Der Märchenonkel :: Neil Young & Crazy Horse – Greendale (Reprise/WEA)
Probier was Neues diesen Sommer: Neil Young gibt den Storyteller. Der war er im klassischen Sinne noch nie in seinem knapp 40-jährigen Schaffen, und nun begnügt er sich nicht mit kleinen Moritaten, sondern holt gleich zum ganz großen Wurf aus: Nichts weniger als eine veritable Rock-Oper mit vernetzten Handlungssträngen und einem wachsenden Ensemble von Charakteren ist die Geschichte um die Familie Green im fiktiven Greendale. Eine Sammlung von zusammenhängenden Storys, in denen Young ein all american Panorama aus Familienbande, Lebensdramen, Coming-of-age, Generationskonflikten, Öko-Thematik (von jeher ein großes Young-Thema, das er hier mit fast zorniger Eindringlichkeit beackert), Medienschelte und ein bisschen Crime und Schrotflintengeballer aufzieht. Von den einfachen Leuten erzählen, das ist eigentlich der Job von Volksdichtern, Guthrie, Springsteen. War Young je so einer? Ein bisschen seltsam mutet es an, den alten Bärbeiß, den verschroben-empathischen, aber immer dezidiert widerborstigen Dichter zum hemdsärmeligen Menschenfreund und Geschichtenonkel gewandelt zu sehen.
Die Liedzyklus gewordene Quasi-Soap fußt in Youngs eigensinnigem Konservativismus, der immer wieder Blüten treibt wie zuletzt das irritierende post-9/11-Patriotismus-Gewuchtel von „Let’s Roll“. Greendale setzt dieser militanten Attitüde einen humanistischen Blickwinkel entgegen, in jedem Fall ein angenehmerer. Auch hier gibt es einen toten „hero“, aber keinen Terrorkriegsgefallenen, sondern einen barocken Vokshelden im Kampf für das Menschenrecht des In-Ruhe-gelassen-Werdens: Grandpa Green.
Vor Kitsch ist Greendale nicht gefeit, auch musikalisch. Herbstes Beispiel hier ist das Finale „Be The Rain“: Um sich diesen hysterischen 13-Minüter, in dem Young ausgelassen mit einem Megaphon hantiert, bis man ihm das vermaledeite Ding aus der Hand schlagen möchte, mehr als zweimal anzutun, muss man ein bisschen was an der Erbse haben. Andere Songs rollen ganz wunderbar, mit kleinen catchy Melodiesprengeln (das Lick von „Double E“ bleibt so sympathisch im Ohr hängen wie schon lange kein Young-Song mehr), schön rumpelnder Shuffle-Boogie-Bluesrock aus dem Wald raus, schief geschliffener Harmoniegesang: Neil Young and Crazy Horse eben, zwei Gänge weniger als Ragged Glory, gebremstes Braten. Das Problem ist einzig: Wie oft mag man sich eine weit ausholende, mittelspannende und in Teilen doch recht plump erzählte Geschichte irgendwo zwischen Waltons und Attman immer wieder anhören? Greendale ist wie ein ausgemaltes Malbuch. Es bleibt einem so wenig. Man kann sich nichts für sich nehmen von dieser Platte, sie ist letztlich ein frustrierendes, unbefriedigendes Ding, das nicht wirklich ans Herz wachsen mag. Auch wenn das Mode ist: Bitte kein Sequel, ja?
>>> www.neilyoung.com
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