Bob Dylan

Rough And Rowdy Ways

Sony (VÖ: 19.6.)

Von gestern erzählen, das Heute meinen, nichts erklären. Zwischen brutalem Blues und sentimentaler Ballade. Irre großartig.

Bob Dylan ist kein Elder Statesman des Songwritings oder irgend so ein Mist, kein klassischer Dichter und kein Denkmal. Er wirft den „Scarface“-Pacino und den „Godfather“-Brando zusammen und macht sich ein Roboterkommando, er betet zum Kreuz und küsst die Girls, stellt Anne Frank neben Indiana Jones, fährt „fast cars“ und isst „fast foods“.

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Walt Whitman und William Blake hat er trotzdem drauf, klar, Shakespeare sowieso. Er ist Bänkelsänger und er prahlt, er macht kindische Witze, preist den schwarzen Bluessänger Jimmy Reed, überquert den Rubikon wie Julius Cäsar und träumt sich ins Paradies von Key West, wo die Bougainvilleen nie aufhören zu blühen. Er lebt in seinen Songs, im Chicago-Blues, im Geister-Folk, in sentimentalen Balladen. Manchmal hat man Angst um seine Stimme, im nächsten Moment ist sie das Coolste, was man je gehört hat.

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ROUGH AND ROWDY WAYS ist Dylans erstes Album mit eigenen Liedern seit acht Jahren. Es ist siebzig Minuten lang und so voll von Verweisen, dass einem schwindlig wird im Kopf. Songtitel, Mythen, Kriege, Antike, Christentum, Pop. Alles da, nur keine Gebrauchsanleitung. Und darum geht’s. Dylan breitet die westliche Kultur vor uns aus, als epische Collage, er klatscht sie uns hin. Um was damit zu machen, oder halt auch nicht. Er sagt nicht, wo’s lang geht, wie auch? Der Künstler ist kein Dienstleister, Dylan kein „false prophet“, lieber schon ein „man of contradictions“. Wer auf Welterklärungen, einfache Lösungen wartet, kann gleich nach der Seele eines mehr als fünfzig Jahre toten Präsidenten suchen, so als gäbe es eine physische Manifestation davon.

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Der Titelsong, siebzehn Minuten lang, handelt vom Mord an John F. Kennedy, mit Zeilen, die ins Amerika von heute weisen: wenn Dylan von einem „nightmare on Elm Street“ singt, von einem „white face clown“, wenn er fragt: „What is the truth and where did it go?“ Alles endet mit einer Meditation, einem Fiebertraum, in dem der Sänger zum DJ sagt, was er spielen soll, von den Eagles bis Beethoven. Man kann das als Abgesang sehen, ja. Oder als so was wie eine kulturelle Selbstvergewisserung, als verzweifelt hoffnungsvolle Anrufung einer „nation in slow decay“.

Autor: David Numberger

ROUGH AND ROWDY WAYS im Stream hören:

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