Guided By Voices – Mag Earwhig!

Im Herzen eines jeden Menschen gibt es eine undichte Stelle, aus der in den Momenten der stillen Glut das Glück fließt und die Liebe und der Pop. Aus diesen Herzenstropfen nähren sich pummelige Sänger in schlecht riechenden Hemden, Akkorde paaren sich wie angetrunkene Götter und spielen mit dem Arsch Gitarre, in den Ecken hocken ungeschlacht kreischende Lemuren herum, die sich unentwegt mit teergetrunkenen Biergläsern bewerfen, während schwitzende Musen in schlampiger Unterwäsche nach weiteren Opfern Ausschau halten. Seht her: Das ist das Schlachtfeld, auf dem sich Guided By Voices bewegen, eine Band aus Dayton/Ohio, die im Kern aus dem phänomenalen Songwriter Bob Pollard besteht, dem Meister des Pop-Minimalismus. Das Geheimnis von Guided By Voices war von Beginn an der unbeirrbare Glaube an die einfache Akkordfolge und die Kraft der Melodie. Anfangs vertrauten sie dieses Geheimnis mangels weitergehender finanzieller Möglichkeiten obskuren Vierspur-Tonbändern an und wurden dergestalt sagenumwobene LoFi-Helden; jetzt ist die Zeit der Studioalben gekommen und die Stunde, allen ungewollten Lärm scheppernd zu verjagen. Und da haben wir sie jetzt, dankbar berührt: 21 neue, wundersame Songs auf MAG EARWHIG!, kristalline Leuchtkörper, die unstet wie Glühwürmer im Dunkeln herumflirren in unnahbarer Prägnanz, geheimnisvolle Annäherungen an die Welt des Pop. Der längste Song dauert viereinhalb Minuten, der kürzeste 38 Sekunden, und allesamt sind sie Versuche über die Harmonie und möglichst schräge Wege, ihr auf die Sprünge zu helfen. Tatsächlich mäandern Bob Pollards Songs durch rätselhafte, bizarre Welten, sägen sich durch eine fremde, seltsame Welt, um sich anschließend in klitzekurzen Lärmdetonationen zu übergeben. Pollard und die Seinen reizen diverse Möglichkeiten aus und kitzeln die fetten Feen des Wohlklangs; GBV holen feine Facetten aus Drei-Akkordfolgen wie in „I Am Produced“, knattern im Alternative-Klanggeschrubber durch wunderbare Märchengegenden („Portable Man’s Society“) und drehen in halluzinogenem Wispern („Learning To Hurt“) allmählich durch, bis sie in hallende Welten abschweifen und verwundert dem Nachklang ihres eigenen Schaffens hinterherblicken. Die Vorgehensweise, den Song nicht einfach fertig aufs Album zu bannen, sondern ihn während seines Entstehungsprozesses zu schildern, sein Röntgenbild mitzuliefern und sein Muskelspiel Faden für Faden zu sezieren, das stellt GBV in eine Reihe mit Größen wie Pavement, Built To Spill oder Yo La Tengo: Pop als Material für eigene Welten und ein Bewußtsein über die innere Logik eines Melodie-Ablaufs, das sich selbst kaum noch versteht. Manche Songwriter sind Katalysatoren irgendeiner manischen Größe, der sie sich selbst nur noch blindlings unterwerfen können. Und daß The Who Pollards erklärte Lieblingsband sind, das hört man zweifelsohne auch. Und so geschah es, daß sich der ehemalige Grundschullehrer Bob Pollard auch durch den Wegfall seiner gesamten Band vor einem knappen halben Jahr nicht mehr aufhalten ließ, flugs neue Musiker – vor allem von Cobra Verde – um sich scharte und zusammen mit den Gitarristen John Petkovic und Doug Gillard ein gnadenlos schönes Ding produzierte, das den Vorläufern ALIEN LANES und UNDER THE BUSHES UNDER THE STARS in garnix nachsteht. Schade nur, daß eine Tour mit den vielbeschäftigten Kumpels frühestens im August ansteht. Denn für Pollard selbst und für sein Publikum sind das stets extrem feuchtfröhliche Parties. Er selbst, sagt der bekennende Biertrinker, muß sich sowieso jedesmal aufs Neue Mut ansaufen: „Und dann schaffe ich es immer wieder, den dummen, besoffenen, alten August zu geben.“ Und den Meister des Pop, so wie er heute sein muß.