„Mord im Orient-Express“-Kritik: Die Sklaven Agatha Christies


Megastars sollen in diesem Remake wohl Überraschungen ersetzen. Kenner von Agatha Christie dürften allerdings enttäuscht werden.

Kenneth Branagh scheint wirklich ein besonders großer Verehrer von Agatha Christie und ihrem „Mord im Orient-Express“ zu sein. Zwar gab es bereits 1974 und 2011 Verfilmungen des Stoffes, Branagh hält das aber nicht von einem Remake ab. Da er den Kriminalfall um einen toten Gangster auf einer langen Zugfahrt allerdings kaum abweicht und mit keinem neuen Twist versieht, wirkt sein Film wie eine besonders sture Hommage an Christie. Und wirft die Frage auf, für dwen Branagh „Mord im Orient-Express“ eigentlich gedreht hat? Vermutlich nur für sich selbst.

Das Ensemble voller klangvoller Namen (Michelle Pfeiffer, Johnny Depp, Daisy Ridley, William Dafoe etc.) spielt durchweg Figuren, die zwar hübsche Kostüme, aber keine Tiefe haben. Die bekommt nur der von Branagh gespielte Meisterermittler Hercule Poirot spendiert, der in einem neu erdachten Prolog in Jerusalem einen Streit zwischen Priester, Rabbi und Imam klärt und bereits beim Frühstück seine peniblen Züge (pun intended) offen zur Schau trägt. Die Eier müssen exakt gleich groß sein, das Unperfekte hat in Hercule Poirots Welt nichts verloren.

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Der Ermittler teilt die Welt in Gut und Böse ein, der Kriminalfall im Orient-Express zeigt ihm dann, dass dieses noble Prinzip seine Grenzen hat. In einer atemberaubenden Kamerafahrt wird die Leiche des sinistren Gangsters Edward Ratchett (Johnny Depp) gefunden. Der Zug stoppt, Poirots ermittelt in der Ersten Klasse und stellt fest, dass jeder der Anwesenden einen Grund hätte, den Gangster zu ermorden. Es folgen Verhöre und noch mehr Verhöre, die Branagh in seiner Funktion als Regisseur lehrbuchartig (also langweilig) abfilmt. Wahren Charme entwickelt die Geschichte nur, wenn sich Branagh in den Gedankenwelten des Ermittlers verliert, seine verletzliche Seite seine komödiantischen Seite zeigt.

Ein Sklave der Vorlage

„Mord im Orient-Express“ ist ein Film, den man uneingeschränkt jedem Zuschauer empfehlen kann, der weder Buchvorlage noch ältere Adaptionen kennt. Denn die Lösung des Falls ist dann tragisch und überraschend, für Christie-Fans und Kenner des Stoffes ist die größte Überraschung, dass es keine Überraschung gibt. Branaghs Remake ist ebenso ansehnlich wie mutlos, der Regisseur und Hauptdarsteller hat sich zum Sklaven der Vorlage gemacht. Aber immerhin hatte er Spaß beim Dreh, das spürt man bis in den Kinosaal. Schön für ihn.