Grace Jones :: Die Platte des Monats: Hurricane
Dub-Electro-Pop: Die 80er Jahre-Kunstfigur im Klebebild 2008: Grace Jones setzt sich aus Optiken und musikalischen Posen für dieses Comeback-Album neu zusammen.“
Grace Jones, ach komm.“ Als die Nachricht vom neuen Grace-Jones-Album herumging, war die Verblüffung echt und groß. „Ehrlich, und wie hört’s sich an?“ Wie kann das größte Post-Punk-Kunstwesen der 8oer-Jahre noch einmal seiner Kunst huldigen, wenn sich die Bedingungen für Kunst verändert haben, und wie hört sich Musik von Grace Jones heute an? Man wird ihrem ersten Album seit knapp 20 Jahren ein erstes Kompliment machen können, indem man feststellt, dass Grace Jones 2008 keine Kopien ihrer Erfolgsformate vorlegt; sie hat aus den Bildern und Materialien, die zur „Grace Jones History“ gehören, ein vielfach schillerndes Klebebild erstellt, das ein Stück Autobiografie erzählt und gleichzeitig von der wiedergewonnenen Lust am Flow kündet. Heute dürfen die Maschinenbeats bei Grace Jones in große Dub-Räume fallen oder sich mit Industrial-Klängen mengen, die etwas vom dunklen Sound des Business da draußen weitergeben. Über allem thronend, die tiefe, seltsam zarte Stimme der Grace Jones.
„This is my voice, my weapon of choice“, das ist der Comeback-Call der Grace Jones am Anfang dieses Albums. Man darf an „Nightclubbing“ denken, an „I’ve Seen That Face Before (Libertango)“ oder das Gender-Verwirrspiel in „Walking In The Rain“. Und die beiden jamaikanischen Rhythm Kings Sly & Robbie sind auch wieder zur Stelle, um Grace Jones ein Spielfeld für ihr cooles Raunen zu schaffen, Brian Eno hat ein paar Soundmarker gesetzt, von Tricky und Tony Allen weiß man nicht so genau, welchen Anteil sie an diesem Album haben. Der Wille zur Pose, die Grace Jones einst so überlebensgroß gemacht hat, ist auch hurricane anzumerken, in den vielen Stilwechseln auf engem Raum, den Bildern, die die Tracks sofort evozieren: Grace Jones als glitzernde Gospel-Rock-Queen etwa, mit einem Song, der in eine Mutter-Tochter-Version von „Amazing Grace“ mündet („Williams Blood“). Grace Jones als Amazone des Blues: Sie haucht eine mit Beats geschaukelte Ode an die Mutter („I’m Crying“). Grace Jones als Chanteuse im Reggae-Korsett („Well Well Well“), das aus Reststücken von „Private Life“ geschnürt sein könnte. Und Grace Jones als düstere Prophetin in „Devil In My Life“ zum Finale, das man sofort Tricky zuordnen möchte. „Das ist der Anfang des nächsten Albums“, hat Grace Jones versprochen. Nur 20 Jahre soll es diesmal nicht mehr dauern.
Wer mit dieser Platte Freund werden möchte, wird sich einen Moment lang aus dem Hamsterrad des Pop verabschieden müssen: hurricane besitzt keine Superduperbeats aus den angesagten Soundschmieden, weder die Neptunes noch Diplo oder Danger Mouse haben diesen Tracks den Touch von Hipness verpasst, der so ein Comeback in die Charts treiben kann. „Es hört sich nach jetzt an“, sagt Grace Jones und fügt schlau hinzu: ,fflann immer jetzt auch sein mag.“ „Corporate Cannibal“, das sechsminütige Kernstück des Albums, verweist im Text auf „Slave To The Rhythm“, jenes Mounmentalbauwerk von Trevor Hörn aus dem Jahr 1985, für das Grace Jones im Beat des Systems marschiert ein letzter Gruß aus der Menschen verarbeitenden Maschine des Kapitalismus und tschüss!
Das monströse Schwarz-Weiß-Video von „Corporate Cannibal“ hat innerhalb kurzer Zeit eine rasante Karriere in der Blogosphäre hinter sich gebracht – Grace Jones hat nun die Rolle der Maschine eingenommen, eine digital verfremdete Barbarin, halb Mensch, halb Insekt, das darf gruseln. Musikalisch eher TripHop auf Höhe von „Apocalypse Now“. Wobei wir mal eben eine Warnung aussprechen müssen: „Corporate Cannibal“ funktioniert ausschließlich mit Video. Die menschenfressende Miss Jones zerfließt wie die Uhren bei Herrn Dali. Die Bilder machen die Musik, nicht umgekehrt.
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