Nina Hagen Band

Unbehagen

Mercury/Universal

„Ich jage dir den Schweiß von der glatten Stirn bis tief ins Gehirn. “ (Textprobe aus Alptraum“).

Deutschlands singender Alptraum, Nina Hagen, die ihren Mund im letzten Jahr mehr für Publikumsbeschimpfungen denn zum Singen öffnete, ist nach einem chaotischen Zickzackkurs wieder am Ausgangspunkt, in Berlin, gelandet. Und diese Talsache ist zur Beurteilung der zweiten LP wichtiger als alle Skandälchen. Wieviel Einfluß die Verträge mit der CBS, für die sie nach dem Debutalbum noch weitere zwei abzuliefern hat (jetzt nur noch eine) auf die Produktion ausübten, z.B. beim Fairplay mit der alten Band, diese Frage bleibt offen.

Wohin aber hat sich Nina selbst beim Sightseeing in der westlichen Welt entwickelt? Sie muß sich Vergleichen mit der Konkurrenz stellen, die während ihrer publizistisch clever ausgewerteten Globetrotterei produktiv war: Lene Lovich, The Slits, Toyah – Ninas Unbehagen? Ihre Stimme scheint überstrapaziert, schafft selten saubere Phrasierung, die opernhaften Rock-Koloraturen sind angestrengtem Sprechgesang und obszönem Krächzen gewichen. Der spielerische Einsatz der Stimme als Multiinstrument ist allerdings gleich amüsant und provokativ geblieben, mit Sprüngen und Haken, denen die Band artig, solide und atemlos folgt. Auf ein wohl aussichtsloses, Duell, läßt sich gar nicht erst ein. Das Songspektrum ist viel uneinheitlicher als auf der ersten LP, an die Stücke wie“.Alptraum“. „Herrmann hieß er“ und“.Aufm Rummel“ (noch in ihrer Ost berliner Zeit entstanden) anschließen. Hier ist Nina auf vollen Touren als Rock-Furie, hexenhaft, clownesk, flatterhaft, düster taumelnd durch das Seelenlabyrinth. Diesen schwarzen Psycho-Trip beherrscht auch die Band glänzend. Völlig aus der Reihe tanzt die deutsche Version von Lene Lovich‘ „Lucky Number“, hier „Wir leben immer … noch“, wo der nachdenkliche Text und die Ruhe überraschen.

Mit „African Reggae“, „Wenn ich ein Junge war‘ “ und „Fall In Love mit mir“ präsentiert Nina jene andere Seite, die man von ihren Konzerten kennt. Der Reggae ist eine merkwürdige Satire, musikalisch auf 10 cc’s „Dreadlock Holiday“‚-Basis, in krassem Gegensatz dazu der babylonische Text und Ninas Wagemut, auch einen Jodler loszulassen. Die beiden anderen sind Rock’n’Roll-Schluckaufsongs im Stil Froebess/Kraus mit Schubidu.

Anstößiges für Moralapostel und Jugendschutz findet sich genügend im Text, das geschmacklos ordinäre „Wau-wau“ die Sexualität gehört der Frau, Ahoi, du einsamer Boy, dir würd ich sein mein ganzes Leben treu, denn du siehst so locker aus, hol doch mal dein Ding da raus… “ oder „ich hätt genug Verkehr, wenn ich ein Junge war. “ Und die Drogen, über die sie sich je nach Lage äußert: „Hermann spritzt Mixturen, er sagt sich: so kommt jeder Hirnie auf Touren… “ oder ,.Es riecht so gut, paß auf, daß du nicht geschnappt wirst. Sie sind nämlich hinter dir her, du alter Kiffer. Dabei geht ihre Gesellschaft am Alkoholismus zugrunde. Aber dich jagen sie, dich… „

Über Wahrheit braucht man nicht zu streiten, was man auf UNBEHAGEN vermißt, sind die simplen Wortwitze, die nicht gleich tieferen Sinn haben. So könnte sich Nina ihr loses Mundwerk an Anli-Hubers neuem Drogengesetz (., wer Drogenkonsum verherrlicht in Schrift, Bild und Ton…“) verbrennen. UNBEHAGEN ist ein bitSchen verwirrend und enttäuschend, richtungslos und längst nicht so explosiv wie das erste Album. Aber das Nina es, trotz Misstrauen und Erwartungshaltung (und vielleicht auch zu großem Druck, nun besonders originell zu sein) geschafft hat, selbst mich zu irritieren, verlegen zu machen, zeigt, daß genug Persönlichkeit in ihr steckt. Das Unbehagen bleibt offen, scheint eine Zwischenstation auf dem Weg nach…? Punktegemäßig ist hier von 3 bis 5 zuzüglich/abzüglich diverser Fragezeichen alles drin.