Die Platte des Monats: Glasvegas – Glasvegas
Columbia/Sony BMC The next H-U-G-E thtng front UK: Der Wall-of-Sounci-Pop dieser vier Schotten ist ausnahmsweise mal ein Hype, dem man vertrauen kann.
Wenn man alles erwerben würde, was der Marktschreier unter den britischen Musikzeitschriften anpreist, dann wäre das monatlich verfügbare Musikbudget schnell verprasst. In diesem Fall beeindruckt jedoch die Unnachgiebigkeit, mit der der „New Musical Express“ seine neue Lieblingsband pusht: So bedachte das Blatt die Glasgower mit zwei Titelseiten, mit dem zehnten Platz in der „Cool List“ 2008 für Schlagzeugerin Caroline McKay, mit dem (angeblich so renommierten) „Philip Hall Radar Award“ bei den „NME Awards“ sowie mit der Headliner-Position bei der im Januar anstehenden „NME Awards Tour“. Und da der Rest des englischen Blätterwalds Glasvegas keinesfalls ignoriert, sondern eifrig mitraschelt und in den Lobreigen miteinstimmt, sollten wir dem Phänomen lieber eine Chance geben und auf den Grund gehen.
glasvegas beginnt zunächst getragen mit einem anschwellenden atmosphärischen Gitarrenschrammeln, doch bald tritt Drummerin McKay mit ihrer unnachahmlich rudimentären und doch knallenden Art, die Felle zu dreschen, den Sturm im Opener „Flowers And Football Tops“ los, und James Allan setzt zu seinem unwiderstehlichen Trauergesang an: „Babe f Why vou’re not home yet? / Baby, it’s getting late 1 1 wish you would be home by now / Doorbeü rings/ Just who could it be at this time? / Police on my left and right / My son’s not cominghome tonight.“ Zur Info: In Schottland ist es Brauch, einem ermordeten Jungen mit Blumen und Fußballtrikots die Ehrerbietung zu erweisen. Nach einem Song wissen wir also bereits, worum es Sänger James Allan (der zusammen mit seinem Cousin Rab Allan unermüdlich die Gitarrenspuren übereinanderschichtet und zu mitreißenden Druckwellen auftürmt) geht: um lodernde und zum Teil unerfüllte Sehnsucht, darum, vor Emotion zerberstende Szenarien in möglichst gewaltige und intensive Songs zu übersetzen. Dabei bedient er sich ruhig auch mal beim ein oder anderen Klassiker, so zitiert er am Ende von „Flowers And Football Tops“ den 4Oer-Jahre-Schunkel-Schlager „You Are My Sunshine“ von Jimmie Davis und unterlegt das verzweifelt-theatralisch vorgetragene Gedicht „Stabbed“ mit den düsteren Pianotönen von Beethovens Mondscheinsonate, so dass man förmlich die scharfe Klingenspitze an seiner Brust spürt. ; „Stabbed“ steht auch exemplarisch für den Stilwechsel, den die Glasgower für ihr Debütalbum vollzogen haben: Frii- .
her polterte das Stück noch als punkige Rock’n’Roll-Nummer daher, auf glasvegas prangt es wie fast alle Songs im Midtempo. Fast schon altmodisch anmutende sos-Harmonien und -Gesangsthemen treffen auf diese unheimlich energetische Soundwand, die einen Phil Spector zum Tonstudiolehrling degradiert. Im Grunde wendet Songschreiber James Allan ein cleveres Prinzip an: Er stiehlt bei seinen zwei All-Time-Favourite-Songs und baut daraus einen neuen. Wir vermuten, mit „You Trip Me Up“ von The Jesus And Mary Chain und „Be My Baby“ von The Ronettes (das Glasvegas übrigens als B-Seite auf der Single zu „It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry“ gecovert haben) dürften wir nicht wirklich falsch liegen. Aber wie so oft heißt es auch hier: besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht. Würde Hollywood ein Remake von „Meerjungfrauen küssen besser“ planen, Glasvegas hätten den Soundtrackauftrag sicher in der Tasche. Wir halten fest: Im Falle von Glasvegas hat der NME Recht behalten, so kann nun auch der ME zur ultimativen Lobhudelei ansetzen und vermelden: Greifen Sie bedenkenlos zu! Dieser Hybrid aus knackigen Gitarrenwänden und altehrwürdigen Oldies-Melodien wird Sie nicht enttäuschen. Stellen Sie sich vor, The Housemartins hätten sich endlich dazu entschieden, sich ein paar primäre Geschlechtsmerkmale wachsen zu lassen. Stellen Sie sich vor, The Jesus And Mary Chain würden die Righteous Brothers covern. Ihre kühnsten Träume (und Schäume) sind wahr geworden. Es wird ein unter die Haut gehendes Fest der (herunterziehenden?) Gefühle. Der Oasis-Entdeckerund Gründer des legendären Creation-Labels Alan McGee liegt eben nie falsch. Ebenso wenig lügt die Tabelle aka die Chartsplatzierung: g las vegas verpasste in der Veröffentlichungswoche nur knapp die Spitzenposition der britischen Albumcharts, allein death magnetic verkaufte mehr Exemplare. Sie sehen: Hier handelt es sich nicht um die nächste dahergelaufene Provinzkapelle, die sich das rrrollende R nicht abtrainieren kann (kann sie nicht – zum Glück!). Nein, dies sind die nächsten The Verve und die nächsten Oasis all put hno one: Glasvegas. 4,5 Lothar gerber »>
www.glasvegas.net >» STORY ME 12/08: KONZERTKRITIK S. 107
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