Sie trieben sich kurz nach dem zweiten Weltkrieg in ein paar verräucherten Kneipen der Southside herum und wurden zu den Paten des Chicago Blues: Die aus Polen stammenden Brüder Leonard und Phil Chess. Die Geschichte ihres kleinen Indie-Labels Chess ist wie wohl keine andere verknüpft mit den Karrieren der Großen aus Windy City. Muddy Waters, Willie Dixon, Howlin‘ Wolf, Etta James, Chuck Berry, *» Bo Diddley und Little Walter, um nur die Bekanntesten zu nennen. Die Chess-Brüder – selbst Kneipenbesitzer – hatten erkannt, dass die schwarzen Industriearbeiter an den Wochenenden auf Vergnügen aus waren und dass Live-Musik in den Spelunken für Stimmung und Umsatz sorgte. So begannen sie, die örtlichen Heroen im Hinterzimmer eines Büros mit archaischem Equipment aufzunehmen und die frisch gepressten Schellacks aus dem Kofferraum ihres Autos heraus zu verkaufen. Die umtriebigen Brüder hatten den richtigen Riecher und landeten schnell erste Hits in den lokalen R&B-Charts. In den 50er Jahren wurde das Chess-Repertoire für weiße Kids, vor allem in England, zur Blaupause für das, was man später Rockmusik nennen sollte – der Einfluss der rustikalen Chess-Scheiben ist schwerlich zu unterschätzen. Nachdem der Chess-Katalog im Laufe der Jahre sowohl klanglich wie auch vom Repertoire-Wert in unterschiedlichster Qualität aufgelegt wurde, gibt’s jetzt endlich das definitive Box-Set zum Thema. Auf 15 (!) CDs bietet THE CHESS STORY 1947 -1975 eine fast lückenlose, chronologisch aufbereitete Dokumentation dessen, was Chess in den 28 Jahren seiner Existenz als eigenständiges Label veröffentlicht hat. Und da gibt es neben den bekannten Klassikern eine Menge zu entdecken – von obskuren, längst vergessenen Lokalheiden wie Harmonica Frank („Howlin‘ Tomcat“) oder von Chess lizensierten Künstlern anderer Label wie J.B. Lenoir („Mama Talk To Your Daughter“) bis hin zu Originalen wie Dale Hawkins („Suzie Q“), die nach ihrem großen Hit wieder in der Versenkung verschwanden. THE CHESS STORY bietet neben den vorbildlich restaurierten 340 (!) Originalaufnahmen und der liebevollen Ausstattung (drei CD-Schuber plus reich bebildertes, 68 Seiten starkes Hardcover-Buch) eine CD mit Original-Interviews mit Phil und Marshall Chess sowie eine CD-Rom zur Label-Geschichte. Gleichermaßen ein Eldorado für Rockhistoriker wie für alle Freunde von Blues, Gospel und Rhythm ’n‘ Blues.