New York Noise von Paula Court u.a.

Mystifizierung ist ein Grundbestandteil der Bildung von Szenen – und ihrer Historisierung für die Nachwelt, die gefälligst kapieren soll, wie wichtig, geil und hart damals alles und alle waren. Das New York der 70er und 80er hat derartige Bemühungen eigentlich nicht nötig. Egal welchen Fundus man öffnet, Wort, Bild, Klang: Immer quillt er über von bizarren, abseitigen, (bis heute) futuristischen Faszinosa, die umfassend zu erklären um so weniger gelingen kann, je weiter die Entfernung wird (zeitlich wie geistig). Da hilft es kaum, wenn einige Beteiligte, die aus unterschiedlichsten Richtungen um 1977 aufeinanderprallten und einen historisch einzigartigen Hexenkessel von Chaos, Nihilismus und Zukunftsflucht aufkochten, betonen, wie wichtig, geil und hart damals alles und alle waren. Zum Glück beschränken sich die Kommentare auf sehr wenige Seiten (wo sich auch lesenswerte Anekdoten finden); der Rest gehört der Kamera von Paula Court, heute Dokumentarfotografin am Museum of Modern Art, die damals ihre Tages- und Abendgestaltung als Seiltanz zwischen den Brennpunkten der Kunst-Musik-Fusion gestaltete. Das ist aufregend, weil sie die gängigen Orte (zumindest bei der Auswahl für diesen Band) mied (kein CBGB, kein Max’s Kansas City) und Heber dorthin ging, wo das, was geschah, tatsächlich gerade begann. Es ist „wichtig“, weil man keines dieser vielen Bilder (von Legenden, Promis, Wichtigtuern, Randfiguren und längst vergessenen Einzelgängern) je gesehen hat. Und es ist faszinierend, weil die seltsame Mixtur aus Ich-Darstellern, Kunstvernichtern, Karriereplanern und Selbstzerstörern für einen blasenartigen Moment abseits der Zeitgeschichte tatsächlich eine Verbindung gefunden zu haben scheint, wo alles möglich und machbar schien – und weil man das so hautnah miterlebt, dass man fast zu hören glaubt, wie es klingt. Spürbar werden das Elend, der Schmerz, die scharfen Kontraste, denen all das entsprang, und manchmal tut es weh, manchmal wehen aber auch Glück und Unbeschwertheit der Aufbruchsstimmung aus den Bildern. Und selbstverständlich gibt es bei allem Heroismus (der etwa aus Porträts von Lou Reed und David Johansen strahlt) auch Szenen anrührender Alltäglichkeit: Madonnas sehnsüchtig-jugendlicher Blick aus der Kulisse von „Bloodhounds Of Broadway“ lässt nicht vermuten, dass „Like A Virgin“ damals schon drei Jahre her war; und vielleicht am lustigsten ist es, Michael Stipe zuzusehen, wie er 1986 mit dem Zeichner Robert Longo im REM-Tourbus sitzt und ein gerade entstandenes Werk diskutiert: Was Stipe da gekritzelt hat, sind – zwei kleine stilisierte Penisse, wie man sie von Schultoiletten kennt.

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