Matthew Herbert Big Band – Goodbye Swingtime
Natürlich ist Matthew Herbert ein Genie. In unerreichter Ausgewogenheit stellte sein letztes (Herbert-)Album (Bodily Functions) ein Gleichgewicht zwischen Jazz und Pop-Resthouse, Brüchen und Beats her, zwang zum konzentrierten Zuhören und befriedigte doch auch das Verlangen nach Entspannung. Was der Klangkünstler jetzt mit seinem Bigband-Projekt umgesetzt hat, übersteigt vollends den Horizont von Tanzmusik-Produzenten, zu denen er freilich kaum noch zu rechnen ist. Goodbye Swingtime überrascht gerade zu Anfang mit klassischem, sehr harmonischem, melodisch zuweilen auch gewagtem, von Peter Wraight spannend und transparent arrangiertem Bigband-Jazz, der Cole Porter und selbst das Musicalfach nicht verleugnet. Mehr und mehr unterwandern jedoch Herberts Maschinen Bläser und Piano, erzwingen befremdliche, vermeintlich willkürliche Stopps und Gos, eine höchst lustvolle Auseinandersetzung mit der Dissonanz – ein fruchtbarer Austausch mit der Moderne. Unerhörte Koalitionen schaffen nie gehörte Klänge. So weit, so staun. Doch da gibt es auch noch Herbert, den Konzeptkünstler, der Goodbye Swingtime zur „schamlos politischen Platte“ erhöht. Der Klänge aus „scharf argumentierten politischen Texten“ verarbeitete, Antikriegsdemo-Lärm unterlegte und Menschen aufforderte, Telefonbücher von Stühlen falten zu lassen. Der ideologische Überbau gewinnt ein Gewicht, das Goodbye Swingtime gerade in seinen lyrischen Momenten kaum mehr ertragen kann. Durch und bereits fertig interpretierte Kunst fällt zudem schnell auf das Niveau eines erklärten Witzes zurück. Die Inhalte von Musik sollten doch am besten zu vermitteln sein, wenn man ihr aufmerksam zuhört. Auch Herberts Ideen und Visionen, die darüber hinausführen, sind es zweifelsohne wert, sich damit ausgiebig zu beschäftigen. Doch alles in allem – das funktioniert so nicht. www.magicandaccident.com
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