Manic Street Preachers

Journal For Plague Lovers

Sony VÖ: 5. Juni 2009

Abkehr vom Stadionrock und Rückbesinnung auf den „Wir gegen die Welt“-Geist von 1994.

Dass die „Popikone“ Richey Edwards langsam verblasst, ist erfreulich, weil dadurch der Dichter Richey Edwards wieder erfahrbar wird. Was Dichtung (hier) ausmacht, ist nicht nur die tragende Schönheit der Sprache und die farbige Kraft der Wörter, sondern auch ihre assoziative Tiefe. Zum Beispiel fünf Wörter aus „Peeled Apples“: „Riderless horses on Chomsky’s Camelot“ – Schriftsteller John Niven („Kill Your Friends“) zeigt in einem Essay, wie daraus über militärische Todesrituale, John F. Kennedy und Noam Chomskys wütenden Ausfall gegen dessen Krieg in Vietnam ein Panoptikum weltpolitisch-historischer Absurditäten ersteht, das bis Dschingis Khan zurückreicht. Die Vielzahl der Themen, Motive, Anspielungen in den 13 bzw. (Japan) 15 Texten ist kaum zu fassen. Egal ob Richey das bewusst so angelegt hat und wie viel man davon mitbekommt: Seine hinterlassenen Textkonvolute in Musik zu setzen, ist ein vielversprechendes Unternehmen, das nach Jahren des Hinschwindens in den Mainstream daran erinnert, wieso diese Band für einen historischen Augenblick die einzige der Welt war, die etwas bedeutete. Schon das grandiose Cover deutet in Richtung THE HOLY BIBLE (damals ebenfalls von Jenny Saville gestaltet). Die verqueren Strophen zu vertonen, inspirierte die Band zur Abkehr vom Stadionrock und Rückbesinnung auf den „Wir gegen die Welt“-Geist von 1994. Das ist problematisch, weil Wut, Ekel und Verzweiflung der damaligen Situation in den Texten stecken, aber nicht mehr in der Gegenwart der Musiker Bradfield/Jones/ Moore, deren „Beitrag“ gewollt und angestrengt schräg wirkt, ohne die Texte zu tragen und zu transportieren, zumal die sich sowieso verweigern, was für den „Holy Bible“-Effekt sorgt: Manche Passagen klingen wie eine Mischung aus Japanisch und Finnisch. Die Produktion von Steve Albini, der Gitarren entweder zu Mulm verquirlt oder sie nackt und glanzlos im Raum stehen lässt, als wüsste er nichts mit ihnen anzufangen und hätte lieber ein Schlagzeug-Bass-Gesang-Album produziert, steigert die Schroffheit und Unzugänglichkeit der Platte, vor der der Hörer mangels inspirierter Höhepunkte kapituliert und einsieht, dass ein Buch der bessere Platz für Richey Edwards‘ lyrisches Vermächtnis gewesen wäre. Ein unvermeidlicher Untergang: Wäre das Experiment gelungen, hätte es alles seit EVERYTHING MUST GO entwertet. Im Scheitern, das seither Thema, Methode und System der Manic Street Preachers ist, liegen die Kontinuität und das Geheimnis.