Lincoln Thompson and the Rasses – Natural Wild

Prince Lincoln Thompson ist der Reggae-Musiker, dem die britischen Medien in den vergangenen Monaten die wohl größte Beachtung zuteil werden ließen. Nicht ganz zu Unrecht, wie ich meine, denn mit seinen ersten beiden LPs, HUMANTTY und EXPERIENCE, gelang ihm tatsächlich eine faszinierende Synthese aus bewährten Rockers-Stilelementen und Jazz/Funk/Disco-Anleihen. Wenn Crossover-Reggae nicht bloß ein uneinheitliches Patchwork sein soll, lediglich zum Zweck produziert, ein weißes, rockorientiertes Publikum mit vereinten Kräften über den Tisch zu ziehen, dann kann man Lintons Fusion gängiger schwarzer Musikformen als durchaus geglückt bezeichnen. Er ist ein wahrer Innovator, mit ausreichend Experimentierbereitschaft und einem gesunden Mut zum Risiko, dem allerdings die verdiente Anerkennung im eigenen Land bislang versagt blieb.

NATURAL WILD markiert nun den geradezu revolutionären Beginn einer schwarz/weißen Zusammenarbeit. Denn Lincoln Thompson holte sich zu den Aufnahmen die komplette Joe Jackson Band ins Londoner Studio, lediglich bei einigen Titeln ließ er sich von Musikern der Revolutionaries begleiten. Und Jackson & Co weisen durchaus das nötige Einfühlungsvermögen auf, sind vollauf in der Lage Thompsons subtile Kompositionen wirkungsvoll zu intonieren. Was wohl nicht zuletzt darin begründet liegt, daß sich deren Wirkung auf die bloße Begleitfunktion beschränkt und man unterläßt, was ohnehin kaum realisierbar ist: den Versuch zwei kulturell und ideologisch grundverschiedene Musiktraditionen zu kombinieren. Trotzdem verleiht die Gruppe Lintons Musik einige neue Impulse. Vor allem Joe Jacksons klar strukturiertes, gelegentlich allerdings allzu aufdringlich in den Vordergrund gemischtes Piano ist es, das den klassischen Beat-Einfluß am deutlichsten hervorkehrt. Als bedeutend interessanter erweist sich Gary Sanfords aggressive, den oflbeat immer wieder vorantreibende Gitarrenarbeit, die wirkungsvolle Akzente zu setzen vermag. Die Stücke sind allesamt sehr eingängig, wenn auch nicht so abwechslungsreich wie auf EXPERIENCE, Dub- und Instrumentalpassagen kommen leider etwas zu kurz. Lediglich „Smiling Faces“ bildet da durch seine unverhofften Harmonie-und Tempowechsel eine Ausnahme, ist für mich neben dem Afro-Reggae des Nigerianers Sonny Okusun eines der gelungensten Crossover-Beispiele überhaupt.

NATURAL WILD ist schwer zu analysieren, sollte als Experiment gewertet werden. Ein nachdrücklicher Beweis, daß weiße Rockmusiker, die der Materie nahestehen, die Interpretationsmöglichkeiten der jamaikanischen Musik durchaus erweitern können.