Inner Circle – Everything Is Great
Etwas merkwürdig hört sich das schon an, wenn plötzlich aus einem Lande, in dem bislang im Reggae-Rhythmus soziales Elend beklagt und dem Unrecht der Kampf angesagt wurde, der Schlachtruf tönt „Everything Is Great“. Und zwar im allerbesten Disco-Sound. Aber ich habe den Verdacht, daß Inner Circle in diesen Titel durchaus einen Schuß Ironie gepackt haben. Denn erstens sind die drei Frontmänner der Band ja wirklich so großartig groß, dick und fett Oeder wiegt mindestens zwei Zentner), daß niemand an ihnen vorbei kann. Und außerdem ist es schon eine feine Sache, wenn von der kleinen Insel Jamaika schon wieder ’ne Band kommt, die die anglo-amerikanische Rockszene das Fürchten lehrt.
„Everything Is Great“ ist kein Reggae-Album mehr, auch wenn es einige Reggae-Titel enthält. Stattdessen haben Inner Circle auf faszinierende Weise Brücken geschlagen zwischen Reggae und Rock, Disco und Funk, eingängigen Melodien und komplexer instrumentaler Brillanz. Je häufiger man dieses Album hört, desto mehr Querverbindungen entdeckt man. Die Platte hat so viele Seiten, und sie ist dennoch aus einem Guß, einheitlich durchzogen vor allem von einem grandiosen Ausstoß an Power, die die etwas zu dick aufgetragene Glättein der Produktion spielend in den Schatten stellt.
Eingefleischte Rock- und Reggae-Fans werden es anfangs schwer haben mit dieser LP; mir ging es auch so. Zuviel wird einem da auf einen Schlag zugemutet; man braucht Zeit, um das alles zu verdauen. Am Ende klingelt es dann aber umso kräftiger im Gehirn – ist dies doch eine Scheibe, die den totalen cross over der späten siebziger Jahre bringt.
Gehen wir ins Detail. Die Songs „Music Machine“ und „Roots Rock Symphony“ enthalten stark anglo-amerikanisierten Reggae mit traumhaft gutem Timing und mit viel Fingerspitzengefühl in Szene gesetzte Instrumentalpassagen. „Mary Mary“ wird das Rockvolk spontan mitreißen mit einem schwergewichtigen, vorwärtsstampfenden Sound. „Stop Breaking My Heart“ dann ist ein typischer Poptitel, den man schon beim zweiten Mal mitsingen kann; catchy, aber nie langweilig.
Eine absolute Disconummer verbirgt sich hinter dem Titelsong; Disco von einer durchschlagenden Qualität, wie sie Robert Palmer mit „Best Of Both Worlds“, Third World mit „Now That We’ve Found Love“ oder Rod Stewart mit „Do Ya Think I’m Sexy“ geboten haben. „Playing It“, einen rollenden Rokker, könnten selbst Status Quo-Fans ins Herz schließen, obwohl die mit Leuten aus Jamaika ja wenig am Hut haben. ,,We A Rockers“ verwirrt vom Titel her – ausgerechnet dies ist nämlich eine noch einigermaßen ursprüngliche Reggae-Nummer (Leute wie Inner Circle heißen in Jamaika allerdings „Rockers“). Zum Atemholen am Schluß schließlich die Ballade ,,I’ve Learned My Lesson“, die gegenüber den übrigen Titeln ein wenig abfällt.
Inner Circle bilden vier Musiker: Jacob Miller singt, Roger Lewis spielt Gitarre, Ian Lewis Baß und Bernhard Touter (reichlich dünn, dieser Mann!) hat früher mal vorü-Mann!) hat früher mal vorrübergehend bei Bob Marley und den Wailers gespielt. Die übrigen Positionen der Band -Schlagzeug, Perkussion, zweite Gitarre – besetzt Inner Circle mit wechselnden Sessionmusikern. Allzu viele Begleiter kann der harte Kern indes nicht vertragen – die drei Dicken brauchen Platz. Und noch was: Man muß diesse LP laut spielen!
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