Jerry Harrison – The Red And The Black

Funk steht in voller Blüte. Der weltweite Trend nach Afrika, zu den roots auf der einen Seite – der ungebrochene Wille der heutigen Musiker, modern und Zukunftsorientiert zu leben auf der anderen – das erzeugt Produktivität und Spannungsfelder. Funk reicht da als übergreifender Begriff nicht mehr aus, umfaßt zuviel, umfaßt immer mehr: Jedes Urteil ist vorschnell, jeden Tag scheinen neue Funk-Spielarten zu entstehen.

Auch in Afrika hat es Trommeln und Tänze gegeben, die nicht unbedingt Spaß machen sollten, die zwar ekstatisch waren, aber nicht grinsend fröhlich: Riten, Beschwörungen, Gebete – Voodoo.

„Things Fall Apart“: „You said that/ you’d never be the one to break up/ you felt you/ were too steady to fall down…“ Und…

dann passiert 1 s doch, was machst du dann?

„No Warning/ No Alarm“: „Fan the fire/ Fan the fire…“ This dance is more than a dance… They call this dance the fire…“ Afro-Psychedelia: Jerry Harrisons Stimme fesselt, schmeichelt sich ein, wechselt unvermittelt in hektisches Flüstern, spricht von Zerfall und neuem Aufbruch: Aktive Mystik. THE RED AND THE BLACK hat einen stürmischen Charakter. Stürmisch, das heißt ohne viel Moral und künstliche Unwegbarkeiten. Keine versponnenen Endzeitgeschichten, sondern Fragen, Erklärungen, Aufforderungen.

„The New Adventure“: „A chorus chants that they want to be real/but can ‚t you see that’s how we all feel/ The Sergeant says withoutmy gun I can’t feel real…“

Die hypnotische Sprechstimme kommt und geht durch ein Kesseltreiben aus Schlaginstrumenten, perkussivem Keyboardspiel, Synthi-Fetzen und fragmentarischen Soli auf der Gitarre. Beeindruckend, auf wie vielen musikalischen Ebenen dies alles stattfindet: Weit im Background unübersichtliche brodeln Afro-Klange, weit vorne mächtige Drum-Schläge, dazwischen immer etwas Typisches: Auf „Slink“ klagt eine Melodica, „Things Fall Apart“ bringt verspielte Marimba-Einlagen, auf „Magic Hymie“ geschickt uneingepaßtes Geschrei.

Überhaupt sind die Vocals durchweg meisterhaft arrangiert, was bei dieser Musikrichtung nicht immer selbstverständlich ist – meist handelt es sich nur um glatte Politur. Hier aber sprühen die Funken, Bekanntes steht neben Unbekanntem, typische Souichöre, untypisch weiche Bass-Klänge, Freude und Schwere zugleich.

THE RED AND THE BLACK ist eine einzige Tour de Force für alle Zwecke: zum Tanzen, Zuhören und zum Aufgehen im Geheimnisvollen.

Zum Schluß kurz noch etwas Biographisches: Jerry Harrison spielt hauptberuflich bei den Talking Heads Keyboards und Gitarre und war immer so etwas wie die graue Maus der Band. THE RED AND THE BLACK hat er selbst komponiert, arrangiert und produziert. Eine großartige Überraschung!