Das letzte Einhorn
Der sechsundreißigjährige Autor ist ein ganz und gar unbequemer Märchenonkel. Habt Ihr in letzter Zeit mal ein Einhorn gesehen? Nein? Seid Ihr ganz sicher? Vielleicht habt Ihr eins gesehen und bloß nicht erkannt. Die Welt ist voü von ihnen, wie sie ebenso voll ist von mittelmäßigen Zauberern, verhinderten Robin Hoods, verfluchten Städten und Schlössern und… Um den eventuellen Leser nicht irrezuführen, unterbreche ich diese Aufzählung, denn sie hat nicht wirklich mit Beagles Geschichte zu tun. Sie ist das Ergebnis meiner Lektüre dieses harmlos scheinenden Buches, das meine Phantasie von Grund auf erneuert und mich glauben lassen hat, was so lange nicht wahr sein durfte.
Beagle enthält seinem Leser alles vor, wonach ihm gelüstet: Supermänner, Superfrauen und Supertaten – kurz die ganze Perfektion von Helden, denen man nichts mehr andichten kann, weil sie schon alles haben.
Dafür sagt er mit jeder Zeile: „Leser, wenn Ihr so konkrete Vorstellungen von Geschichten habt, dann erfindet sie doch besser selbst.“ Und seine Geschichte läßt dem Leser Spielraum, viel Spielraum.
Es geht um die locker beschriebene Such des letzten Einhorns nach seinen verschollenen Artgenossen. Dieses Einhorn, das von einer Schönheit ist, die sich nicht beschreiben läßt, bricht auf, um einen geheimnisvollen Roten Stier zu besiegen, einen mystischen Kollegen, der auf der anderen Seite und in König Haggards Diensten steht. Die Geschichte würde wenig taugen, wenn das Einhorn nicht ein paar anständige Weggenossen hätte, mit denen sich zwar nicht unbedingt gut kämpfen, aber doch immer recht interessant reden läßt.
Da ist Schmendrick, ein drittklassiger Zauberer, dem es aber immerhin gelang, das Einhorn aus „Mammy Fortunas Mitternachts Menagerie“ zu befreien. Und Molly Grue, eine herzensgute Räuberbraut. Es gibt aber auch einen Prinzen: Lir, der Adoptivsohn von König Haggard, ist der geborene Waschlappen und reift nur aus Liebeskummer zum Helden.
Beagles leicht mokanter Ton, der sich gegen nichts Spezielles, aber dafür gegen alles richtet, läßt die Erzählung immer dann aus dem Rahmen fallen, wenn man glaubt, sie nun endlich in den Griff bekommen zu haben. Es sind die Zwischentöne, die den Reiz des Buches ausmachen. Der Autor läßt seinen Helden über den Helden in der Literatur referieren und kommt dabei zu dem Entschluß, daß ein Happy End zwangsläufig ist. Der Rote Stier wird besiegt und Tausende im Meer gefangen gehaltene Einhörner finden die Freiheit wieder.
Beagle gelingt es mit der Unvollkommenheit der Handlung, der Mitwirkenden, mit den Abenteuern, die eigentlich keine sind, mit der wohl dosierten Poesie und dem schließlichen Ausschwärmen Tausender von Fabeltieren, die Phantasie des Lesers anzuspornen. Schon beim Lesen fallen einem die Geschichten ein. Beagle nimmt nirgendwo literarische Anleihen, nimmt sich niemals ernst, schreibt modern und dennoch märchenhaft leicht.
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