„Mother!“-Kritik: Eine cineastische Zumutung, eine faszinierende Bilderflut


Jennifer Lawrence und Javier Bardem spielen ein namenloses Ehepaar. Er hat eine Schaffenskrise, sie kämpft um ihren Verstand und sieht plötzlich blutende Hauswände und ungebetene Gäste.

Worum es hier eigentlich geht, wird bis zum Schluss nicht ganz klar. Selbst am Ende des neuen Films von Darren Aronofsky, als der Zuschauer bereits an den Rand des großen, wilden, apokalyptischen Showdowns gelangt ist, in dem sich all die vorher heraufbeschworenen Zeichen und Bilder entladen werden, hat man noch keinen Schimmer, worauf das alles hinauslaufen soll. „Mother!“ ist ein ziemlich radikaler Horrortrip und ein Beziehungsdrama über einen Künstler und seine Muse, Psycho-Thriller und feinsinnige Polanski-Hommage, Göttliche Komödie und düstere Bibelparabel. Was ist dieser Film – und wenn ja, wie viele?

Man hätte es ahnen können: Der New Yorker Regisseur Aronofsky ist kein Mann fürs Mittelmaß. Sein Film ist eine faszinierende und zugleich zutiefst verstörende Bilderflut, die zwischen allen möglichen Genres und Filmzitaten ins schwarze Dunkel des Unbekannten weist: Dorthin, wo es kein Gut oder Schlecht mehr gibt, kein Richtig oder Falsch. Dorthin, wo ein Film alles und nichts bedeuten kann. Die Entstehung der Welt im Kleinen: in 120 überladenen, ästhetisierten Filmminuten.

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Die Welt, in der Aronofsky seine Geschichte ansiedelt, ist eine abgelegene viktorianische Villa: Ein großes, schönes Spukhaus im Nichts einer üppigen Sommerwiese. Die Außenwelt existiert an diesem Ort nicht: Draußen gibt es weder Straßen noch Autos, drinnen weder Fernsehbildschirme noch Smartphones. Es ist das Zuhause eines verheirateten Paares, das wie alle Figuren in diesem Film keine Namen hat: Javier Bardem spielt einen erfolgreichen Schriftsteller vom Format eines Paulo Coelho, der von seinen Lesern gefeiert wird wie der Hohepriester einer aufglühenden Zukunftsreligion. Jennifer Lawrence streift als seine deutlich jüngere Frau durch die Räume des achteckigen Hauses, das sie aufopferungsvoll renoviert und verschönert, während der Poet mit einer hartnäckigen Schreibblockade ringt. Bis das brüchige Gleichgewicht durch ungebetene Gäste gestört wird: Ein weiteres Paar, dargestellt von Ed Harris und einer fabelhaft boshaften Michelle Pfeifer, nistet sich unter undurchsichtigen Vorwänden ein. Bardems Figur heißt die Zwei, die sich als Bewunderer herausstellen, großspurig willkommen. Seine Frau ist misstrauisch, auch weil sie unterdessen von immer unheimlicheren Visionen gequält wird, in denen die Wände des Hauses lebendig werden und schließlich zu bluten beginnen.

Mit den Fremden zieht das Chaos ein

Aronofsky macht Jennifer Lawrence nicht ohne Grund zum leuchtenden Mittelpunkt seines Filmes. Laut Abspann ist sie die titelgebende Mutter. Im hermetisch abgeriegelten Kosmos der Villa umkreist die Kamera, die ohnehin ständig in Bewegung ist, ihre weichen, an Heiligenbilder und italienische Madonnen erinnernden Züge mit einer fast perversen Obsession. Sie nimmt ihre Blicke auf, schaut über ihre zarten Schultern und immer wieder in langen, hypnotischen Close-Ups in das zunehmend entsetzte Gesicht, mit dem sie das Chaos beobachtet, das mit den Fremden in ihrem Heim Einzug hält.

Eine Großzahl der vielen Allegorien, die Aronofsky in seine Erzählung verflechtet, verweist auf die Bibel: Da sind Adam und Eva – „Ich wollte diesen Ort zu unserem Paradies machen“, sagt die Mutter einmal zu ihrem Mann – Kain und Abel, die Geburt Jesu, die Genesis an sich. Und mit dem Chaos, die den idyllischen Ort langsam erfasst, stellt sich schließlich auch die Apokalypse ein. Der Wahnsinn bricht um Jennifer Lawrence los. Es sind Szenen, wie in der Logik eines Fiebertraums gefangen, die man schwer beschreiben kann, ohne zu viel zu verraten und diesen rätselhaften Momenten seine Wucht zu nehmen.

Ein meisterhafter Knall

Sie sind der der wertvollste Widerspruch des Films: Genau die Art von grenzüberschreitender, cineastischer Zumutung, an der schon allein die Art und Weise faszinierend ist, wie man als Zuschauer darauf reagiert. Man kann Aronofskys endlose Gewalt- und Bilderorgie verwirrend finden, ärgerlich oder wunderschön. Man kann das lieben oder hassen. Sogar alles zur gleichen Zeit. Nur Nichtreagieren geht nicht. Das macht „Mother!“ zu viel mehr als einer modernen Version von „Rosemary’s Baby“: Es macht ihn zu einem Film über den gefühlten Zustand unsere Gegenwart: das ganze Chaos, der rasende Zorn, die Angst, die drohende Vernichtung. Aronofsky jagt alles in die Luft. Es ist ein meisterhafter Knall.