Frank Ocean

Blonde

Boy's Don't Cry (VÖ: 20.8.)

Wir haben lange auf sein Opus Magnum gewartet – und müssen es weiterhin tun. Frank Ocean serviert uns auf BLONDE Dream Pop, verrückte Laptop-Musik und tiefe Einblicke in sein Seelenleben.

Dass Frank Ocean besessen von Autos ist, lässt sich kaum übersehen: Das Cover seines ersten Mixtapes NOSTALGIA, ULTRA schmückt ein BMW-Modell aus den Achtzigern, sein bislang einziges Deutschland-Konzert spielte er konsequenterweise in der BMW-Welt in München. Oceans inzwischen gelöschtes Instagram-Profil beherbergte dutzende Fotos von Autos. Und, was wohl am wichtigsten ist: Sein bislang bester Song spielt in einem. In „Bad Religion“, einem minimalistischen R’n’B-Stück vom 2012 erschienenen Klassiker CHANNEL ORANGE, sitzt Frank Ocean, gelähmt vom Liebeskummer, auf der Rückbank eines Taxis und schüttet dem Fahrer sein Herz aus, während Taxameter und Motor weiterlaufen. Das Auto ist für Ocean ein Käfig, in dem er über die großen Fragen des Lebens nachdenken kann, ohne von der Welt außerhalb der Scheiben erdrückt zu werden. Jetzt hat er anlässlich seiner Rückkehr sogar einen Essay geschrieben, in dem er über sein Verhältnis zum Autofahren philosophiert.

So gesehen ist BLONDE, das wohl meisterwartete Album einer ganzen Generation ungeduldiger Musikhörer, eine Art „Bad Religion“ auf Albumlänge. Auf „Skyline To“ singt Ocean über eine nächtliche Fahrt auf der Interstate 5, bei der er fast mit einem Reh kollidiert, begleitet nur von einer Gitarre, ein paar elektronischen Tupfern und einem kaum hörbar rappenden Kendrick Lamar. Auf einem weiteren BLONDE-Highlight, „White Ferrari“, schweigen sich Ocean und sein/e Liebhaber/in an, während die Wolken an ihrem Gefährt vorbeiziehen. „Nights“ dreht sich um die Gegensätze, die Frank Ocean tagsüber und nachts durchlebt, und auch hier, in diesem THC-infizierten Stream of Consciousness, dient ein Auto als nostalgischer Fixpunkt: Der Acura Legend, in dem er als Kind mit seiner Familie durch New Orleans fuhr, Master-P-CDs im Sechsfach-Wechsler.

Frank Ocean singt darüber, wie man sich als reicher Mittzwanziger fühlt, wenn die ganze Welt etwas von einem will, und man selbst sich einfach treiben lässt. Über Liebe, Sex, Selbstfindung und Erwachsenwerden, sehr viel übers Kiffen und darüber, wie faszinierend die Welt doch ist, wenn man für einen Augenblick innehält. So ist dann auch der Refrain von „Solo“ einer der schönste Moment auf BLONDE, der einzige, der überhaupt versucht, dem perfekten Pop von CHANNEL ORANGE nahezukommen: „It’s hell on earth and the city’s on fire – inhale, inhale, that’s heaven“, singt Ocean, und lässt das „inhale“ ein wenig wie „in hell“ klingen und später dann das „solo“ wie ein „so low“. Es braucht kaum mehr als eine Orgel, genau wie das herrliche „Godspeed“, einem Abschiedslied an die eigene Jugend.

Den großen Bombast sucht man auf BLONDE vergebens, genau wie potentielle Hits vom Kaliber „Pyramids“, „Lost“ und „Thinkin Bout You“. Vieles hier klingt mehr nach komplettem Außenseiterpop von King Krule und Dean Blunt als nach dem Werk eines A-Liga-Popstars, der so einflussreich ist, dass man ihm freiwillig stundenlang beim Holzhacken zuschaut. „Seigfried“ zum Beispiel, das aus lauter zerhackten Gitarren- und Streicher-Elementen besteht und ziellos vor sich hin plätschert. Oder das völlig krude Schlussstück „Futura Free“, in dem Oceans hochgepitchte Stimme seine Errungenschaften aufzählt. Nach einer kurzen Pause hören wir seinen kleinen Bruder, der verschiedenen Leuten offenbar willkürliche Interview-Fragen stellt. Es gibt viele Beispiele für Elemente, die sich nicht recht ins Konzept des Albums einfügen wollen, vom langen Intro von „Nikes“ bis zur Ambient-Ballade „Self Control“. Dass Frank Ocean diesen Ausflügen in sein Innerstes so viel Platz einräumt und namhafte Feature-Gäste wie Beyoncé, Kendrick Lamar, James Blake und – mutmaßlich – Bon Iver so gut wie gar keine Rolle in den jeweiligen Songs spielen, zeugt von großem Selbstbewusstsein und künstlerischem Weitblick. Besser wird das Album dadurch nicht immer.

Insofern erinnert BLONDE auch etwas an Kanye Wests THE LIFE OF PABLO, nicht von der Musik, sondern vom Aufbau her: Beide Alben weigern sich, etwas Konkretes sein zu wollen. Im Fall von Kanye West ist es ein Symptom für seine grandiose Selbstüberschätzung, bei Frank Ocean zeigt es uns, dass er Mensch geblieben ist. Dafür, dass wir ihn vier Jahre nicht gesehen haben, ist das erst einmal beruhigend.