Blumfeld :: Nackter als nackt

DVD

Ein Abschiedsgeschenk: Blumfeld sagen „Tschüss“.

Nackter als nackt? Wohl eher Schluss mit lustig! Der eigentlich angemessene Aufschrei durch die Republik blieb leider aus, als Ende Januar 2007 bekannt wurde, dass Blumfeld nach 16 Jahren hinwerfen wollen. Hilflose Ohnmacht zumindest in jenen Kreisen, die dem Aushängeschild der „Hamburger Schule“ stets zur Seite standen. Und während in Teilen des deutschen Medienbetriebs noch trotzig über das Für und Wider diskutiert wurde, begab sich das Kult-Quartett um Gitarrist, Sänger und Komponist Jochen Distelmeyer auf Abschiedstournee durch Deutschland. Kein Geringerer als Harry Rag, einst Kopf der deutschen Punk-Pioniere S.Y.P.H., filmte am 29.4.2007 Blumfelds vorletztes Berlin-Konzert. Zumindest zeigte die Hiobsbotschaft von der anstehenden Trennung positive Wirkung: Der Postbahnhof ist, wie die meisten anderen Termine auch, schon seit Wochen ausverkauft. Wenn schon „Goodbye Forever“, dann zünftig, dachten sich Distelmeyer und seine Kollegen, Andre Rattay, Lars Precht, Vredeber Albrecht und der nur für Konzerte aktive Die-Sterne-Gitarrist Thomas Wenzel. Der Zirkus-Marsch zum Einstand verblüffte vor allem langjährige Anhänger. Als lässig, locker und verspielt galten Blumfeld bislang ja nun nicht gerade. Hinterließen sie doch bisweilen eher den Eindruck, immer ein wenig zu ernst und überlegt zu sein. Einmal rauf und runter geht es in den kommenden 110 Minuten durchs Repertoire. Von Klassikern wie „Zeittotschläger“ und „2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß“ über „Tausend Tränen tief“ und „Graue Wolken“ bis hin zu „Der Apfelmann“ reicht die Kollektion. Natürlich dürfen auch „Draußen auf Kaution“, „Mein System kennt keine Grenzen“ und „Die Diktatur der Angepassten“ nicht fehlen. Die zum Teil doch recht kryptischen Texte Diestelmeyers, eigentlich spröde bis unverdauliche Gedichte voll von undurchsichtigen Metaphern, skandiert die Fangemeinde in kollektiver Trauer lippensynchron. Sie handeln von den Schwierigkeiten, die Natur besser zu verstehen, über Sexualität mit dem Partner zu sprechen, auch mal vehement „Nein“ zu sagen oder vom Staat wie Marionetten behandelt zu werden. Doch den politischen Diskurs von einst führen Blumfeld nicht mehr. Mit der Reife kommt wohl die Erkenntnis, nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand zu müssen. Stilistisch eingrenzen lassen sich die Songs ohnehin nicht. Zu vielfältig die Einflüsse, zu Zitatenhaft die Genre-Mixtur. Doch selbst wenn Rockabilly erklingt, manisch der Sixties-Beat pocht oder gar Anleihen bei Americana gemacht werden – Blumfeld bleiben immer sie selbst: eine deutsche Ausnahmeband, die nie so recht in irgendeine Kategorie passen wollte. „Man muss loslassen können“, verteidigte Diestelmeyer seine Trennungspläne, die ihm die Option auf eine Solokarriere ermöglichen, ein wenig emotionslos. Auf beiliegender Bonus-DVD kommen in der Making-Of-Doku „Abflug“ dann auch Fans, Freunde, Kollegen und die Band selbst zu Wort. Die Betroffenheit sitzt tief. Vielleicht geschieht ja ein kleines Wunder. Und Blumfeld nehmen mit etwas Abstand Abschied vom Abschied.