „Detroit 442“), im Kino oder beim ersten Rendezvous. „I don’t wanna stay with you, I just wanna play with you“ heißt es in meinem Lieblingsstück, dessen Titel ich nicht ausfindig machen konnte. „Plastic Letters“ ist das Manifest einer jungen Band ( mit dem ganzen Emotionsspektrum von Aggression, Witz, Zärtlichkeit, Kitsch und Melancholie), die Großes vorhat und es, wenn sie auf der Hut ist, auch bekommen wird.

Wohin bitte soll ich die roten Rosen schicken?