Blumfeld :: Verbotene Früchte
Ist das noch Indiepop? Naturlyrik? Kinderlieder? Jochen Distelmeyer führt seine Diskurse jetzt mit Pflanzen und Tieren. Und Schneeflocken.
Ist Jochen Distelmeyer vielleicht Vater geworden? Das geht uns ja nichts an, aber VERBOTENE FRÜCHTE legt einen solchen Verdacht mehr als einmal nahe. Gern gelebt und die Welt schön gefunden hat er ja schon auf der letzten Blumfeld-Platte Jenseits Von Jedem. Jetzt aber hat er einen solchen Grad kindlicher Naivität und sonniger Weltsicht erreicht, wie man ihn nur von frischgebackenen Vätern oder Irren kennt. Dem ist auch mit den beliebten Münchner-Freiheit- und Pur-Vergleichen nicht mehr beizukommen: Verse über Glockenläuten, Schneeflocken und Schmetterlinge, ein Kinderlied über den „Apfelmann“ („Er will für jeden Baum das Beste“), eine Hymne auf die Tierwelt („Tiere um uns/Was wären wir ohne sie?“). Mit Verbotene Früchte werden Blumfeld endgültig zur Glaubensfrage: Die einen werden sich kaputtlachen, die anderen weinen vor Glück – nachdem sie zweimal schlucken mußten ob so mancher Textzeile. Jochen Distelmeyer schreibt jetzt naive Naturlyrik, die nach ausgedehnten Spaziergängen klingt, voll von Pflanzen- und Tiermetaphern, die höchstwahrscheinlich gar nicht mehr metaphorisch gemeint sind. Er singt einfach, was er sieht, und wirft die ironische Distanz, die immer noch vielen als Voraussetzung für deutsche Poptexte zu gelten scheint, vollständig über Bord. In bezauberndem, praktisch komplett akustischem musikalischem Gewand entfalten sich seine Songs mit der Zeit, die man ihnen geben sollte, zu himmlischem, feierlichem, ergreifendem Pop, der immer dann am besten ist, wenn Distelmeyer sich für einen Moment von all den schönen Schneewehen und Obstbäumen abwendet und die Reflexionsmaschine anwirft – wie in den famosen Gassenhauern „Tics“ und „Atem und Fleisch“. Der großartige Gedankenstrom „Strobohobo“ belehnt einmal mehr die luzide Beat-Poesie Bob Dylans. Es treten auf: Van Gogh, Yoko Ono, der liebe Gott, Sisyphos, der Vollidiot, der Pornorapper und Roy Orbison. Wenn der Chor fordert „Komm raus zum Rhododendron / und zu den Orchideen!“ klingt es wie die natürlichste Art, zum Leben aufzurufen. Für Distelmeyer ist das sein persönliches Ecce Homo – ob er noch verstanden wird, kümmert ihn dabei nur noch am Rande. Es gab schon mal einen, der von seinen Anhängern dafür gescholten wurde, seine politische Schärfe zugunsten persönlicherer, mithin romantischer Songs aufgegeben zu haben. Was daraus wurde, weiß man ja. Kleiner Tip: Er wurde in diesem Text schon erwähnt.
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