John Entwistle – Too Late The Hero

Haben die in der Hamburger Redaktion wohl gedacht, daß sie dem ba mal einige Platten von der Altherrenriege des Rock schicken — denn der ba ist ja auch nicht mehr der jüngste und außerdem Beamter. Da kann er die Plättchen hübsch ordnen und zu den den Akten legen, hääh?

Wohlan, John Entwistle’s fünftes Solowerk sollte man in der Tat zu den Akten legen. Wie kürzlich schon Dave Davies zeigte, daß er bei den Kinks immer noch glänzend, solo indes eher schwachbrüstig beraten ist, so folgt der Who-Bassist exakt in den gleichen Fußstapfen. Entwistle’s Songbeiträge zu Who-Alben klangen stets interessant — wohl, weil da aus der angebotenen Masse die wenige Klasse herausgefiltert wurde.

Und wenn man der Who letzte LP FACE DANCES als Bezugspunkt nimmt und behauptet, Pete Townshend habe seine besten Songs da herausgehalten und für die eigene Solo-LP EMPTY GLASS verwendet, so liegt die Sache bei Entwistle genau umgekehrt: Seine beiden FACE DANCES-Songs sind weit besser als das auf TOO LATE THE HERO enthaltene Material. Kurz, die Kompositionen klingen schon in der Anlage dünn, textlich wie musikalisch. Dazu wirkt Entwistle’s Gesang müde und farblos, lediglich sein Baßspiel kann (wie immer! überzeugen — vom Synthi hätte er besser die Finger gelassen. Nun denn, in eine noch ältere Akte gehört:

WIRED FOR SOUND Cliff Richard EMI 064-07 541

wegen des andauernden Bemühens, den Hiterfolg „We Don’t Talk Anymore“ zu wiederholen. Dies versucht Cliff nunmehr seit zwei Alben und hat folglich den an sich hübschen „Talk Anymore“-Sound überstrapaziert. Gekennzeichnet ist besagter Sound von Cliff’s tadelloser Knabenstimme, aber auch von stetig wiederkehrenden Einheits-Rhythmen sowie abgegriffenen Keyboard-Phrasen, die Alan Tarney verschuldet hat. Tarney schreibt seit Jahren auch die meisten Cliff-Songs und wirkt mit Trevor Spencer zugleich noch eigenmächtig auf Platte — was wie gewisse Überlastung aussieht. Ein Wechsel von Produzent und Songlieferant dürfte CliH vielleicht nutzen. Wie Cliff Richard fällt auch das australische Sextett Little River Band mit:

TIME EXPOSURE Little River Band EMI 064-400 042

unter das Aktenzeichen „Wochenend- und Sonnenschein“, aber: zupackender und mit mehr Dampf. Die LRB ist der jüngste Vertreter unserer Altherrenriege und machte sich anfangs einen guten Namen als kompliziertere Zweitausgabe der Hollies. Pop mit Methode und nach wie vor exquisiten Vokalharmonien, also schöön. Nun hat sich die LRB wohl gedacht, daß sie nach einigen Seichtigkeiten und folgerichtigem Erfolg in den USA vielleicht ansatzweise wieder rockiger spielen könne. Gut so, denn nervende Geigen wurden fast verbannt und daher die ursprünglichen Qualitäten der Band wieder hervorgehoben: Sauberste Intonation, runde Melodien und der nötige Drive, um das Lager der Schmalzer zu vermeiden. In dieser Form lassen sich die LRBer leichthin in der Regalecke unterbringen, wo Beach Boys, Mamas & Papas oder eben die Hollies stehen. Eine weit düsterere Ecke gebührt:

RAPID EYE MOVEMENTS Autopilot Chrysalis 301 648

wegen ihres mißlungenen Versuchs, Alan Parsons und Co. zu kopieren. Autopilot alias Vaughn Thomas, Jan Hollestelle, Peter Schön und Pim Koopmann sind neu, doch ihr Herr und Meister im Hintergrund wirkte schon beim ersten Album von Family 1968 (MUSIC IN A DOLL’S HOUSE) mit: Mike Batt. Was bei Batt einst faszinierte, nämlich genial-lockeres Zusammensetzen diverser Stile wie im „Ride To Agadir“ von SCHIZOPHOIA, ist nun über Zwischenstationen wie TAROT SUITE zum belanglosen Handwerk degeneriert. Da Batt schon immer mit anderen Musikern wie mit Instrumenten hantiert hat, dürften Autopilot austauschbar und daher weniger verantwortlich für RAPID EYE MOVEMENT sein. Die Platte erzählt auf vier Seiten eine verquaste Story, wozu dann die vermeintlich passenden Stimmungen draufgepappt sind: Viele Glucksereien von Keyboards, bürokratisch wirkendes Schlagzeug und immerhin eine hübsch helle Stimme, die der von Bari sehr ähnelt. Der Alan Parsons des armen Mannes und zugleich ein weiterer Beweis dafür, daß technisch gute Tastenspieler anscheinend am qefährdetsten sind, in breitgetächerte Langeweile abzugleiten. Aktenkundiger Querveiweis: Rick Wakeman und sogar Keith Emerson.

Zum gütlichen Ende Liegt jetzt noch:

LOVE IS ONLY FEELING Donovan RCA PL 28472

auf meinem Schreibtisch, und ich muß mich beeilen; Büroschluß steht vor der Tür. Donovan klingt wie immer liebenswert, weil konsequent kindlich-naiv und so anachronistisch, daß man’s kaum glauben mag. Schon der LP-Titel verrat, daß Donovan ein notorischer Spat-Hippie ist, was manchem Zwangs-Modernisten gewiß auf den Walkman geht. In der Tat wirkt Donovan da, wo er sich tatsächlich engagiert — wie im Song über die Neutronenbombe — ziemlich hilflos und überanstrengt. Wenn der Gute aber bei seinen Leisten bleibt, klingt er wenigstens wie er selbst: Harmlos, versonnen, mit altbekannter, fragiler Zitterstimme und mancherlei Romantik. Nett für spätere Abendstunden, aber wenigstens nicht aufgeblasen und, bei Donovan glaub‘ ich das sogar, weitgehend ehrlich. Und Dany Thopson’s Baß ist ein Genuß, während man Donovaris kleine Tochter besser weggelassen hätte. Ein Blick in die Stern-Akten:

2 (Entwistle) 2 (Richard) 4 (LRB) 1 (Autopilot) 3 (Donovan) B.E. Amter