Lou Reed – Lou Reed

Mit seinem Debütalbum wird die Aufbereitung des RCA-Backkatalogs von Lou Reed fortgesetzt. Entstanden ist das Werk Ende 1971 unter widrigen Umständen. Dass Lou, der sich nach seiner Trennung von Velvet Underground im Sommer 1970 nach Long Island zurückzog und sich im elterlichen Betrieb als Bürogehilfe verdingte, überhaupt einen Vertrag als Solokünstler ergattern konnte, war hauptsächlich der prominenten US-Rock-Kolumnistin Lisa Robinson zu verdanken. Deren Gatte Richard, ein glühender

Reed-Verehrer. arbeitete für RCA und fand in dem A & R-Manager Steve Katz, der kurz darauf auch David Bowie unter Vertrag nehmen sollte, einen Mentor. Unglücklicherweise übertrug Katz Robinson und Reed auch die Produktion. Aus steuerlichen Gründen zogen beide für mehrere Monate nach London. Dort wurden die beiden ausgebufften New Yorker Zeitzeugen eines künstlerischen Umbruchs: Die Ära der langhaarigen Prog-Rock-Dinosaurier näherte sich ihrem Ende, dafür hielten Glamour, Dekadenz, Mascara und Reminiszensen an den 50’s Rock ’n‘ Roll Einzug. In den Londoner Morgan Studios geriet Lous an sich hervorragendes Songmaterial-das meiste war noch in seiner Zeit bei Velvet Underground entstanden – unter die Räder. Vergleiche zwischen den 1995 auf dem 5-CD-Box-Set PEEL SLOWLY AND SEE veröffentlichten Urfassungen und den ’71er Versionen von „I Can’t Stand It“, „Lisa Says“,“Walk And Talk It“ oder“Ride Into The Sun“ gehen eindeutig zu Gunsten ersteren. Das überlange „Ocean“ ist gar ein richtiges Ärgernis: Aus einer grandiosen Hymne wurde ein pathetisch-sentimentaler Song, der mit überorchestriertem Pomp und Lous tuntenhaftem Gesang hilflos absäuft. Studiokoryphäen wie Steve Howe, Rick Wakeman (beide Yes) und Caleb Ouaye (Elton John) verstanden es nicht, den ungehobelten Sound der Velvets auch nur im Ansatz nachzuempfinden. Reed hielt sich bis auf seine passablen Vocals und kurzgeratenen Gitarrenbeiträge aus dem Debakel raus, kümmerte sich lieber um seine Leidenschaften für Speed und Bisexualität, die er, laut Angie Bowies Biografie „Backstage Passes“, mit einem Geschwisterpärchen auslebte. Mit dem knapp zehn Monate später erschienenen Meisterwerk TRANSFORMER gewann Lou Reed verlorenes Renommee allerdings vollends zurück.