Bob Dylan :: No Direction Home

Die spröde Heiligsprechung eines ganz und gar unheiligen Zeitgenossen.

Eigentlich sollte man meinen, über Bob Dylan sei alles gesagt, geschrieben und gefilmt. Doch Hollywood-Regisseur Martin Scorsese, der schon einmal die Sixties-Ikone in dem meisterlichen Konzertfilm über den finalen Karriereschritt von The Band, The Last Waltz, beeindruckend unprätentiös inszenierte, gelingt mit der US-Fernseh-Dokumentation No Direction Home eine verblüffend ehrliche wie hochspannend entlarvende Retrospektive. Als Dylan 1961 mit knapp 20 in den Folk-Clubs des New Yorker Village auftauchte, war er einer unter vielen Schnorrern ohne festen Wohnsitz, der sich bei Bekannten und Freunden schamlos aus deren Platten- und Bücherfundus bediente. Ein rundlicher Junge vom Lande mit Pickeln, schmutzigen Fingernägeln, einer gefälschten Biografie und fatalem Hang zur Folklegende Woody Guthrie. Fünf Jahre später präsentiert sich ein durch zahllose Tourneen, den exzessiven Gebrauch von Amphetaminen und durchgemachte Nächten erschlankter Pop-Superstar, dem die von Fans und Kritik aufgezwängte Messiasrolle gehörig zum Halse raushängt; der Judas-Rufe ob seiner irevelhaften Hinwendung zur E-Gitarre mit lakonischer Ironie erträgt und mit gerade mal 25 Jahren auf ein beachtliches OEuvre an Hymnen für die Ewigkeit zurückblicken kann. Mit vermeintlich wenigen Handgriffen gelingt es Scorsese, diesen eigentlich kauzigen Misanthropen recht distanziert zu porträtieren und ihm Dinge zu entlocken, die seit den frühen siebziger Jahren eigentlich niemand mehr von ihm erfahren hat. Eigenartig, daß der Oscar-nominierte Scorsese bei der über dreieinhalbstündigen Doku als Regisseur geführt wird: Die penibel montierte Chronologie der Ereignisse mit rarem Archivmaterial aus Wochenschauen. TV-Shows und Konzertmitschnitten durchbricht er lediglich mit großzügigen Ausschnitten aus den lange Zeit unter Verschluß gehaltenen britischen Tourimpressionen von D.A Pennebakers eat the document aus dem Jahre 1966. Die von Dylans Manager und Archivar Jeff Rosen aufgezeichneten, halbwegs kritischen Interviews diverser Weggefährten, darunter Dylan-Dauergeschädigte wie Joan Baez. Bob Neuwirth, Allen Ginsberg. AI Kooper. Pete Seeger und Suze Rotolo. entstanden um 1995. Fünf Jahre später brachte Rosen schließlich für immerhin zehn Stunden Filmmaterial einen ungewöhnlich zugänglichen Dylan zum Sprechen, entlockte ihm Autobiographisches, Anekdoten und Analysen, mitunter gar ein entspanntes Lachen. Doch da endet denn auch die sicherlich künstlerisch wertvolle Übung, und akribischen Dylanologen fällt auf, was alles ausgelassen wurde: sein immenser Drogenkonsum, die diabolischen Machenschaften des Managergoliaths Albert Grossman oder die kinderreiche Ehe mit Sara Lowndes, die mit Scheidung endete. Als Kompensation enthält die Doppel-DVD den bislang unveröffentlichten Promospot von „Positively 4th Street“, acht komplette Clips aus seltenen TV-Auftritten. Konzertmitschnitten und Hotelzimmersessions sowie diverse Gastperformances.

www.bobdylan.com