George Harrison – All Things Must Pass :: Rock

Damit hatten so kurz nach dem Ableben der Beatles wohl die Wenigsten gerechnet: Nicht Paul McCartney, bekanntlich ein Großmeister des gefälligen Liedgutes, und auch nicht John Lennon, gemeinhin als genial bekannt, ist der erste Ex-Beatle mit einem Nummer-1-Album. George Harrison, der ein Jahr zuvor für seine Ballade „Something“ zwar viel Lob einheimsen konnte, aber in der öffentlichen Wahrnehmung grundsätzlich nur knapp vor Ringo rangiert, macht Ende 1970 überraschenderweise das Rennen. Ihm gelingt sogar das Double: Nicht nur das Dreifach-Album All Things Must Pass, auch die Single-Auskopplung „My Sweet Lord“ sprintet an die Pole Position der US-Charts. Gar keine Frage: All Things Must Pass ist Harrisons Emanzipation von den Songwriter-Übervätern Lennon/McCartney, sein opus magnum.an dessen Erfolg nur noch sein Album LIVING IN THE MATERIAL WORLD von 1973 heranreicht. Zurück ins Jahr 1970: Längst ist Harrisons Songwriting ebenso charakteristisch wie das seiner ehemaligen Kollegen, zartbittere Stücke wie „Isn’t It A Pity“, „Art Of Dying“ oder „Beware Of Darkness“ können nur von ihm komponiert sein. Doch nicht nur formal, vor allem inhaltlich grenzt sich der ewige Schattenmann endgültig von seinen Ex-Kollegen ab: Während McCartney mit Gattin Linda an bemüht naiv klingenden Liebesliedern schraubt und „Working Class Hero“ John Lennon allen Revolutionären reichlich „Power To The People“ wünscht, macht Harrison keinen Hehl mehr aus seiner Suche nach Spiritualität und Erleuchtung. Wenn er in „My Sweet Lord“,“Awaiting On You All“ oder“Hear Me Lord“ den Allmächtigen lobpreist,dann geschieht das ohne relativierendes Gelächter am Ende der Aufnahme, mit dem einst John und Paul derallzu großen Ernsthaftigkeit von „Within You Without You“ die Schwere nehmen wollten. So weit, so gut. Bleibt nur die Frage, ob Harrisons Meilenstein auch 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch funktioniert. Im beigepackten Booklet übt sich Harrison schon auf Seite 1 in Selbstkritik: „Nach all den Jahren hätte ich manche Songs gerne von jenem Produktions-Ballast befreit, der damals angemessen schien, heute aber ein wenig zu dick aufgetragen klingt.“ Um der Authentizität willen hat er darauf verzichtet, doch immerhin spricht Harrison damit den einzigen wunden Punkt des Albums an: Produzent Phil Spector, Erfinder und Verfechter des „Wall Of Sound“, übergoss so manchen Song mit reichlich Hall. Massiv klingende Bläsersatze, mächtig bollernde Drums und vielstimmig schwelgende Background-Vocals haben durchaus ihren Charme, sorgen aber auch für eine gewisse Indifferenz. Prosaisch ausgedrückt: Ein leckerer Kuchen, aber etwas weniger Schlagsahne hätte auch gereicht. Dass es ohne Geschmacksverstärker mitunter besser funktioniert, beweist der wunderbare Bonustrack „I Live For You“, eine schlanke, vom Country inspirierte Ballade,geschmackvoll verziert von Pete Drakes eleganter Pedal Steel. Die ebenfalls beigefügten, sparsam inszenierten Urfassungen von „Beware Of Darkness“ und „Let It Down“ klingen beinahe frischer als die offiziellen Versionen, und als „Extra für die Jubiläums-Ausgabe“, so Harrison, packte er eine Neueinspielung von „My Sweet Lord“ mit ein: nett, aber nicht gerade radikal anders als die bereits bekannte Version. Dass sich Harrison bei den Aufnahmen auf prominente Freunde verlassen konnte, ist in jedem Rocklexikon nachzulesen, der Vollständigkeit halber sei die in der Tat beachtliche Gästeliste noch einmal erwähnt: Eric Clapton tauchte mit dem kommenden Derek&The Dominoes-Line-up auf, also mit Carl Radle, Bobby Whitlock und Jim Gordon, an den Keyboards wechselten sich Billy Preston und Procol Harums Gary Brooker ab. Spooky Tooth-Sänger Gary Wright sowie die bei Apple unter Vertag stehende Band Badfinger steuerten Background-Vocals bei, der junge Phil Collins klopfte bei einem Song die Congas, Klaus Voormann spielte den Bass, während Ringo Starr am Schlagzeug saß. Last not least ist Bob Dylan zu erwähnen, der den Song „If Not For You“ beisteuerte und den Opener „I’d Have You Anytime“ gemeinsam mit Harrison komponierte. Aus der Dreifach-LP ist heute eine Doppel-CD geworden, die damals auf LP Nummer 3 gepresste“Apple Jam“ ist aber komplett – und erstmals in der ursprünglichen Reihenfolge der Aufnahmen – enthalten. Das bedeutet noch mehr prominente Namen, sind doch Traffic-Gitarrist Dave Mason, die Bläser Jim Price und Bobby Keys sowie Trommler Ginger Baker mit von der Partie. Damals wie heute hat die bluesige,tendenziell monotone Jam-Session einige nette Momente, ist aber alles in allem nicht weiter relevant – eine Zugabe eben, die 1970 originell gewesen sein mag, heute jedoch nicht so recht zu überzeugen vermag. Egal, maßgebend sind die „regulären“ Songs des klangtechnisch überarbeiteten Doppelalbums, die den „test of time“ mehrheitlich ganz gut bestanden haben: Hinter den opulenten Fassaden sind mitunter großartige Popsongs verborgen, die auch heute noch funktionieren. Textzeilen wie „Forgive me Lord / please those years when I ignored you“ oder „Help me Lord please / to love you with more feeling“, die vordergründig von religiöser Erweckung künden, mögen im Zeitalter des globalen Zynismus/Hedonismus allerdings mehrheitlich belächelt werden, aber gilt das nicht auch für Lennons zeitgeistige und mitunter naive Revolutionsreime? Ganz klar Weltverbesserung, ob politisch oder religiös, und sei sie noch so aufrichtig motiviert, ist aus der Mode gekommen und schlichtweg uncool. Daran trägt Bruder George aber sicher keine Schuld.

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