Die Nachwirkung der großen „space opera“. Steven Ellison alias Flying Lotus mit einem überraschend introvertierten, aber wie eh und je weirden Koloss der Experimental Beat Science.

Die Wiedergeburt der Welt, die Steven Ellison 2010 mit seinem dritten Album Cosmogramma abbilden wollte, sie ist abgeschlossen. Der musikalische Resetknopf, er ist gedrückt. Für den Zuhörer war es nicht unbedingt leicht, sich mit dem Album auseinanderzusetzen. Mit seinem „kosmischem Drama“, hat sich Flying Lotus noch weiter von den eher klassischen instrumentalen HipHop-Beats entfernt, für die er Mitte der 00er-Jahre erstmals angemessen Aufmerksamkeit erhielt. Das war futuristischer Space-Funk, mit Beats, die ständig damit beschäftigt waren, über ihre eigenen krummen Beine zu stolpern. Kein easy listening, aber eine gewaltige, lohnenswerte Angelegenheit.

Die äußerst hektische EP Pattern+Grid World, die ebenfalls 2010 veröffentlicht wurde, ließ nichts von der Ausrichtung von Until The Quiet Comes ahnen. Das vierte Album des Mannes, der die neue Produzenten-Riege in Los Angeles anführt, ist ruhiger, geprägt von vorsichtiger Aufbruchsstimmung, viel Ungewissheit und äußerst verträumt. In der Vorstellung von Flying Lotus geht es jetzt darum, seine neue Welt aufzubauen, sich von dem Stress vergangener Tage zu befreien und in die Zukunft zu blicken. Das zweiminütige Intro ist keine fiepende Beat-Salve, sondern klingt angenehm wie ein vertonter Sonnenaufgang. Jetzt, da die Welt des Flying Lotus gerade dabei ist, neu zu entstehen, ist vielleicht auch mal wieder etwas Raum für Selbstreferenzen. Der zweite Track „ Getting There“ mit Sängerin Niki Randa ist eine deutliche Annäherung an „ältere Zeiten“. Solche Instrumentals schreibt FlyLo mittlerweile höchst selten und wenn er dies tut, dann verschenkt er sie im Netz, wie aktuell „Between Friends“ – ein Soundtrack-Beitrag für den US-Cartoon-Sender „Adult Swim“ –, auf dessen entspannten Beat er Earl Sweatshirt unter Einsatz von jeder Menge Hall rappen lässt. Dabei dürfte er sich gerne  häufiger auf seine mittlerweile selten genutzen HipHop-Qualitäten berufen. „Heave(n)“ kümmert sich dafür um alle, deren Lieblings­album von Flying Lotus weiterhin Los Angeles heißt. Ein kurz angebundener, stapfender Beat, den unkenntlich gemachte Vocals umspielen und wie immer: jede Menge Harfen. „Tiny Tortures“ dagegen offenbart, dass trotz Flying Lotus’ großer Liebe zu klassischem Jazz, Soul und HipHop auch aktuelle Spielarten elektronischer Musik ihre Spuren hinterlassen haben. „Tiny Tortures“ ist vermutlich sein bislang britischster Track und erinnert an den „frühen“ James Blake (soweit ist es schon gekommen): ein Beatskelett , das mit dezentem Piano unterlegt ist.

Sowas würde normalerweise gut zum progressiven Britbass-Label Hessle Audio passen, wenn sich da nicht wieder diese Melodieverliebtheit einschleichen würde, die dem Ganzen in der letzten Kurve doch noch das Flying-Lotus-Trademark aufdrückt. Es ist schließlich seine Welt. Obwohl der Hörer sich bei Until The Quiet Comes gewiss nicht so fest anschnallen muss, wie beim Vorgänger, bleibt eine Spur von Unberechenbarkeit. Die Haken, die die Tracks schlagen, sind, obwohl dezenter, nicht weniger überraschend. Man meint sich zunächst in einem Wirrwarr aus Einfällen zu verlieren, bevor man nach ein paar Durchgängen  merkt, wie durchdacht diese Tracks eigentlich sind, etwa der sehr jazzige Jam „Only If You Wanna“.

Wenn es eines gibt, das man von einem Flying-Lotus-Album erwarten kann (außer, dass es hervorragend ist, aber hey), dann die Stimme von Laura Darlington, Ehefrau von Produzentenkollege Daedelus, die seit Ellisons Debütalbum auf jeder seiner Platten vertreten ist. Darlington nimmt sich der von Streichern begleiteten Ballade „Phantasm“ an. Auch Thom Yorke ist wieder dabei. Flying Lotus schickte ihm das Instrumental von „Electric Candyman“ und erhielt den düstersten und nervösesten Track des Albums zurück.

Wir hören gerne zu, „bis die Ruhe kommt“. Aber so wie wir Flying Lotus kennen, wird die nicht lange anhalten. In welcher Welt auch immer.

Key Tracks: „Getting There“, „Tiny Tortures“, „Only If You Wanna“